Die Franzosen stehen vor schweren Entscheidungen: Die Folgen der gravierenden Einschnitte des Corona-Frühjahrs sind noch längst nicht überwunden, da drohen dem Land, der Wirtschaft und der Bevölkerung schon wieder neue Pandemie-Auflagen. Frankreich befindet sich nach dem Sommer inmitten einer zweiten Coronavirus-Welle - ausgerechnet zum landesweiten Schulbeginn Anfang September ziehen die Fallzahlen wieder an.
Die Zahl der täglich gemeldeten Neuinfektionen bewegt sich bereits seit Ende Juli wieder nach oben. Was mit einzelnen Ausschlägen in den Daten im Frühsommer begann, wuchs sich über die zurückliegenden Wochen des Hochsommers immer mehr zu einem steilen Anstieg der neu entdeckten Ansteckungen aus. Mittlerweile liegt das Fallaufkommen in fast einem Dutzend Landesteilen über der Alarmschwelle. Die Gesamtzahl der nachgewiesenen Coronavirus-Infektionen erreichte zuletzt die Marke von 293.000. Mehr als 30.600 Menschen sind in Frankreich im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung gestorben.
Zum Vergleich: Frankreich zählt mit rund 67 Millionen rund ein Fünftel weniger Einwohner als Deutschland, registriert aber deutlich mehr Coronavirus-Fälle. Von 100.000 Franzosen waren bisher insgesamt bereits 437 von einer Sars-CoV-2-Infektion betroffen. In Deutschland liegt diese Zahl knapp unter 296. Bei den Toten der Corona-Pandemie gehen die Zahlen noch weiter auseinander: In Deutschland starben bislang 9319 Menschen nach einer Ansteckung. Die bisherige französische Bilanz weist eine mehr als dreimal so hohe Menge an Todesfällen auf.
Es steht zu befürchten, dass die Zahlen weiter steigen. Denn derzeit deutet in Frankreichs nichts auf eine rasche Trendwende hin. Gemessen an der Sieben-Tage-Inzidenz - also der Anzahl der neu gemeldeten Ansteckungen aus dem Zeitraum der zurückliegenden sieben Tage im Verhältnis zur Bevölkerung - zeigen sich im Süden Spitzenwerte von gut 150 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern. Besonders betroffen ist dort der Großraum Marseille. Die Region beherbergt jedoch längst nicht die einzigen schwelenden Hotspots im Land.
Ein beunruhigend hohes Fallaufkommen weisen auch die Gebiete rund um die übrigen Metropolen des Landes auf. In Toulouse etwa stieg die Sieben-Tage-Inzidenz auf 54,2 Neuinfektionen, in der Bordeaux-Region an der Atlantikküste sind es 67,2. Nach deutschen Maßstäben über der Obergrenze liegen auch die Départements um Lyon, Le Mans, Montpellier, Nizza, Orleans sowie der Großraum Paris mit seinen mehr als zehn Millionen Einwohnern. Von dieser neuen, zweiten Ansteckungswelle sind nahezu alle Großstädte Frankreichs betroffen.
Dabei hatte es für das Land nach dem Ausnahmezustand im Frühjahr zeitweise sehr gut ausgesehen: Ähnlich wie in Deutschland zeigten die energischen Maßnahmen zur Pandemie-Abwehr schnell Wirkung. Der Höhepunkt der ersten Ansteckungswelle war in Frankreich bereits Anfang April erreicht. Danach konnte die Ausbreitung des Erregers Sars-CoV-2 weitgehend effektiv eingedämmt werden. Ende Mai fiel die Zahl der Neuinfektionen im Schnitt unter die Marke von 500 Fällen pro Tag. Die Lage schien beherrschbar.
Doch dann entwickelte sich - erst langsam und dann immer schneller - ein neues, fast flächendeckendes Infektionsgeschehen, dessen Höhepunkt womöglich noch lange nicht erreicht ist. Anfang September übersteigt die Anzahl der Neuinfektionen pro Tag bereits die Spitzenwerte aus dem Frühjahr. Zu diesem Zeitpunkt endeten in Frankreich die Sommerferien, Millionen von Schülern kommen seitdem wieder jeden Tag im regulären Schulbetrieb und auf dem Schulweg zusammen. Damit entstehen naturgemäß auch wieder mehr Kontakte: Der Austausch innerhalb der Bevölkerung nimmt zwangsläufig zu.
