Geht Deutschland das Trinkwasser aus?

  16 Auqust 2020    Gelesen: 756
  Geht Deutschland das Trinkwasser aus?

In Deutschland ist es heiß. Der Boden ist trocken. Bei den extremen Temperaturen geht immer mehr Gemeinden ihre wichtigste Ressource aus: das Trinkwasser. Ein Problem, das der gesamten Bundesrepublik droht, warnt Ökonom Roggero. Wenn wir nicht schnell etwas ändern.

Deutschland glüht. Während der bisher heißesten Tage des Jahres geht der kleinen Gemeinde Lauenau in Niedersachsen das Trinkwasser aus. Die Wasserspeicher sind leer. Aus dem Hahn zischt es nur. Weil der Niederschlag fehlt und gleichzeitig viel verbraucht wird, da die Menschen wegen der Corona-Pandemie zu Hause bleiben, sitzen immer mehr Ortschaften auf dem Trockenen. Auch im südhessischen Nieder-Beerbach sind die Trinkwasserspeicher leergelaufen. Merenberg in Mittelhessen warnt vor einer "alarmierenden Wasserknappheit". Und die Einwohner der Verbandsgemeinde Simmern-Rheinböllen in Rheinland-Pfalz sollen Wasser sparen, damit die Grundversorgung gesichert werden kann.

Selbst Großstädte wie Berlin sind beunruhigt. "Seit März hatten wir keinen richtigen Regen in der Stadt", sagt Stephan Natz von den Berliner Wasserbetrieben. Noch herrsche keine Wasserknappheit. Aber: "Die Lage wird von Jahr zu Jahr angespannter." Die Zukunft sehe düster aus, wenn sich nichts ändere.

Die Trockenheit macht der ganzen Bundesrepublik zu schaffen. Die tiefroten Flächen im Dürremonitor des Helmholtz-Umweltforschungszentrums zeigen: Deutschland ist ausgedörrt. "Der Boden war noch nie so trocken wie heute", bestätigt Leiter Andreas Marx. Was bedeutet das für unser Trinkwasser?

"Wasserknappheit ist ein großes Problem - sowohl heute als auch in der Zukunft", sagt Ressourcenökonom Matteo Roggero zu ntv.de. "Im Laufe des Jahrhunderts werden sich Deutschland und auch Europa zunehmend mit diesem Thema beschäftigen müssen." Ob das Wasser ausgeht, hänge allerdings davon ab, wie schnell und effektiv das Problem angegangen werde. Für die drohende Wasserknappheit identifiziert der Wissenschaftler an der Humboldt-Universität in Berlin zwei ausschlaggebende Faktoren: den Klimawandel und den Eingriff des Menschen in den natürlichen Wasserkreislauf.

Wasser gibt es in Deutschland eigentlich genug

"Beim Klimawandel steht das Klima auf dem Kopf", sagt Roggero. Es regne zwar prinzipiell nicht weniger. Die Niederschlagsmenge pro Jahr verteile sich vielmehr um. "Das bedeutet, dass der Regen, der früher in einem halben Jahr gefallen wäre, heute in zwei Monaten fällt." Große Niederschlagsmengen kommen innerhalb kürzester Zeit runter. "Das überfordert den Boden, der das Wasser nicht schnell genug aufnehmen kann", erklärt Roggero. "Denn um ins Grundwasser zu gelangen, muss der Regen ausreichend Zeit haben, zu versickern." Der Überschuss gehe in die Flüsse oder in die Kanalisation. "Alles Wasser, das fließt, hat man nachher nicht mehr in den Speichern."

Denn Wasser gibt es in Deutschland eigentlich genug. 188 Milliarden Kubikmeter kommen im Durchschnitt jedes Jahr durch Regen und Flüsse ins Land, fast das Vierfache des Inhalts des Bodensees. Davon wird allerdings nur ein Bruchteil von Menschen genutzt, im Schnitt sind es 12,8 Prozent. Der Rest fließt ins Meer und ist verloren.

Klimawandel-Experte Roggero ist überzeugt, dass die Aufnahmefähigkeit unserer natürlichen Wassersysteme gesteigert werden muss. Auf dem Land wurden lange Zeit nasse, moorige Böden entwässert, damit Milchkühe dort grasen können. In der Stadt wurden viele Flächen zubetoniert. "Wir müssen für einen naturnahen Umgang mit Regenwasser sorgen", mahnt der Wissenschaftler. Das bedeutet: Flächen entsiegeln, damit Wasser versickern kann. "In grünen Städten verdunstet viel weniger Wasser." Die Maßnahmen seien allerdings teuer und kollidierten zudem mit den Interessen von Landwirten, Industrie und Schifffahrt.

"Flüsse wurden jahrhundertelang ausschließlich als Wasserstraßen angesehen", sagt Roggero. Kanäle wurden gebaut, Wasserströme begradigt. Das Ziel sei gewesen, Wasser so schnell wie möglich abfließen zu lassen. "Wir reden hier allerdings von Ökosystemen. Dieser Gedanke hat sich nur langsam etabliert", so der Wissenschaftler. Heute versuche man, Flüsse und Bäche zu verlangsamen, damit das Wasser Zeit hat, ins Grundwasser zu versickern.

Das passiert bereits in Berlin. Die beiden Flüsse der Hauptstadt fließen nur noch sehr langsam. "Wir sitzen hier faktisch auf einem gefüllten Schwamm", erklärt Stephan Natz von den Berliner Wasserbetrieben. Brunnen pumpen in der Nähe von Spree und Havel das Grundwasser ab. Durch Klärwerke wird das genutzte Wasser wieder in die Flüsse zurückgeleitet und so wieder aufgefüllt. Auf Regen sei Berlin bei der Trinkwassergewinnung weniger angewiesen, sagt Natz. Im Gegensatz zu Gemeinden wie Lauenau. Wenn dort der Niederschlag über einen langen Zeitraum ausbleibt, läuft kein Wasser aus dem Hahn.

"Natur beherrscht das System besser"

"Der Mensch wollte lange den Wasserkreislauf beherrschen", sagt Roggero. Doch die Natur beherrsche diesen allein viel besser. Somit sei die Lösung für den drohenden Trinkwassermangel, der Natur mehr Raum zu geben. "Ein natürlicher Fluss mit seinen Kurven und Ufern kann mit Wetterschwankungen viel besser umgehen als ein betonierter." Unsere wasserbaulich optimierten Systeme könnten mit dem Klimawandel viel schlechter umgehen als die Natur, mahnt Roggero.

In Lauenau haben die Menschen dank Wassersparmaßnahmen inzwischen wieder Wasser. Sie verzichteten darauf, ihren Rasen zu sprengen, das Auto zu waschen und den Pool zu befüllen. Solche Einsparungen können kurzfristig helfen, aber langfristig braucht es bessere Lösungen, meinen Experten. Noch mehr Wasser einsparen? Der Trinkwasserverbrauch ist jedoch in den letzten Jahren ohnehin schon zurückgegangen: "In den 1980er-Jahren haben wir im Schnitt fast doppelt so viel Wasser verbraucht wie heute", sagt Natz in Berlin.

Ressourcen-Ökonom Roggero ist für die Zukunft pessimistisch gestimmt: Für einen problemgerechten Umgang mit Wasserknappheit müsse noch viel getan und verändert werden. Nur so könne die Trinkwasserversorgung auch für die kommenden Jahrzehnte gesichert werden. Bei den Behörden sei das inzwischen angekommen - beim Bürger. "Hier scheitert es oft am fehlenden Bewusstsein für die Dringlichkeit des Problems."

Quelle: ntv.de


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