Wenn es früher eine Reisewarnung für ein Land gab, wussten Urlauber: Nichts wie weg. Und erst recht nicht dahin! Mit der Corona-Pandemie hat sich das geändert: Die Reisewarnung wurde zu einer Art behördlicher Empfehlung. Rasch ausgesprochen, aber im Zweifel auch schnell wieder zurückgenommen, je nach Infektionslage. Wie konnte es dazu kommen - und was heißt das für den Urlaub?
"Wenn das Auswärtige Amt früher eine Reisewarnung ausgesprochen hat, war das eine sehr harte Währung", erzählt Ralf Hieke von Reisebüro Strier im nordrhein-westfälischen Ibbenbüren, Vertreter der mittelständischen Reisebüros beim Deutschen Reiseverband. "Jeder wusste, da ist etwa Schwerwiegendes vorgefallen. Das hat eine Maschinerie in Gang gesetzt, Veranstalter und Reisebüros wussten, was zu tun war, und die Kunden fühlten sich gut betreut."
Oft reichte es schon, wenn das Auswärtige Amt lediglich dringend von Reisen abriet - die letzte Dringlichkeitsstufe vor einer Reisewarnung. Schon bei diesem Appell brachten Veranstalter in der Regel ihre Gäste zurück nach Deutschland, Reisen konnten kostenlos storniert werden. So war es zum Beispiel im Sommer 2013 in Ägypten, als es nach dem Sturz Mohammed Mursis zu landesweiten Unruhen kam.
Die Reisewarnung war stets das schärfste Schwert der Bundesregierung, eine rote Fahne bei Bürgerkriegen, Putschen und politischen Krisen, für gescheiterte Staaten und gefährliche Weltgegenden - etwa Irak, Afghanistan, Somalia oder die Sahelzone. Auch bei schwersten Naturkatastrophen gab es oft regionale Reisewarnungen.
Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie kam es zu einem Novum: Die Bundesregierung sprach eine weltweite Reisewarnung aus. Im Lauf des Sommers wurde diese in Europa zunächst weitgehend aufgehoben. Doch als die Infektionen wieder zunahmen, gab es erneut Reisewarnungen - für Mallorca und die Kanaren, Korsika und Kroatiens Strände, Paris und Prag, sogar für ganz Spanien. Trotzdem sagten manche Veranstalter ihre Reisen nicht mehr komplett ab.
Veranstalter setzen sich über Warnungen hinweg
Eine Reisewarnung war nie ein Reiseverbot. Trotzdem sahen sich Veranstalter spätestens dann dazu veranlasst, ihre Pauschalreisen abzusagen und gebührenfreie Stornierungen anzubieten. Die Warnung galt rechtlich als starkes Indiz für ein außergewöhnliches Ereignis, das die Reise erheblich beeinträchtigt. In der Praxis machten die Veranstalter die Reisewarnung zum Prüfstein ihrer Entscheidungen.
Genau das ist nicht mehr unbedingt der Fall. Alltours zum Beispiel erklärte nach der neuerlichen Reisewarnung für Mallorca, man lasse den Kunden die Wahl, ob sie weiterhin reisen wollten. Der Kunde kann kostenlos vom Vertrag zurücktreten - aber er muss nicht. Und mancher Spezialreiseveranstalter brachte seine Gäste schon Anfang September wieder zur Safari nach Tansania, trotz Reisewarnung.
Viele Reisebüros plädieren dafür, dass Veranstalter ihren Kunden künftig die Wahl lassen. Das zeigt die Umfrage eines Branchendienstes unter Vertriebsmitarbeitern. Auch Neubuchungen sollten trotz einer Reisewarnung weiter möglich sein, so die Forderung.
Individualreisende können ohnehin weiterhin Urlaub in Regionen machen, für die es eine Reisewarnung gibt - sofern ihnen die Einreise ins Zielland gestattet ist. Zum Beispiel nach Mallorca gibt es für den Herbst nach wie vor Flüge in den Buchungssystemen.
Kritik an der Bundesregierung
Für die Reisebranche geht es um ihre Existenz: Jeder neue Warnung vor einem Urlaubsziel und jede weitere Verlängerung kosten viel Geld. Die Politik steht in der Kritik, wegen widersprüchlicher Botschaften.
Für Unmut sorgte etwa die Aussage des Gesundheitsministers Jens Spahn, eine Reisewarnung sei kein Reiseverbot. Man könne und solle den Urlaub auch fortsetzen, jedoch wachsam sein, Abstand halten und Hygieneregeln beachten. Da mochte sich der eine oder andere Reisende fragen: Was denn nun? Und warum war Mallorca gestern noch sicher und heute nicht mehr, nur wegen ein paar Corona-Infektionen mehr?
Das Hin und Her bei den Reisewarnungen verunsichert die Urlauber: "Die Instabilität in den Empfehlungen hemmt das Reiseverhalten ganz enorm", sagt Prof. Torsten Kirstges, Tourismusexperte von der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven. Schon ab Ostern hätte es seiner Ansicht nach regional differenzierte Reisehinweise geben müssen. "Mit den Sommerferien waren die Reisewarnungen völlig fehl am Platz, weil sie das wahre Risiko nicht abgebildet haben."
Zurück zu einer individuellen Bewertung
Für eine Pandemie seien Reisewarnungen letztlich das falsche Instrument, so Kirstges. Ähnlich wie bei Malaria und anderen Infektionskrankheiten könne man künftig in den Reise- und Sicherheitshinweisen auch auf Corona hinweisen. "Reisehinweise müssen einen verbindlichen Charakter haben, regional differenziert sein und objektiven Kriterien entsprechen", forderte kürzlich Ingo Burmester, Zentraleuropa-Chef von DER Touristik. Doch gerade diese Verbindlichkeit ist derzeit nicht gegeben.
Immerhin fällt nun die pauschale Reisewarnung für fast alle der rund 160 Länder außerhalb der EU und des Schengen-Raums. Ab 1. Oktober soll es individuelle Bewertungen geben, die auf die Corona-Situation in den einzelnen Staaten zugeschnitten sind. Für Reisende wird die Lage dann aber eher noch unübersichtlicher.
Gut möglich, dass von Reisen in viele Länder weiter abgeraten wird. Auch dann besteht oft ein Recht auf Gratis-Stornierung - wenn die Reise aller Wahrscheinlichkeit nach erheblich beeinträchtigt sein wird, etwa durch behördliche Einschränkungen vor Ort. Und das Hin und Her mit regionalen Warnungen könnte sich fortsetzen.
Quelle: ntv.de, Philipp Laage und Friederike Marx, dpa
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