Inmitten dieser unübersichtlichen Lage sieht sich die französische Regierung mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, eine Strategie der Eindämmung zu verfolgen, ohne zugleich die Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu überfordern. Schritt für Schritt werden die Pandemie-Maßnahmen auf regionaler Ebene wieder verschärft. Mitte August wurde die Hauptstadt und die Region an der Rhône-Mündung im Süden des Landes als "Gebiete mit erhöhter Virusverbreitung" eingestuft. Damit war der Weg für die Behörden frei, vor Ort erweiterte Corona-Auflagen zu verhängen und ausgewählte Bereiche des öffentlichen Lebens erneut einzuschränken.
Landesweit gilt für alle Personen ab elf Jahren eine "strafbewehrte Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in allen öffentlich zugänglichen, geschlossenen Räumen", wie es beim Auswärtigen Amt heißt. Die Maskenpflicht erstreckt sich auf alle Flughäfen und Bahnhöfe sowie auf Museen, Banken, Geschäfte, überdachte Märkte und alle Sehenswürdigkeiten.
Die Verpflichtung zum Tragen einer Gesichtsmaske gilt auch in allen öffentlichen Verkehrsmitteln wie Flugzeug, Zug, Metro, Bus, Taxis und Sammeltaxis. Verkehrsunternehmen müssen - so weit möglich - Abstandswahrung in Bussen und Zügen, an Flughäfen, Bahnhöfen und allen Umsteigeterminals ermöglichen sowie Desinfektionsmittel bereitstellen. Dass die Tour de France im Pandemie-Jahr 2020 trotzdem durch Frankreich rollt, kann den Ernst der Lage kaum überdecken.
In zahlreichen französischen Städten gehen die örtlichen Behörden dazu über, die Pflicht zum Tragen einer Gesichtsmaske in der Öffentlichkeit auch auf sonstige öffentliche Plätze, Straßen oder Anlagen mit dichtem Publikumsverkehr zu erweitern. Unter anderem in Paris und den umliegenden Départements Seine Saint Denis, Hauts de Seine und Val de Marne sowie in Marseille, Toulouse und Straßburg gilt mittlerweile eine strikte Maskenpflicht im gesamten Stadtgebiet.
Die offizielle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes in Berlin bezieht sich bisher vor allem auf die Hauptstadtregion Ile-de-France und die Region Provence-Alpes-Cote-d'Azur an der Mittelmeerküste im Südosten des Landes. Beide Regionen wurden aus deutscher Sicht bereits als Risikogebiete eingestuft. Explizit genannt werden in diesen beiden Gebieten die Départements Paris, Seine-et-Marne, Yvelines, Essonne, Hauts-de-Seine, Seine-Saint-Denis, Val-de-Marne, Val d‘ Oise sowie Alpes-de-Haute-Provence, Hautes-Alpes, Alpes-Maritimes, Bouches-du-Rhône, Var und Vaucluse (Stand: 2. September, kurzfristige Änderungen möglich).
Auch vor "nicht notwendigen, touristischen Reisen" in die französischen Gebiete in der Karibik (Französisch-Guyana, St. Martin und Guadeloupe) wird aufgrund hoher Infektionszahlen gewarnt. Von Reisen in die übrigen französischen Überseegebiete wird "dringend abgeraten", wie es in den Reisehinweisen aus Berlin heißt. Für die Regionen dort gelten für Touristen nach wie vor strenge Einreisebeschränkungen.
Die Einstufung französischer Regionen als Risikogebiet hat für Reisende aus Deutschland erhebliche Konsequenzen. Nach der Rückkehr in die Heimat steht dort ein verpflichtender Corona-Test an, der mit entsprechenden Quarantäne-Auflagen verbunden ist. Der Kampf gegen das Coronavirus in Frankreich dürfte damit absehbare Folgen für den Tourismus nach sich ziehen - und das gerade erst wieder anlaufende Wirtschaftsleben behindern. Vorrangig muss es für die Franzosen jedoch darum gehen, ein Übergreifen der Infektionen auf die besonders gefährdeten Bevölkerungsschichten zu verhindern und eine neuerliche Überlastung in den Kliniken zu vermeiden.
Quelle: ntv.de
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