Katarina Witts große Rivalin lebt heute im Wohnwagen
Winter 1988, Olympische Spiele in Calgary. Die Sportwelt blickt auf das Duell zweier außergewöhnlicher Eiskunstläuferinnen. Auf der einen Seite Deutschlands Katarina Witt, Olympiasiegerin von 1984, auf der anderen Seite Debi Thomas aus den USA, Weltmeisterin von 1986. Ihr Kampf um Gold geht in die Geschichte ein als "Battle of the Carmens", weil beide Ausnahmeathletinnen ihre Kür zu Musik aus Georges Bizets Oper "Carmen" laufen. Zwei Frauen, eine Musik, zwei unterschiedliche Interpretationen, ein Traum. Dramatischer kann das Duell nicht sein. Debi Thomas brilliert in Pflicht und Kurzprogramm, stürzt aber in der Kür – Katarina Witt fasziniert als Carmen und siegt.
Eine Zeit lang galt Thomas als einzige Läuferin, die der großen Katarina Witt wirklich gefährlich werden konnte. Die Amerikanerin gewann in ihrer Karriere WM-Gold, -Silber und -Bronze, holte in Calgary nach dem Sturz Platz drei und ging in die Geschichte ein als erste dunkelhäutige Eiskunstläuferin in der Weltspitze. Der Glanz vergangener Jahre aber ist verblasst. Thomas, studierte Ärztin, hat keine Krankenversicherung mehr, lebt in einem Wohnwagen, ist pleite und bittet auf einer Crowdfunding-Seite um Spenden.
Wenn Debi Thomas heute ihre Wohnungstür öffnet, sieht sie keine schicken Vorgärten, keine bunten Fassaden oder die Lichter einer boomenden Stadt. Sie sieht vorbeifahrende Kohlezüge. Ihr Wohnwagen steht in Richlands, einer kleinen Stadt in Virgina, das Zuhause vieler Bergleute. Das Pro-Kopf-Jahreseinkommen dort liegt unter 20.000 Dollar.
Der Applaus und die Bewunderung der Massen, glitzernde Kostüme, der Glanz Olympischer Spiele – all das liegt weit hinter der heute 48-Jährigen. Ihre Medaillen, so erzählt sie der "Washington Post", seien in irgendeiner Tüte, irgendwo. Erinnerungen an ihr altes Leben, vergraben in ihrem trostlosen Heim. Das mag so gar nicht passen zu dieser Frau, die als so lebensfroh, zielstrebig und selbstbewusst galt.
Intelligent, erfolgreich und gefeiert
Thomas, aufgewachsen in San Jose, wusste früh, was sie wollte. Sie habe schon als Kind davon gesprochen, Ärztin zu werden, berichtet ihr Bruder Richard Taylor. Später, als Thomas in die achte Klasse kam und ihr Trainer wollte, dass sie die Schule verlässt, weigerte sie sich. Stattdessen schrieb sie sich an einer Highschool in der Nähe eines Eislaufzentrums, aber weiter entfernt von ihrem Elternhaus, ein. Vier Jahre lang fuhr die Mutter ihre Tochter hin und her, täglich 240 Kilometer. Später wagte Thomas zeitweise den Spagat zwischen sportlicher Karriere und Studium in Stanford.
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Olympischer Traum: Debi Thomas zeigt ein herausragendes Kurzprogramm bei den Spielen von Calgary
Intelligent, erfolgreich und von den Medien gefeiert. Thomas lächelte vom Cover des "Time Magazine", wurde vom Fernsehsender ABC als "Sportlerin des Jahres 1986" geehrt und zog bei den Winterspielen 1988 die Massen vor den Fernseher. Das Olympiaduell mit Katarina Witt, auch eine Art Stellvertreterkampf zwischen Sozialismus und Kapitalismus, hatte im US-Fernsehen einen Marktanteil von 40,2 Prozent. Vor der Kür lag Thomas auf Goldkurs, doch der Patzer bei einem Dreifachsprung gleich zu Beginn ihrer Carmen-Interpretation machte alle Hoffnungen zunichte. Auch die Kanadierin Elizabeth Manley zog an ihr vorbei. Nach WM-Bronze im selben Jahr beendete Thomas ihre Karriere.
Und das Leben danach begann vielversprechend. Sie graduierte in Stanford, danach an einer Privatuniversität und heiratete einen Studienkollegen. Die Ehe scheiterte, Thomas heiratete ein zweites Mal, bekam einen Sohn und arbeitete als orthopädische Chirurgin. Doch dann ging irgendetwas schief. "Ich fühle mich missverstanden, weil ich die Welt anders betrachte", sagt sie etwas nebulös. "Ich bin ein Visionär und kann sehr komplexe Dinge zusammenfügen. Die meisten Menschen verstehen das nicht."
Ihr Selbstvertrauen, das sie im Sport und im Studium weit nach vorne gebracht hatte, war später im Berufsleben nicht immer förderlich und, glaubt man ehemaligen Weggefährten, oft auch überzogen. "Sie wollte wie ein Star behandelt werden, aber in der Orthopädie war sie keiner", sagt Lawrence Dorr, einer der weltweit führenden Ärzte auf diesem Gebiet. Sie habe immer etwas einzuwenden gehabt. Thomas` Berufsleben war durch ständigen Wechsel des Arbeitsplatzes geprägt. Sie selbst weigert sich, das als Niederlage zu sehen: "Einen olympischen Spirit zu haben, ist hart, weil du frustriert bist von dem, was und wie andere etwas machen. Alles muss mit Perfektion erledigt werden." Andere waren ihr oft nicht genug.
Quelle : WELT.DE