In Altersvorsorge steckt das Wörtchen Sorge. Tatsächlich sind viele Menschen besorgt, dass ihre gesetzliche Rente im Alter nicht den gewohnten Lebensstandard sichert. Eine zusätzliche private oder betriebliche Absicherung gilt spätestens seit den Rentenreformen der Nullerjahre als empfehlenswert.
Wie stark jemand zusätzlich sparen sollte, hängt dabei aber auch vom Wohnort ab. Das zeigt eine neue Studie des Prognos-Instituts im Auftrag der Versicherungswirtschaft. Denn wer seinen Lebensabend in teuren Metropolen wie Hamburg oder München verbringen will, muss mehr Geld zurücklegen als in ländlichen Regionen mit geringeren Lebenshaltungskosten.
Das wäre an sich kein Problem, hätten die Menschen in den Städten tatsächlich mehr Geld zur Verfügung, das sie anlegen können. In Berlin will der Senat seinen Beamten bald 150 Euro Hauptstadtzulage zahlen. Eine willkommene Einzelmaßnahme für alle, die das Geld bekommen. Volkswirtschaftlich löst sich das Problem damit allerdings nicht. Denn die Studie zeigt auch, dass die im Schnitt höheren Löhne in den Boomregionen die höheren Ausgaben zumindest bislang bei Weitem nicht haben ausgleichen können. Kurz: Stadtluft macht frei - und im Alter schneller arm.
Doch der Reihe nach. Um einen Eindruck davon zu erhalten, wie viel Geld die Menschen in den 401 Kreisen und kreisfreien Städten von Flensburg bis Freiburg im Alter haben und wie viel sie zurücklegen müssen, um in jeweils ihrer Region im Alter auskömmlich versorgt zu sein, haben die Prognos-Forscher auf Kreisebene Modellrechnungen mit im Jahr 1980 geborenen Mustermenschen angestellt. Diese Mustermenschen
stiegen alle mit 20 Jahren ins Berufsleben ein,
und fingen mit 26 Jahren an, Geld für die private Altersvorsorge zurückzulegen.
Einschnitte wie Arbeitslosigkeit, Sabbatical oder ein paar Extrasemester vor dem Berufseinstieg blieben bei den Mustermenschen unberücksichtigt,
sie sparen regel- und gleichmäßig,
gehen alle mit 67 Jahren im Jahr 2047 in Rente
und haben nach dem Renteneintritt noch 22,8 Jahre bis zu ihrem Tod.
Das ist sehr holzschnittartig, erlaubt aber eine Vergleichbarkeit der Daten: Je nach Landkreis haben die Mustermenschen laut der Studie unterschiedlich viel Geld zur Verfügung. Denn die spätere Leistung aus der Rentenversicherung bemisst sich an der Höhe des Einkommens, welches wiederum durch die Wirtschaftskraft beeinflusst wird.
Die Forscher gehen von pro Jahr bundesweit 1,3 Prozent Wirtschaftswachstum aus, prognostizieren aber regional erhebliche Abweichungen - und damit auch unterschiedliche Rentenniveaus: Statt aktuell auf 48 Prozent des vorherigen Einkommens nach 45 Beitragsjahren kommen die Musterrentner bei 47 Beitragsjahren so auf ein Niveau zwischen 43,0 und 46,6 Prozent - je nach Wohnort.
Nach heutigen Preisen sähen die monatlichen Alterseinkünfte aus gesetzlicher Rente und bereits bestehender privater Vorsorge laut der Studie demnach so aus:
Diese Werte mögen manchem niedrig, vielen Menschen aber doch recht hoch vorkommen, wenn sie an ihre jährliche Renteninformation denken. Grund dafür ist, dass der Musterrentner auf Basis eines Durchschnitts- und nicht eines Medianverdieners ermittelt wird. Sprich: Der Durchschnittsverdiener verdient mehr als fast Zweidrittel aller Lohnempfänger und ist eigentlich ein Besserverdiener.
