“Da saß ein Toter. Ein Geist war an Bord“

  01 März 2016    Gelesen: 1104
“Da saß ein Toter. Ein Geist war an Bord“
Der tote deutsche Segler, der auf seinem Boot vor der philippinischen Küste geborgen wurde, gibt den Ermittlern Rätsel auf. Die Einheimischen, die ihn fanden, sind erschüttert.
Ein Körper, fahl und brüchig, wie dreckiger feuchter Sand. Zusammengesunken an einem Tisch, halb verwest, nur noch in Form und Haltung einem Menschen ähnlich. "So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen!", sagt Christopher Rivas y Escarten erschüttert.

Der 23-jährige Fischer war es, der das verlassene Segelschiff mit der Leiche an Bord am vergangenen Donnerstagnachmittag als Erster auf hoher See gesichtet hatte, knapp 100 Kilometer vor der Küste der südphilippinischen Insel Mindanao: eine weiße Yacht mit Schlagseite, der Mast gebrochen, ziellos herumdümpelnd. Rivas war es, der allein an Bord ging. Er fand Totenstille und fauligen Geruch. Die einzigen Geräusche stammten von herumrollenden Gegenständen an Bord und dem Klatschen des Wassers an die Schiffswand der Yacht "Sajo". Und er fand die Männerleiche am Tisch vor dem stummen Funkgerät.

"Ich war völlig erstarrt. Konnte mich nicht mehr bewegen", erzählt er im Gespräch mit der "Welt". "Und ich hatte furchtbare Angst: Da saß ein Toter. Ein Geist war an Bord. Es war ein Geisterschiff!"

Geister sind real auf den Philippinen

Seit er 17 Jahre alt war, fährt Rivas zum Fischen auf den Pazifik hinaus, genau wie sein Vater vor ihm und alle Männer in seiner Nachbarschaft. Er stammt aus Barobo, einer knapp 45.000-Seelen-Gemeinde in der philippinischen Provinz Surigao del Sur. Ein paar Touristen verirren sich hierher, es gibt Strände und Lagunen, ein paar Höhlen und vor allem reichhaltige Fischgründe. Die Menschen hier kommen nicht viel herum. Sie kennen das Meer, nicht die weite Welt.

Christopher Rivas weiß um die Gefahren des Ozeans. Trotzdem hat ihn dieses Erlebnis bis ins Mark getroffen. Die Menschen auf den Philippinen sind abergläubisch: Wo der Tod zugeschlagen hat, dort ist der Ort verflucht. Geister sind für die meisten in dem südostasiatischen Inselstaat keine Märchen, sie sind real – und bedrohlich.

Trotzdem hat Rivas nach dem ersten Schrecken schnell gehandelt, er rief seine Kumpel auf dem eigenen Boot, gemeinsam vertäuten sie die "Sajo" an ihrem Heck und zogen das seeuntüchtige Schiff die ganze Nacht und den folgenden Morgen hindurch bis kurz vor ihren Heimathafen Barobo. Über sein Handfunkgerät rief er Freunde an Land an, die verständigten die Polizei.

Am Freitag um drei Uhr nachmittags erreichten sie endlich mit ihrem grausigen Fund ihr Ziel. Es herrschte Ebbe, und weil das Wasser nicht tief genug war, mussten sie die Yacht ein Stück vom Ufer entfernt zurücklassen. Inzwischen waren die Küstenwache und die Polizei zur Stelle. Die Ermittlungen rund um den rätselhaften Toten begannen.

Yacht war bewegungsunfähig

"Christopher Rivas war sehr mutig!", bestätigt auch Mark Navales, stellvertretender Polizeichef von Barobo und verantwortlich für die Untersuchung rund um das Geisterschiff. Er selbst hat den Tatort "Sajo" inspiziert: "Die Yacht war bewegungsunfähig, die Instrumente und Motoren funktionierten nicht mehr. Einige Ausrüstungsgegenstände waren nicht an ihrem Platz, das ist mysteriös. Trotzdem gibt es bisher keine Hinweise auf ein Verbrechen."

Persönliche Gegenstände waren gefunden worden, die auf die Identität des Toten hinwiesen: Manfred Fritz B., 59, aus Deutschland. Es gab Urkunden für die Überquerung des Äquators, ausgestellt auf zwei Personen, Manfred B. und seine Frau Claudia: Ihre Spitznamen auf den Zertifikaten: "Tiger Shark" und "Angel Fish".

Die Polizisten fanden außerdem von der Feuchtigkeit stark mitgenommene Gruppenfotos: eine fröhliche Runde um einen reich gedeckten Frühstückstisch. Die Polizei von Barobo hat einige der Fundstücke zusammen mit den Tatortfotos von Bord der "Sajo" auf ihrer Facebook-Seite gepostet. Eine Geldbörse fand sie nicht.

Seit sieben Jahren allein durch die Weltmeere

Seit wann die "Sajo" fahruntüchtig war und was Manfred B. das Leben gekostet hat, ist immer noch ein Rätsel. Ein Team der Küstenwache nimmt das Schiff gerade auseinander, im Krankenhaus der größeren Stadt Butuan City wird die Autopsie der Leiche durchgeführt. Die Ergebnisse stehen noch aus.

"Wir wissen bisher nur mit Sicherheit, dass das Opfer seit mindestens vier Tagen tot war, als es gefunden wurde", erklärt Navales. "Die Pathologen sagen, dies könne man zu diesem Zeitpunkt zweifelsfrei sagen". Die Betonung, meint Navales, liegt wohl auf "mindestens", der Todeszeitpunkt könne auch deutlich weiter zurückliegen.

Der Inspektor persönlich meint, allein der Anblick der Leiche lasse darauf schließen, dass der tote Segler Wochen, Monate, vielleicht länger den Elementen ausgesetzt war. Doch die Experten haben ihren ersten Befund noch nicht revidiert.

Inzwischen konnten ein paar Puzzleteilchen aus dem Leben Manfred B.s zusammengetragen werden: Er soll seit sieben Jahren allein durch den Nordpazifik gesegelt sein, ein erfahrener Skipper, der wusste, was er tat. Ein Jahr zuvor hat er sich laut Medienberichten von seiner Frau Claudia getrennt, die vorher mit ihm gemeinsam unterwegs war. Sie starb inzwischen an Krebs.

Der Anblick des toten Seglers auf dem stummen Geisterschiff wird Christopher Rivas bis an sein Lebensende verfolgen. Die Angst vor den Geistern wird er nicht los. "Ich bete", sagt der fromme Katholik, "dass sie mir nichts Böses tun!"

Quelle : WELT.DE

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