Um in der Corona-Pandemie einen halbwegs normalen Alltag zu ermöglichen, muss viel getestet werden - vor allem auch präventiv. Doch die bisher verwendeten PCR-Tests stellen sich dafür als ziemlich ungeeignet heraus: Sie sind nicht nur viel zu aufwändig und teuer, sie sind für den Masseneinsatz auch viel zu präzise. Wissenschaftler fordern daher einen Strategiewechsel.
Auf die Viruslast kommt es an
In seltener Eintracht teilten kürzlich Virologe Hendrik Streeck und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach einen Artikel der "New York Times". Darin geht es darum, dass in den USA sehr viele Menschen positiv getestet werden, obwohl sie wahrscheinlich gar nicht ansteckend sind. Denn beim Standard-PCR-Test gibt's grundsätzlich nur zwei mögliche Ergebnisse: Ja oder Nein. Anders ausgedrückt: Der Test ist eigentlich nur dazu da, das Virus nachzuweisen. Ein positiver Befund sagt nichts darüber aus, ob ein Patient krank ist, war oder wird. Und man weiß auch nicht, ob er ansteckend ist.
Das sei nicht genug, sagt Epidemiologe Michael Mina von der Harvard T.H. Chan School of Public Health. Die Virusmenge im Körper eines Patienten sei entscheidend, ob er ansteckend sei oder nicht. Dass diese Tatsache vernachlässigt werde, sei unverantwortlich. Auch deutsche Experten fordern einen Strategiewechsel. Zu ihnen gehört Charité-Virologe Christian Drosten. Es brauche "eine Testung auf Infektiosität statt auf Infektion", schrieb er in der "Zeit". Die gängigen PCR-Tests lieferten die nötigen Informationen zur Viruslast schon. "Würden wir uns zutrauen, aus den inzwischen vorliegenden wissenschaftlichen Daten eine Toleranzschwelle der Viruslast abzuleiten, könnten Amtsärzte diejenigen sofort aus der Abklingzeit entlassen, deren Viruslast bereits unter die Schwelle gesunken ist. Es würden wohl die allermeisten sein", so Drosten.
Grenzwert bei PCR-Tests viel zu hoch
Die Information, auf die es ankommt, ist der Ct-Wert. Er entspricht der Zahl der PCR-Zyklen, die notwendig sind, bis das Virus-Erbgut (RNA) positiv signalisiert wird. Ein höherer Wert spricht also für eine niedrigere Infektiosität. Dabei wird von der Menge der RNA auf eine entsprechende Menge lebender Viren geschlossen. Das Robert Koch-Institut (RKI) hat als Orientierungshilfe für Ärzte "nach bisherigen Erfahrungen" einen Wert größer als 30 als Kriterium bestimmt, bei dem Patienten aus der Isolierung entlassen werden können. Begründet wird dies damit, dass eine entsprechende Menge Viren nicht ausreicht, um sie im Labor zu vermehren.
Die "New York Times" schreibt, die meisten PCR-Tests lieferten ein positives Ergebnis bereits bei einem Ct-Wert unter 40. Das entspricht einem Artikel der "Pharmazeutischen Zeitung" nach der auch in Deutschland gängigen Praxis. Aber "jeder Test mit einer Zyklusschwelle über 35 ist zu empfindlich", sagte Juliet Morrison, Virologin an der Universität von Kalifornien, der "New York Times". Ein vernünftiger Grenzwert läge zwischen 30 und 35. Ihr Kollege Michael Mina ist für den Ct-Wert, den das RKI empfiehlt.
Ein gesenkter Grenzwert hätte auf die registrierte Zahl der Infektionen dramatische Auswirkungen. So seien in einem New Yorker Labor im Juli 794 Tests positiv ausgefallen, von denen bei einem auf 35 gesenkten Ct-Wert die Hälfte weggefallen wäre, schreibt die "New York Times". Bei einem Schwellenwert von 30 hätten die Tests sogar nur noch bei 30 Prozent angeschlagen. In Massachusetts wären bei diesem Wert 85 bis 90 Prozent negativ statt positiv getestet worden, sagt Mina. Sicher würden auch die Zahlen in Deutschland weniger dramatisch aussehen, die fälschlicherweise immer wieder mit denen im Frühjahr verglichen werden, als nur Personen mit Symptomen getestet wurden.
Ein Problem dabei ist allerdings, dass auch Menschen niedrige Virus-Konzentrationen haben könnten, die sich erst kürzlich angesteckt haben. Dieser Einwand gilt aber bei Corona-Tests allgemein, weswegen grundsätzlich ein zweiter Test notwendig ist, um bei symptomlosen Menschen sicher zu sein. Das wiederum treibt Kosten und Aufwand der ohnehin schon teuren und langsamen PCR-Tests nochmal in die Höhe.
Ungenaue Schnelltests genau richtig
Mina und andere US-Wissenschaftler plädieren daher für den Einsatz von Schnelltests. Auch in Deutschland fordern dies immer mehr Experten, beispielsweise Karl Lauterbach und Virologe Alexander Kekulé. Zu den Verfahren, die im Ausland schon zugelassen sind oder in Deutschland kurz davor sind, gehören Antigen-Tests, die nicht Erbgut, sondern Proteine des Virus nachweisen. Die Einfachsten funktionieren so unkompliziert wie Schwangerschaftstests.
Die Schnelltests sind ungenauer als PCR-Tests, beim Testen von symptomlosen Menschen ist das aber sogar ein Vorteil. Denn sie schlagen nicht an, wenn die Viruslast zu gering ist, um ansteckend zu sein. Schnelltests sind also wahrscheinlich genau das richtige Werkzeug, das bei vorbeugenden Tests und Massentests eingesetzt werden sollte, statt PCRs zu verschwenden. Damit würden vielleicht nicht alle Überträger erwischt, sagt Michael Mina. Aber Schnelltests würden sicher die ansteckendsten Personen inklusive den Superspreadern finden. "Das allein würde Epidemien praktisch auf null bringen."
Quelle: ntv.de
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