Für Markus Söder könnte es ein peinlicher Tag werden. Schon wieder. Sein Lieblingsprojekt, die bayerische Grenzpolizei, steht auf verfassungsrechtlichem Prüfstand. An diesem Freitag soll in München ein Urteil fallen. Schon seitdem die Behörde vor zwei Jahren wiedergegründet wurde, ist sie ein Zankapfel. Bayerns Grüne halten sie für verfassungswidrig, weil sie die Kompetenzen der Bundespolizei übergehe - und klagten dagegen vor dem bayerischen Verfassungsgerichtshof. Ganz anders sieht die CSU-geführte Landesregierung den Fall: Nach ihrer Auffassung ist die Grenzpolizei ein rechtskonformes Hilfsangebot - und natürlich "im Einklang mit den Regelungen des Bundespolizeigesetzes und mit Zustimmung des Bundes".
Ganz so einfach ist es allerdings nicht, wie der Münchner Verfassungsrechtler Walther Michl ntv.de erklärt. Als problematisch schätzt Michl neben Artikel 5, der Grenzfahndern die Kontrolle mitgeführter Gegenstände erlaubt, auch Artikel 29 im Polizeiaufgabengesetz (PAG) ein. Letzterer räumt den Beamten Befugnisse gegenüber Grundstückseigentümern ein, die eigentlich nur Bundesbehörden zustehen. "Die Hilfe der Grenzpolizei darf nicht dazu führen, dass die Bürger stärker beeinträchtigt werden, als wenn das allein die Bundespolizei machen würde", sagt Michl. Nicht ohne Grund habe der Gesetzgeber der Bundespolizei bestimmte Grenzen bei der Ausübung ihrer Aufgaben gesetzt. Diese dürften nicht einfach auf Landesebene konterkariert werden, sagt der Jurist. "Dass die Richter das Gesetz komplett so stehen lassen, kann ich mir nicht vorstellen."
Auch die Grünen sehen gute Chancen auf Erfolg für ihre Klage. "Ich bin sehr optimistisch", erklärt der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Landtag, Jürgen Mistol, auf Nachfrage von ntv.de. "Grenzschutz ist eindeutig und ausschließlich Sache des Bundes." Der CSU wirft er vor, sie habe vor zwei Jahren - im "Sommer des Populismus", wie es Mistol nennt - versucht, die AfD "mit einem rechtspopulistischen Kurs und noch lauteren und schrilleren Tönen zu übertrumpfen". Neben dem Kruzifix-Erlass war die Wiedereinführung der Grenzpolizei Söders Mittel der Wahl, um im unionsinternen Machtkampf über die künftige Linie in der Asylpolitik mitzumischen.
Umstrittene Erfolgsbilanz
Sollte das Gericht nun der Klage stattgeben, wäre das für Söder gleich der zweite herbe Tiefschlag innerhalb weniger Wochen. Seit Beginn der Corona-Pandemie feilte er recht erfolgreich am Bild des krisenfesten Machers. Auf der Beliebheitsskala deutscher Politiker machte er seit Januar stolze 17 Punkte gut und rangiert inzwischen direkt hinter der Kanzlerin auf Platz zwei. Doch der Skandal um die Corona-Testpanne an bayerischen Autobahnen sorgte für erste Kratzer. Ein höchstrichterliches Attest über die Grundgesetzwidrigkeit seiner Grenzpolizei könnte den so standfest geglaubten Landesvater ins Wanken bringen. Womöglich würden dann auch die Rufe innerhalb der Union, den Bayern als Kanzlerkandidaten für die kommende Bundestagswahl aufzustellen, etwas leiser.
Umso beharrlicher verweist die Landesregierung deshalb auf Zahlen, die beweisen sollen, wie erfolgreich das Prestigeprojekt der CSU bisher verlaufen ist. Allein 2019 hat die Grenzpolizei laut bayerischem Innenministerium mehr als 31.500 Straftaten, Verkehrsdelikte und Fahndungstreffer bearbeitet. Unter den Fahndungstreffern seien 785 Haftbefehle und 61 Wiedereinreisesperren gewesen. Die Zahl der festgestellten Urkundendelikte - darunter fallen zum Beispiel auch Passfälschungen - sei seit 2017 um knapp 60 Prozent gestiegen. "Das ist ein klarer Beleg für die hervorragende Arbeit unserer Grenzfahnder", erklärte Innenminister Joachim Herrmann.
Grünen-Politiker Mistol hält dagegen: Die Grenzpolizei sei seinerzeit als "bajuwarisches Bollwerk gegen eine vermeintlich unkontrollierte Migration" gestartet. Sie habe vor allem eine Antwort auf Schleuserkriminalität liefern sollen. Weil die Zahl der Asylbewerberinnen und Asylbewerber aber weiter zurückgehe, seien 2019 trotz Personalzuwachses und erhöhter Kontrolltätigkeit nur noch 57 Schleuser gefasst worden. "Das steht in keinem Verhältnis", sagt Mistol. Statt der Landespolizei unaufgefordert bundespolizeiliche Aufgaben zu übertragen, sollten die Beamten laut Mistol in der Fläche eingesetzt werden. Schließlich sei auch Bayerns Polizei massiv durch Überstunden geplagt.
Ein Urteil ohne Gewinner?
Dass die Grenzpolizei abgeschafft wird, wie es die Grünen wollen, hält Jurist Michl dennoch für unwahrscheinlich. Er rechnet mit einem Kompromiss. "Das Gericht könnte sagen, dass die Anwendung des PAG nur dann weiterhin möglich ist, wenn es mit Bundesrecht konform geht", erklärt er. "Dann gäbe es zwar weiterhin eine Grenzpolizei; aber ihr wären engere Grenzen gesetzt." Parteipolitisch schüfe solch ein Urteil keinen Gewinner: Denn während die Grünen die Existenz dieses laut Mistol "nebulösen Konstrukts" weiterhin akzeptieren müssten, wäre die CSU-geführte Landesregierung gezwungen, verfassungswidrige Punkte aus dem Gesetzestext zu streichen.
Gut möglich, dass der Streit um die bayerische Grenzpolizei aber auch dann nicht beendet ist. Immerhin entscheiden die Richter allein über die Frage behördlicher Kompetenzen - und nicht über die Notwendigkeit einer landeseigenen Grenzpolizei. Zweifel daran sind aus nahezu allen Oppositionsparteien zu hören - selbst der AfD. Als "sicherheitspolitische Beruhigungspille" bezeichnete der innenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Richard Graupner, die Grenzpolizei im Bayerischen Rundfunk. Die Landesregierung gibt sich dennoch unbeirrt. Bis 2023 will sie die Behörde auf 1000 Beamte aufstocken - doppelt so viele wie im Moment.
Quelle: ntv.de
Tags: