Laschet angezählt, die SPD mit Herzstillstand

  14 September 2020    Gelesen: 610
  Laschet angezählt, die SPD mit Herzstillstand

Kommunalwahlen sind keine Landtagswahlen und Landtagswahlen sind keine Bundestagswahlen: Wo die rund 14 Millionen Wähler in Nordrhein-Westfalen am Sonntag ihr Kreuz gemacht haben, sagt nur bedingt etwas aus über bundesweite politische Trends. Dennoch schauen die Parteispitzen in Berlin sehr genau auf diese Wahl - denn sie zeigt nicht nur, wie sattelfest der Landesvater und Kandidat für den CDU-Chefposten Armin Laschet ist, sondern auch, welche Themen für die Bürger inmitten von Pandemie und Wirtschaftskrise - überraschenderweise - wahlentscheidend waren.

1. Laschets Kurs hält die Mitte

Für Armin Laschet ist es ein Ergebnis mit Licht und Schatten: Zwar bleibt seine CDU landesweit die stärkste Kraft, allerdings mit dem schlechtesten Ergebnis bei Kommunalwahlen seit 1946. Mit 34,3 Prozent der Stimmen liegen die Christdemokraten etwas mehr als drei Punkte unter dem Ergebnis von 2014 - wohlgemerkt in einer Zeit, in der sich die Bundes-CDU als einziger großer Krisengewinner im Umfragehoch sonnt. Auch wenn Laschet sich und seine Linie in der Corona-Krise bestätigt sieht, die Realität sieht anders aus: Laut einer Umfrage von Infratest dimap im Auftrag des WDR zeigen sich derzeit 52 Prozent der Wähler in NRW zufrieden mit seiner Arbeit. Das ist zwar ein Plus im Vergleich zum Juni, dennoch liegt Laschet in der Wählergunst derzeit deutlich unter dem Vorkrisenniveau.

Auch wenn der Ministerpräsident bei der Kommunalwahl nicht im Fokus steht, wären noch deutlichere Verluste für die CDU wohl vor allem Laschet angelastet worden - mit Konsequenzen auch für seine Kandidatur um den Parteivorsitz. Wenig überraschend, dass Konkurrent Friedrich Merz nun das Haar in der Suppe kommentiert, indem er auf die Schwäche der CDU in den großen Städten verweist. Die Bundestagswahl 2021 lasse sich "nicht alleine im ländlichen Raum gewinnen", stichelt er. Auch Norbert Röttgen haut in diese Kerbe - und thematisiert das schlechte Abschneiden der CDU bei jungen Wählern. Vor diesem Hintergrund liest sich die Wortmeldung des JU-Vorsitzenden Tilman Kuban, der im Wahlausgang keine Signalwirkung für die Frage nach dem neuen CDU-Vorsitzenden sehen will, wie ein vergiftetes Lob, ganz nach dem Motto: "Die CDU hat mit Laschet gewonnen, aber nicht wegen ihm".

2. Corona hat die Wahl nicht dominiert

Das Beispiel Nordrhein-Westfalen zeigt: Wählen inmitten der Pandemie - das geht durchaus. Zwar brachten die Regelungen zum Infektionsschutz die Wahllokale mancherorts an ihre Grenzen, doch dass die Wahlbeteiligung mit 51,9 Prozent sogar höher lag als 2014 ist Beweis dafür, dass die Sorge vor einer Ansteckung weit weniger verbreitet ist als befürchtet. In Bochum blieben einige Wahllokale sogar bis 19 Uhr geöffnet, damit jeder Wartende noch sein Kreuz machen konnte. Nichtsdestotrotz hat das Virus einen Einfluss auf das Wahlverhalten: Mehrere Städte verzeichneten einen Rekord bei Briefwählern, bis zu einem Drittel der Bürger stimmten vorab per Post ab.

Während sich die Corona-Politik auf Landesebene kaum auf die Wahlergebnisse niederschlägt, ist in einigen, besonders stark vom Virus betroffenen Gemeinden ein Effekt unübersehbar - etwa im Kreis Heinsberg. Dort wurde Landrat Stephan Pusch mit 80 Prozent der Stimmen wiedergewählt, das sind rund 10 Prozentpunkte mehr als 2014. Als Krisenmanager hatte der CDU-Politiker viel Lob erfahren. Er war einer der ersten, der konkrete Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung beschließen musste, dazu gehörte auch das Schließen von Schulen und Kitas.

Abgesehen von lokalen Ausnahmen hat die Corona-Pandemie aber kaum Einfluss auf die Wahlentscheidung der Bürger gehabt. Für den Großteil der Wähler in NRW war laut Infratest dimap nicht etwa die Gesundheits- oder Wirtschaftspolitik das wahlentscheidende Thema, sondern der Umwelt- und Klimaschutz. Das erklärt auch den großen Erfolg der Grünen, die im Wahlkampf trotz der alles überlagernden Corona-Debatte auf Themen wie Artenvielfalt, Verkehrswende und Kohleausstieg setzten.

