Welche Langzeitfolgen Covid-19 haben wird, weiß heute natürlich noch niemand. Denn erst seit einem Dreivierteljahr ist der Erreger Sars-CoV-2 und die von ihm verursachte Erkrankung bekannt. Der Jenaer Mediziner Andreas Stallmach schätzt jedoch, dass mehr als die Hälfte derer, die wegen Covid-19 in einer Klinik behandelt werden mussten, Folgeschäden haben. Es gebe aber auch Menschen mit nur leichtem Krankheitsverlauf, die unter Spätfolgen litten, so Stallmach.
Aber welche möglichen Langzeitfolgen könnte Covid-19 verursachen? Klar ist: Der Erreger greift als Erstes und vor allem die Lunge an, weshalb er in diesem Organ auch nach der Genesung Spuren hinterlässt. Eine im August veröffentlichte Studie hatte Covid-19-Genese untersucht, welche im Krankenhaus behandelt werden mussten. Von diesen wiesen 70 Prozent noch einen Monat nach ihrer Entlassung Kurzatmigkeit auf, 13,5 Prozent griffen auch zu Hause immer noch auf Sauerstoff zurück.
Wie lange diese Symptome anhalten werden, ist allerdings unklar. Hinweise könnten jedoch Erfahrungen mit dem eng verwandten Sars-Virus geben, welches 2002 bis 2003 in einer kleinen Pandemie über die Erde zog. Im Rahmen einer Studie hatten Forscher zwischen 2003 und 2018 die gesundheitliche Entwicklung von 71 Menschen verfolgt, die an Sars erkrankt waren. Das Ergebnis: Von diesen hatten nach 15 Jahren immer noch fast fünf Prozent sichtbare Lungenschäden. Bei sogar mehr als einem Drittel war die Fähigkeit der Lunge eingeschränkt, Sauerstoff aufzunehmen.
"Nahezu alle Organe befallen"
Aber nicht nur die Lunge dürfte auf lange Sicht noch Symptome aufweisen. Denn mittlerweile ist klar, dass es sich bei Covid-19 nicht um eine reine Atemwegserkrankung handelt. "Die Viren können nahezu alle Organe befallen und so können auch an nahezu allen Organen Folgeschäden auftreten", sagt Mediziner Stallmach. Neben Luftnot könnte dies auch Konzentrationsstörungen und Depressionen bis hin zu Beschwerden bei Magen und Darm sein. Eine neue Studie belegt erstmals, dass das Virus bei einigen Menschen in die Gehirnzellen eindringt.
Eine Schwachstelle ist auch das Herz. Bereits während der akuten Erkrankung zeige etwa ein Drittel der Patienten Symptome, die mit dem Herz-Kreislauf-System zusammenhingen, sagte der chinesische Kardiologe Mao Chen gegenüber dem Fachmagazin "Nature". Demnach ist das Herz besonders empfindlich gegen Überreaktionen des Immunsystems, wie sie vor allem bei erwachsenen Covid-19-Patienten mit schweren Verläufen beobachtet wurden - die sogenannten Zytokinstürme.
Mögliche Folgen für Herz und Kreislauf: Etwa eine Verformung oder Verhärtung des Herzmuskels, welche den Pumpvorgang beeinträchtigt. Andere Patienten wiesen laut Chen eine Lungenembolie auf, bei der Blutgefäße in der Lunge meist durch Blutgerinnsel verstopft werden. Der Erreger kann aber auch die Zellen an der inneren Schicht von Blutgefäßen infizieren und dadurch beschädigen, und das im gesamten Körper.
Covid-19 führt jedoch nicht nur zu einer gefährlichen Überreaktion des Immunsystems, sondern schwächt es in manchen Fällen auch. Dies könnte auf lange Sicht zur Folge haben, dass Patienten auch nach einer Genesung anfälliger für Infektionen durch andere Erreger seien können. Einen Hinweis darauf geben ebenfalls Erfahrungen mit dem Sars-Virus der Jahre 2002 bis 2003. Für den Vorgänger von Sars-CoV-2 ist bekannt, dass er das Immunsystem dämpft, indem er die Produktion von Interferonen hemmt - das sind antivirale Botenstoffe, die die Abwehr des Körpers üblicherweise in einen Alarmzustand versetzen.
Mysteriöses Symptom Erschöpfung
Eine weitere, bisher noch wenig verstandene Langzeitfolge von Covid-19 ist die schwere Erschöpfung. In den vergangenen Monaten häufen sich die Berichte von Menschen, die unter einer lähmenden Schlappheit und Unwohlsein leiden, nachdem sie an Covid-19 erkrankt waren, heißt es in dem "Nature"-Bericht. Sie haben Schwierigkeiten, morgens aufzustehen und können nur einige Minuten oder Stunden am Stück arbeiten. Laut einer Studie aus Italien zu 143 Covid-19-Patienten, die das Krankenhaus verlassen hatten, klagten etwas mehr als die Hälfte noch zwei Monate später über Erschöpfung und rund 40 Prozent über Kurzatmigkeit.
Allerdings haben Experten derzeit noch Schwierigkeiten, Covid-19 mit Erschöpfung in Zusammenhang zu bringen. Aber auch bei diesem Symptom gibt es Ähnlichkeiten zu dem älteren Sars-Virus: Eine Studie aus dem Jahr 2011 beschrieb 22 ehemalige Sars-Patienten, die 13 bis 36 Monate nach der Infektion noch nicht in der Lage waren, zu arbeiten. Eine andere Studie aus dem Jahr 2009 stellte bei 40 Prozent von Sars-Genesenen eine chronische Erschöpfung fest.
Covid-19 kann einer weiteren Studie zufolge offenbar auch psychische Folgen wie Traumata, Angst- und Schlafstörungen sowie Depressionen nach sich ziehen. Einen Monat nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus, zeigte mehr als die Hälfte der 402 beobachteten Patienten mindestens eines dieser Krankheitsbilder, wie eine Untersuchung des Mailänder Krankenhauses San Raffaele ergab. Die Schwere der Störungen habe dabei der Schwere der Erkrankung entsprochen.
Quelle: ntv.de, mit dpa/rts
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