Warum die Proteste ein Risiko bergen

  25 September 2020    Gelesen: 578
Warum die Proteste ein Risiko bergen

Sie sind wieder auf der Straße: Fridays for Future im Streik für mehr Klimaschutz. Ihr massenhafter und ausdauernder Protest stellt die Generationen vor ihnen in den Schatten. Und er birgt Gefahren, wenn man ihn unterschätzt.

"I want you to panic", sagt Greta Thunberg auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2019, "Ich will, dass ihr in Panik geratet." Das internationale Spitzenpersonal aus Politik und Wirtschaft hört einer damals 16-Jährigen zu, die ausspricht, was Gleichaltrige auf der ganzen Welt den letzten Nerv kostet: Das behäbige, immerzu abwägende, mutlose Agieren der Mächtigen, wenn es um den Klimaschutz geht. Zu diesem Zeitpunkt ist die junge Schwedin schon zur Ikone geworden für eine Bewegung, die ein halbes Jahr später Millionen Menschen rund um den Erdball auf die Straße bringen wird: Fridays for Future (FFF).

Mit ihrer Kompromisslosigkeit hebt die Protestbewegung die Bedrohung durch den Klimawandel auf einen Spitzenplatz der politischen Agenda in Deutschland - nachdem die Regierenden über Jahrzehnte den Eindruck erweckt haben, als sei aus ihrer Sicht beim Thema Umweltschutz mit ein paar Krötenschutzzäunen an der Autobahn alles Nötige getan. Kerosinsteuer? Kohleausstieg? Weltfremde Forderungen einiger Klimaromantiker.

Diese bis vor Kurzem übliche Haltung kann sich kaum jemand in der Politik noch leisten, seit FFF mit Schulstreiks und Protestaktionen die Regierung unter Zugzwang setzt. Nie zuvor in der Geschichte seien so junge Menschen so massiv auf die Straße gegangen, um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, erklärt der renommierte Jugendforscher Klaus Hurrelmann in seinem neuen Buch "Generation Greta".

Sich einmischen ist "in"

Hurrelmann zufolge lebt die Bewegung von der politischen Begabung einer kleinen Gruppe von etwa fünf Prozent ihrer Generation. Dazu kommen bis zu 20 Prozent Sympathisanten. So ergreift die Lust am Protest also längst nicht die ganze Generation, doch ist das auch nicht notwendig. Die 68er-Bewegung speiste sich laut dem Experten gerade mal aus zehn Prozent der Studierenden. Die waren genug, um Veränderungen loszutreten, die Deutschland bis heute prägen.

Dazu scheint auch die Generation Greta bereit. Mit 45 Prozent interessiert sich beinahe die Hälfte der Jugendlichen nach der jüngsten Shell-Jugendstudie für Politik. Um die Jahrtausendwende war es nur ein Drittel. 35 Prozent sagen heute gar, es sei "in", sich aktiv einzumischen. Bloß kann der Politikbetrieb von dem Interesse kaum profitieren. Bei der Frage, welchen Institutionen Jugendliche vertrauen, landen politische Parteien auf dem allerletzten Platz.

Bei der Europawahl 2019 schenkten die Jungen CDU/CSU und SPD kaum Beachtung. In ihren Fokus rückte die Union zuletzt, als der Youtuber Rezo sie online einem einstündigen Faktencheck unterzog. Der Titel nahm sein Ergebnis vorweg: "Die Zerstörung der CDU". Hurrelmann empfiehlt den alten Volksparteien dringend, die Umweltpolitik "mit in den Kern ihres parteipolitischen Handelns aufzunehmen". FFF hätten den Klimawandel zum Jugendthema erklärt und damit gewissermaßen eine "Generationenfalle" aufgestellt.

Parteien als starre Altenklubs

Wer da nicht hineintappen will, muss beweisen, dass er Klimaschutz ernst meint. Durch ihre umweltpolitische Ausrichtung sind die Grünen da deutlich im Vorteil. Doch es gibt der Shell-Studie zufolge auch ein Drittel der Generation, das populistisch orientiert ist. Bei ihnen kann die AfD punkten. Die etablierten Parteien der Mitte erscheinen den Jungen wie starre Altenklubs, an denen sie alles vermissen, was ihr Leben ausmacht: schnell, flexibel, digital zu sein.

In ihrer Kraft und Kompromisslosigkeit sieht Hurrelmann auch die größte Gefahr, für die Generation Greta, aber auch für die Gesellschaft: Nämlich dann, wenn sie scheitert. "Da sind tief sitzende Emotionen im Spiel, und wenn die enttäuscht werden, könnte das zu einer Radikalisierung führen", sagt der Jugendforscher ntv.de. Wenn das Klimapaket der Bundesregierung nicht systematisch weiterentwickelt werde, dann könnte sich FFF "mit den schon vorhandenen, extrem orientieren Umweltgruppen, die viel radikaler auftreten, verbünden".

Ein "Alptraumszenario" ist aus Sicht des Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck das Risiko, dass die Jungen am Ende an der Demokratie zweifeln könnten, wenn sie von den Alten nicht gehört werden: "Wenn die Lehre aus den Protesten ist: Demokratischer Protest bringt nichts, dann haben wir nicht nur eine Generation enttäuscht, sondern uns ein massives Problem eingehandelt", sagte er am Montag auf einer Podiumsdiskussion zum Thema. "Das darf nicht passieren."

"Bei Wahlen entscheiden die Älteren"

Wissenschaftler Hurrelmann plädiert für Beistand. Denn die Jugendlichen kämpfen auch mit dem speziellen Problem, dass sie durch Geburtenrückgang sehr wenige sind. "Es sind Jahrgangsstärken von 750.000", erklärt er. "Man muss sich nur klarmachen: Die Babyboomer-Generation ist doppelt so groß gewesen, das waren bis zu 1,4 Millionen Geburten pro Jahr damals. Das heißt: Bei Wahlen entscheiden heute die Älteren. Deren Unterstützung brauchen die jungen Leute, wenn es wahlwirksam werden soll."

Der Grüne Habeck, im besten Babyboomer-Alter, schwärmt im Gespräch mit ntv.de von der Versiertheit, mit der sich junge Leute in der Partei den Zugang zur Macht organisieren. "Am stärksten beeindrucken mich die Leute, die nicht darauf warten, dass der Parteivorsitzende sagt 'Macht mal', sondern die einfach machen und im Zweifelsfall auch eine andere Position vertreten als ich. Und darüber kann man dann debattieren."

Doch beide, Habeck und Hurrelmann, sehen bei allem Engagement der Generation Greta noch ein weiteres Risiko: Es beteiligen sich bei Fridays for Future beinahe nur Kinder von Gymnasien und aus gutsituierten Elternhäusern. "Das hat also eine ganz starke Schlagseite. Wenn politisches Engagement so stark mit Bildungsgrad zusammenhängt und der Gebildetheit und der Sicherheit, sein Leben führen zu können", so Hurrelmann, dann sei das riskant für die Demokratie. Ein Problem: Die Welt ist heute komplexer, gemischter, unklarer als vor 20 Jahren. Bildung für möglichst alle ist darum der Schlüssel für Hurrelmann, "aber auch Angebote machen, dass ich mich politisch beteiligen und politisch ausdrücken kann, ohne dass ich einen hohen Bildungsgrad habe".

Quelle: ntv.de


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