3. Die Jungen wählen grün

Vor allem in den Städten gibt es an den Grünen kein Vorbeikommen mehr - in Köln, Bonn und Aachen werden sie künftig stärkste Kraft in den Stadträten sein. In Münster und Bonn müssen die bisherigen CDU-Oberbürgermeister Markus Lewe und Ashok-Alexander Sridharan jeweils gegen grüne Gegenkandidaten in die Stichwahl. Weil die Grünen weiterhin Themen wie den Kampf gegen die Klimakrise, Verkehrs- und Stadtplanung besetzen, binden sie vor allem diejenigen Wähler, die langfristige Veränderungen sehen wollen - und das sind naturgemäß vor allem die Jungen. Ihr Wahlverhalten zeigt, dass sich in der politischen Stimmung etwas Grundsätzliches verschiebt.

Unter den 16- bis 24-Jährigen wählten in NRW 33 Prozent die Grünen, 22 Prozent die CDU und 16 Prozent die SPD. Die Strategie, in der Corona-Krise nicht allzu laut Alarm zu schlagen und stattdessen auf grüne Kernthemen zu vertrauen, hat sich bestätigt. Allerdings, das bemerkt auch der Grünen- Fraktionschef Anton Hofreiter im "ntv Frühstart", geht die Stärke der Grünen auf Kosten der SPD. Das selbstgesteckte Ziel der Grünen, "die führende Kraft der linken Mitte zu sein", scheint angesichts des anhaltenden Negativtrends bei den Sozialdemokraten, jedenfalls längst erreicht. Ihr schlechtes Abschneiden schmerzt in Nordrhein-Westfalen besonders.

4. Die SPD mit Herzstillstand

NRW galt lange Zeit als "Herzkammer der Sozialdemokratie", mit der Kommunalwahl erleidet sie - um mal im Bild zu bleiben - den Herzstillstand. Nur noch 24,3 Prozent der Wähler vertrauen der SPD, 2014 waren es noch 7,1 Prozentpunkte mehr gewesen. Es ist ein historisch schlechtes Ergebnis. Zwar ist die Partei historisch schlechte Ergebnisse inzwischen fast schon gewohnt, doch der erneute Misserfolg zeigt schonungslos: Die Krise ist noch nicht vorbei. Auch wenn es die Parteispitze nicht gern hört: Auf Kommunalebene entscheidet eben nicht allein die Person auf dem Wahlzettel, wo die Bürger ihr Kreuz machen. Die Wähler haben durchaus den Zustand der Bundespartei im Blick, anders sind die flächendeckenden Verluste kaum zu erklären.

Die NRW-Wahl dokumentiert ein grundlegendes Problem: Die SPD verliert vor allem die jungen Wähler. Unter den 16- bis 24-Jährigen verzeichnet die Partei laut Infratest dimap die größten Einbußen, minus 12 Prozentpunkte im Vergleich zu 2014. Am treuesten sind noch die über 70-Jährigen. In dieser Wählergruppe verlor die SPD mit 4 Prozentpunkten die wenigsten Stimmen. Ob es die falschen Inhalte waren oder die falschen Personen - nicht einmal die Partei selbst will das noch diskutieren. Uneins ist man sich schon in der Bewertung der Wahl. Während Parteichefin Saskia Esken von einem "enttäuschenden Ergebnis" spricht, sieht ihr Co-Chef Norbert Walter-Borjans die SPD im "Aufwärtstrend". Da fragt man sich, ob im Willy-Brand-Haus noch jemand miteinander spricht.

5. AfD und Linke spielen keine Rolle

Mit dem Ziel, auf 10 Prozent der Stimmen zu kommen, ist die AfD in diese Wahl gegangen. Nun fährt die Partei gerade mal die Hälfte ein und liegt sogar noch hinter der strauchelnden FDP (5,6 Prozent). Schon seit einiger Zeit geht der Trend nach unten. Mit dem internen Richtungsstreit, der Beobachtung von Teilen der Partei durch den Verfassungsschutz und dem Fehlen eines zugkräftigen Themas hat die AfD genug Ballast in den Wahlkampf gebracht, um Wähler abzuschrecken. Zwar liegt sie 2,5 Prozentpunkte über dem Ergebnis von 2014, allerdings war sie damals erst ein Jahr alt - und noch die Partei der Euroskeptiker um Bernd Lucke. Lediglich punktuell kann die AfD Erfolge feiern: In Mülheim holt sie 7,2 Prozent, in Duisburg 9,3 Prozent, in Gelsenkirchen 12,9 Prozent.

Vonseiten der Partei selbst wurde angesichts schlechter Umfragen schon vor der Wahl beklagt, die Kandidaten würden eingeschüchtert und bedroht. Das erklärt allerdings nicht, warum sie nicht gewählt werden. Mit Blick aufs gesamte Land zeigt sich vielmehr etwas anderes: Nicht nur spielt die AfD allgemein kaum eine Rolle, sie schneidet zudem bei den jungen Wählern besonders schlecht ab. Nur 4 Prozent erreicht sie in der Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen. Wenig besser sieht es bei den Linken aus. Sie kommen bei den Jungen nur auf 6 Prozent, insgesamt erreicht die Linke 3,8 Prozent. Der Trend geht auch in NRW weg von den politischen Rändern.

Quelle: ntv.de


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