Kann Spahn den Schaden eindämmen?

  17 September 2020    Gelesen: 520
Kann Spahn den Schaden eindämmen?

Am Anfang der Pandemie war Schnelligkeit gefragt, Masken mussten her. Heute ist klar: In der Panik gab es zu viele und zu teure Vertragsabschlüsse. Der Schaden ist immens. Laut "Capital" kann der Bund aber gegen die aufgerufenen Preise nachträglich vorgehen.

Wenn der Staat Bestellungen aufgibt, ist das selten spektakulär. Doch im Fall des massenweisen Einkaufs von Masken und anderer Schutzausrüstung in der Corona-Krise ist das anders: Er liefert genug Stoff für einen Krimi. Erst verfügte der Bund zu Beginn der Pandemie über viel zu wenige Schutzmasken für das medizinische Personal. Nach einer beispiellosen Einkaufsoffensive unter Führung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sitzt er nun auf viel zu vielen. Seit Monaten versucht das Gesundheitsministerium deshalb mithilfe externer Berater, ein völlig außer Kontrolle geratenes Bestellverfahren in den Griff zu kriegen. Längst geht es in Spahns Maskenkrimi, der mittlerweile auch mehrere Gerichte und Heerscharen von Anwälten beschäftigt, nicht nur um Milliardensummen. Es geht auch um die Frage, ob der Staat die Regeln für Aufträge in einer Pandemie einfach außer Kraft setzen kann – und was Verträge mit dem Staat wert sind.

Seit März, als Schutzmasken plötzlich weltweit knapp und hart umkämpft waren, hat der Bund nach Angaben des Gesundheitsministeriums rund drei Milliarden Schutzmasken beschafft. Dabei setzte er auf verschiedene Beschaffungskanäle - von direkten Verträgen mit Lieferanten über die Unterstützung deutscher Konzerne wie VW und BASF, die über gute Einkaufsnetzwerke in China verfügen, bis hin zu einem speziellen Auftragsverfahren mit Hunderten Lieferanten. Das Auftragsvolumen hinter den rund drei Milliarden Masken laut Spahns Ressort: ein "mittlerer einstelliger Milliardenbetrag".

Darüber hinaus beauftragte das Gesundheitsministerium Ende März für den Maskeneinkauf auch einen zentralen Logistikdienstleister: die Firma Fiege. Für den Bund steuerte das Logistikunternehmen aus Spahns Nachbarwahlkreis im Münsterland den Lufttransport von Schutzausrüstung aus China nach Deutschland und übernahm im Inland die Lagerung und Weiterverteilung der Masken an die Bundesländer und die Kassenärztlichen Vereinigungen. Auf Anfrage von Capital bestätigte das Ministerium, dass der Auftrag an Fiege aufgrund der Dringlichkeit ohne Ausschreibung erfolgte. Die bisherigen Ausgaben für die Logistik bezifferte es auf einen "niedrigen dreistelligen Millionenbetrag".

Eine Rolle spielte Fiege auch als zentraler Logistikdienstleister in jenem sogenannten Open-House-Verfahren, das im Zentrum der Kritik an Spahns Einkaufsmanagement steht. Allein in diesem speziellen Bestellverfahren erteilte der Bund Anfang April Zuschläge an 738 Maskenlieferanten, die ihre Ware Ende April in einem Zentrallager von Fiege in der Nähe von Erfurt anliefern mussten. Gesamtvolumen der Zuschläge: rund 6,4 Mrd. Euro.

Bei einem Open-House-Verfahren erhalten sämtliche Auftragnehmer einen Zuschlag, die angeben, bestimmte Auftragsbedingungen und Mindestmengen erfüllen zu können. Für den Staat hat ein solches Vergabeverfahren den Vorteil, dass es schnell geht, was Spahn und seine Berater im Frühjahr aufgrund der "eklatanten Knappheit der Güter auf dem internationalen Markt und der sich rapide verschlechternden weltweiten Krisensituation" für vordringlich hielten. Der Nachteil eines Open-House-Verfahrens ist, dass vorab kaum kalkulierbar ist, wie viele Lieferanten mit welchen Stückzahlen teilnehmen. Ein zentraler Faktor dafür: der Preis. In diesem Fall garantierte das Gesundheitsministerium Anfang April seinen Lieferanten 4,50 Euro netto je Maske der Schutzklassen FFP2 und FFP3 für eine Lieferung von mindestens 25.000 Stück zu einem festen Termin – ein Preis, der offensichtlich mit dazu führte, dass der Bund von Auftragnehmern überrannt wurde und dass die anfänglichen Zuschläge das geplante Budget für dieses Beschaffungsverfahren deutlich überschritten.

Massiver Preisverfall bei Masken

Doch nach den Preisschüben wegen der weltweiten Nachfrageexplosion nach Schutzausrüstung zu Beginn der Pandemie im Frühjahr hat sich die Marktlage längst wieder deutlich entspannt. Schon seit Monaten lassen sich FFP2-Masken in China für weniger als ein Euro pro Stück beschaffen. Vergaberechtsexperten wie der Hanauer Anwalt Harald Nickel fordern daher den Bund auf, den im Open-House-Verfahren zugesagten Preis von 4,50 netto pro FFP2-Schutzmaske nachträglich zu überprüfen.

Nickel verweist auf eine Verordnung mit der sperrigen Bezeichnung „Verordnung PR Nr 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen“, nach der bei Aufträgen des Staates für marktgängige Leistungen die preisrechtlich zulässigen Preise nicht überschritten werden dürfen. „Die Preisverordnung soll den Staat gerade im Falle von Lieferengpässen vor Ausbeutung schützen, also etwa auch bei besonderen Bedingungen im Fall einer Pandemie", sagte Nickel. "Deshalb ist es angezeigt, dass die Preisbehörden die vereinbarten Preise überprüfen, um sicherzugehen, dass dem Bund kein Vermögensschaden entsteht." Für die Prüfung zuständig ist in der Regel die Preisbehörde des Bundeslandes, in dem ein Auftragnehmer seinen Sitz hat.

Der Artikel erschien am 16. September bei Capital.de.

Hinweis der ntv.de-Redaktion: Viele Händler und Lieferanten warten bis heute auf Zahlungen des Ministeriums - 55 Klagen sind in der Sache bereits vor dem Landgericht in Bonn eingelaufen. Nach Informationen von ntv soll am 25. September die erste Verhandlung stattfinden.

Quelle: ntv.de


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