Selbst wenn man diesen bereits privilegierten Durchschnittsverdiener nimmt, ist er den Prognos-Forschern zufolge bei Renteneintritt meist noch weit entfernt von der Summe, die er zuletzt vor Renteneintritt hatte - und trotz bereits bestehender privater Vorsorge auch noch immer weit entfernt von dem Niveau, das er vor den Rentenreformen der Nullerjahre erreicht hätte. Das wäre ein Leistungsniveau von etwa 55 Prozent gewesen.
Um zumindest dieses Niveau im Alter zu halten, müssten die Musterrentner je nach Region unterschiedlich viel zusätzlich jeden Monat ansparen. Wie viel das ausmacht, haben die Prognos-Forscher errechnet. Klar, das liegt sehr im Interesse der Auftraggeber der Studie, nämlich der Versicherungswirtschaft. Sie bekommt so Argumente für den Verkauf ihrer privaten Altersvorsorgeprodukte.
Dennoch können die Beträge durchaus der Orientierung dienen, etwa indem man seine eigenen Schlüsse aus dem Vergleich der persönlichen Situation mit der des Modellmenschen zieht. So sollte jemand, der längere Pausen bei der Vorsorge machen musste oder erst spät damit beginnen konnte, eher mehr fürs Alter zurücklegen. Wer dagegen eine eigene Immobilie besitzt und im Alter keine Miete bezahlen muss, kann sich vielleicht schon entspannen.
Die Unterschiede, die sich aus der Modellrechnung ergeben, sind eindrücklich hoch. Sie variieren laut der Studie zwischen monatlich 100 Euro in Prignitz und 360 Euro in München:
Ob nur durch diese zusätzlichen Sparbeträge tatsächlich die Lücke bis zur 55-Prozent-Grenze geschlossen werden kann, ist allerdings offen. Dies gilt erst recht, weil die Werte erst ab Mitte der 2030er-Jahren wieder von deutlich über ein Prozent steigenden Zinsen ausgehen.
Setzt man die Beträge jedoch ins Verhältnis zu den unterschiedlichen Preisniveaus in den verschiedenen Regionen, zeigt sich: "Bewohner einkommensschwächerer Regionen brauchen beispielsweise keine Münchner Altersbezüge, um im Alter in ihrer Region gut leben zu können", wie Prognos-Experte Heiko Burret sagt. Folglich lässt sich von der Höhe der Rente nicht auf den Lebensstandard im Alter in verschiedenen Regionen schließen - und zudem müssen Bewohner wirtschaftsstarker Regionen deutlich mehr sparen.
Bundesweit am meisten zur Seite legen müssen laut Studie die heute 40-jährigen Mustermenschen aus Hamburg: 5,8 Prozent. In Stuttgart und München sind es 5,7 Prozent. Mustermenschen in Hagen müssen dagegen mit 3,3 Prozent ihres monatlichen Einkommens deutlich weniger sparen, um das 55-Prozent-Ziel im Alter zu erreichen. In Gelsenkirchen und Wilhelmshaven ist es mit 3,4 Prozent nur wenig mehr:
Ob sich die Sparerei am Ende tatsächlich auszahlt, hängt allerdings auch davon ab, ob die bisherigen Rahmenbedingungen so bleiben wie sie sind. Die Studie geht davon aus, dass sich am gesetzlichen Rentenniveau, also an der Rentenformel, und an dessen voraussichtlichem stetigen Sinken nichts mehr ändern wird. Wovon sollte man derzeit auch sonst ausgehen?
Sollte sich allerdings eine (wohl eher linke) Bundesregierung zwischenzeitlich doch dazu entschließen, das Rentenniveau durch massive Steuerzuschüsse zu stabilisieren, müsste man weniger privat ansparen.
So kann man aus den Prognos-Rechnungen vielleicht auch politische Konsequenzen ableiten: Das sinkende Rentenniveau ist ja kein Naturgesetz, sondern die Folge politischer Entscheidungen. Wer ohnehin findet, dass die Rentenreformen der vergangenen zwanzig Jahre zu sehr zulasten der Arbeitnehmer gingen, sieht hier modellhaft, wie teuer das Ganze wird.
SPİEGEL
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