Relikt mit mörderischem Potenzial

  03 September 2020    Gelesen: 430
Relikt mit mörderischem Potenzial

2018 wird es dem russischen Doppelagenten Skripal damit vergiftet, nun der Putin-Kritiker Nawalny: Das Nervengift der Nowitschok-Gruppe verursacht Lähmungen, die zum Tod führen können. Die Chemiewaffe aus dem Kalten Krieg steht erst seit einem Jahr auf der Liste verbotener Substanzen.

Es ist ein besonders wirkungsvolles Gift: Die Substanz, mit welcher der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny laut der Analyse eine Bundeswehrlabors vergiftet wurde, stammt aus der sogenannten Nowitschok-Gruppe. Der Name der chemischen Waffe bedeutet auf Russisch soviel wie "Neuankömmling". Sowjetische Wissenschaftler entwickelten das Nervengift zwischen 1970 und 1980 auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges in einem staatlichen Forschungsinstitut in Moskau.

Nervengifte sind Kampfstoffe, welche die Nervensysteme angreifen - insbesondere Enzyme, die für die Kommunikation zwischen Nervenzellen und Muskeln wichtig sind. Eigentlich bauen diese Enzyme namens Acetylcholinesterase den Botenstoff Acetylcholin ab, der für das Verkrampfen von Muskeln sorgt. Nowitschok und einige andere Nervengifte wie Sarin und VX machen das Enzym unwirksam, sodass sich der Botenstoff immer mehr anreichert. Diese Anreicherung löst zunächst Verkrampfungen aus, dann Lähmungen und kann schließlich zum Tod durch Ersticken oder Herzversagen führen.

Gift kann über Haut in Körper gelangen

Um Vergiftungsopfer zu retten, müssen deren Atmung und Herzschlag notfalls künstlich aufrecht erhalten werden. Gleichzeitig bekommen die Patienten wie im Falle Nawalnys Atropin, das die Rezeptoren für Acetylcholin blockiert und dem Körper so die Zeit gibt, den Giftstoff abzubauen und neue Enzyme zu produzieren.

Wie der vom "British Science Media Centre" zitierte Experte der Universität Nottingham, Wayne Carter, sagt, kann das Gift "durch die Haut, durch Einatmen oder Verschlucken" in den Körper gelangen. "Es ist wichtig, festzustellen, wann und wo das Gift verabreicht wurde, um sicherzustellen, dass das Gift nicht noch am Tatort vorhanden ist oder nicht verbreitet wurde", warnt er.

Stadt ein Jahr lang kontaminiert

Nowitschok kam auch bei dem Anschlag auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal im März 2018 im englischen Salisbury zum Einsatz. Skripal und seine Tochter wurden dem Nervengift ausgesetzt und entgingen nur knapp dem Tod. Eine 44-jährige Britin aber, die eine später gefundene Flasche mit dem Gift für Parfüm hielt, starb daran. Die Dekontamination des kleinen Städtchens dauerte knapp ein Jahr. London beschuldigt den Kreml, den Anschlag als Vergeltung für Skripals Tätigkeit als Doppelagent veranlasst zu haben. Moskau bestreitet dies.

Der russische Chemiker Wil Mirsajanow, der 1995 in die USA auswanderte, machte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Öffentlichkeit auf die Existenz des geheimen Nowitschok-Programms aufmerksam. "Nur die Russen" hätten diese Giftstoffe entwickelt, sagte er nach dem Anschlag von Salisbury. Skripal und seine Tochter seien seines Wissens die ersten Menschen, gegen die das Nervengift eingesetzt worden sei.

Erst nach dem Anschlag auf Skripal nahm die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) Nowitschok im vergangenen Jahr in die Liste der verbotenen Substanzen auf. Es war die erste Anpassung der Liste seit ihrem erstmaligen Inkrafttreten 1997.

Quelle: ntv.de, chf/AFP


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