Während die Kanzlerin angesichts der wieder deutlich steigenden Zahlen der gemeldeten Infektionen vor einem "Corona-Desaster" warnt, beurteilt unter anderem Virologe Jonas Schmidt-Chanasit die Situation viel entspannter. Ein Blick auf die Belegung der Intensivstationen zeige, dass es bisher gut gelungen sei, die Risikogruppen zu schützen. "Wenn das weiterhin gelingt, gibt es keinen Grund zur Panik", sagte er der "Bild"-Zeitung.
Damit hat der Wissenschaftler wohl recht, denn die Zahlen sehen tatsächlich dramatischer aus als sie sind, wenn man sie mit denen im Mai vergleicht. Damals wurden weniger Infektionen registriert als heute, unter anderem weil bei harmlosen Symptomen nicht getestet und Betroffenen stattdessen zur Selbstisolation geraten wurde. Trotz allem gehen die Infektionszahlen wieder nach oben. In der letzten Juni-Woche waren 0,8 Prozent der Tests positiv, dann sank der Anteil bis auf 0,6 Prozent und erreichte erst in der letzten Juli-Woche wieder die 1-Prozent-Marke.
Durchschnittsalter sinkt, kaum noch Tote
Dass die Todesrate der registrierten Infizierten so extrem von rund sieben Prozent auf unter 0,5 Prozent zurückgegangen ist, hat viele Gründe. Neben verbesserten Behandlungsmethoden dürfte das drastisch gefallene Durchschnittsalter dabei eine entscheidende Rolle spielen. Anfang April, als die Sterberate mit bis zu sieben Prozent am höchsten war, betrug das Durchschnittsalter der registrierten Infizierten 52 Jahre, seit Juni liegt es unter 40 Jahren. Jetzt ist der durchschnittliche registrierte Covid-19-Patient 34 Jahre jung.
Die Krankheit endet aber vor allem für wesentlich ältere Menschen tödlich. So beträgt das Durchschnittsalter aller verstorbenen Patienten 81 Jahre, die meisten Toten waren noch älter (Median: 82 Jahre), 85 Prozent waren über 70. Deren Anteil an der Gesamtzahl der neu gemeldeten Infektionen war in der ersten Augustwoche mit 277 von 5775 aber sehr gering (4,8 Prozent). Umgekehrt waren in der gesamten Pandemie bisher nur 13 gemeldete Covid-19-Tote jünger als 30 Jahre, wobei diese Altersgruppe zuletzt mit 2606 gemeldeten Fällen (34,4 Prozent) besonders stark vertreten war.
Nur sechs Prozent im Krankenhaus
Ähnlich sieht es bei den registrierten Covid-19-Fällen aus, die stationär im Krankenhaus behandelt werden müssen. Zum Höhepunkt der Pandemie wurde rund ein Fünftel der nachgewiesen Infizierten hospitalisiert, jetzt sind es nur noch sechs Prozent. Von diesen liegen laut Deutscher Interdisziplinärer Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) 228 auf Intensivstationen, 134 von ihnen müssen beatmet werden. Aktuell sind in Deutschland 8864 Intensivbetten (Stand: 18. August) frei.
Eine Studie des DIVI vom 28. Juli kam zum Ergebnis, dass insgesamt etwa ein Fünftel (22 Prozent) der stationär behandelten Covid-19-Patienten starb, bei den beatmeten Fällen mehr als die Hälfte (53 Prozent). Das Durchschnittsalter der Patienten lag insgesamt bei 68 Jahren. 15 Prozent der 18- bis 59-Jährigen mussten beatmet werden, von den 60- bis 69-Jährigen sowie den 70- bis 79-Jährigen 24 beziehungsweise 25 Prozent.
Erstaunlicherweise wurden nur zwölf Prozent der Patienten über 80 Jahre beatmet. Das lag aber nicht an einer Selektion nach Erfolgsaussichten. "Wir können davon ausgehen, dass in Deutschland alle Patienten beatmet werden konnten, bei denen das therapeutisch notwendig erschien", so Christian Karagiannidis, Sprecher der DIVI-Sektion "Lunge - Respiratorisches Versagen". "Denn bundesweit standen zu jedem Zeitpunkt der Pandemie genügend freie Intensivbetten zur Verfügung und die Kapazität der Intensivstationen war zum Glück nie voll ausgelastet."
Die Zahlen zeigen, dass das deutsche Gesundheitssystem der ersten Corona-Welle sehr gut standgehalten hat. Studien wie die der DIVI helfen, auch für eine mögliche zweite Welle gerüstet zu sein. Wie viele Infizierte dann stationär oder intensiv behandelt werden müssten, ist schwer absehbar.
Wichtige Daten fehlen
Interessant wäre in diesem Zusammenhang, Daten darüber zu haben, ob bei den älteren Altersgruppen der Anteil der Infizierten über die Monate trotz insgesamt rückläufiger Zahlen gleich geblieben ist. "Die Frage ist wichtig, das würde helfen einzuschätzen, ob die Krankheit weniger schwer verläuft, was ich nicht glaube", sagte Christian Karagiannidis ntv.de, "Aber die Daten haben wir leider nicht." Auch das Robert-Koch-Institut konnte sie nicht liefern.
Mit zunehmender Zahl der Neuinfektionen werden unweigerlich auch wieder mehr ältere Menschen angesteckt. Sollte das Virus unverändert gefährlich sein, haben diese nach wie vor ein hohes Risiko für schwere oder auch tödliche Krankheitsverläufe. Die Warnungen aus Politik und Wissenschaft vor einem Wiederaufflammen der Pandemie sind also durchaus berechtigt. Und letztendlich können sich auch die Jüngeren nicht allzu sicher fühlen, solange Langzeitfolgen von Covid-19 nicht ausreichend erforscht sind.
Quelle: ntv.de
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