Legal Highs für Teenies, Schlaftabletten für Oma

  03 März 2016    Gelesen: 1481
Legal Highs für Teenies, Schlaftabletten für Oma
Drogenköche mixen Neues, was in Gesetzeslücken passt, Ärzte verschreiben zu viele Schlafmittel und arme Länder können Schwerkranke nicht mit Schmerzmitteln versorgen.
Psychopharmaka, Schmerz- oder Schlafmittel – es gibt viele Arzneimittel, deren Wirkstoffe genauso als illegale Droge funktionieren. Einerseits sollte jeder Staat an diese Stoffe herankommen, um Kranke optimal versorgen zu können. Gleichzeitig möchte die Weltgemeinschaft verhindern, dass Morphine, Opiate und ähnliche Wirkstoffe auf dem illegalen Drogenmarkt landen. Das zu überwachen und zu beobachten, ist Aufgabe des Internationalen Drogenkontrollrats der Vereinten Nationen (INCB).

In seinem Jahresbericht, der am Mittwoch veröffentlicht wurde, beschreibt der INCB, wo es Versorgungslücken mit Arzneimitteln gibt, welche Medikamente häufig als Drogen missbraucht werden und welche neuen psychoaktiven Substanzen unkontrolliert auf dem Markt aufgetaucht sind.

Legal Highs gewinnen an Bedeutung

Bis Oktober 2015 hatten die Mitgliedsstaaten des INCB 602 neue psychoaktive Substanzen gemeldet, gegenüber dem Vorjahr mit 388 neuen Stoffen. Dazu zählen "Legal Highs" genannte Stoffe, die wie Rauschmittel wirken, aber noch nicht unter die örtlichen Betäubungsmittelgesetze fallen. Sie gelten als legal, solange sie nicht von Behörden entdeckt, geprüft und juristisch eingeordnet worden sind.

Drogenhersteller nutzen dabei gezielt Gesetzeslücken: Es reicht vielfach, wenn sich die chemische Struktur einer Substanz nur minimal von einer bereits als illegal eingestuften Droge unterscheidet – und schon ist man erst mal vor Strafverfolgung geschützt. Das Riskante: Die Konsumenten können kaum einschätzen, was der Stoff im Körper bewirkt.

Zu viele ältere Menschen bekommen Schlafmittel

Noch eine andere Gruppe legaler Suchtmittel bereitet den Autoren des INCB Sorgen: Schlafmittel. Diese würden oft unnötig verschrieben, insbesondere ältere Menschen würden in einigen Ländern enorme Mengen an Benzodiazepinen schlucken. Wirken sollen die Mittel gegen Schlaflosigkeit und Angstzustände. Gerade für Ältere, die viele verschiedene Arzneimittel nehmen, seien die Schlafmittel wegen möglicher Wechselwirkungen aber riskant, heißt es in dem Bericht. Zudem erhöhe sich das Risiko einer Medikamentenabhängigkeit, wenn sie die Schlafmittel über lange Zeit und in zu hohen Dosierungen einnehmen.

Zugleich weist das INCB darauf hin, dass die Europäer und Nordamerikaner mit fast 95 Prozent des weltweiten Verbrauchs die meisten Schmerzmittel schlucken. Menschen in ärmeren Ländern sind dagegen unterversorgt und haben kaum Zugang zu den Mitteln.

Der Konsum illegaler Drogen ist in Europa weit verbreitet. Am häufigsten rauchen Europäer zwischen 15 und 64 Jahren laut dem Bericht Cannabis (19,3 Millionen). 3,4 Millionen nehmen Kokain, 2,1 Millionen Ecstasy, 1,6 Millionen Amphetamine.

Mehr neue Substanzen aus dem Netz

Lokal produzierte Drogen, aber auch geschmuggelte Stoffe versorgen in Europa den Markt. Das Internet scheint eine wachsende Rolle beim Drogenkauf zu spielen. Vor allem neue psychoaktive Substanzen (NPS) geraten so in den Umlauf. Oft bieten Webseiten sie kiloweise an. Wie groß dieser Markt genau ist, konnte auch der Drogenkontrollrat nicht feststellen. Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht hat bis März 2015 mehr als 450 NPS registriert. Allein 2014 hat das Frühwarnsystem der EU 101 neue Stoffe erfasst.

Der INCB betont, dass das höchste Ziel der internationalen Drogenkontrollabkommen sein müsse, die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten. Sie bevollmächtigen die Staaten demnach nicht zu einem Krieg gegen Drogen, sondern raten dazu, human und ausgewogen gegen Delikte vorzugehen. Der Präsident des Rates, Werner Sipp, schreibt im Vorwort des Berichtes: "Jede Reaktion auf drogenbedingte Straftaten muss verhältnismäßig sein." Die Staaten sollten sich stärker auf die Strafverfolgung von Drogenhändlern und -produzenten konzentrieren. Konsumenten sollten sie unter anderem mit Präventions- und Therapieangeboten schützen.

Verbote helfen nur bedingt

Das harte Strafen und Gesetze Menschen, die illegale Drogen nehmen wollen, kaum aufhalten, hat sich in der Vergangenheit gezeigt. Wissenschaftler und Mediziner setzen daher zunehmend auf Aufklärung – auch darüber, wie sich illegale Drogen so konsumieren lassen, dass wenig Schaden entsteht. Denn egal ob zum Entspannen, zur Leistungssteigerung, um Krankheitssymptome zu lindern oder nur zum Spaß – Millionen Menschen nehmen weltweit Drogen. Fast ein Viertel der Erwachsenen in der EU hat mindestens einmal im Leben illegale Drogen ausprobiert, stellt auch der INCB-Bericht fest.

Darüber aufzuklären, wie Drogen wirken, welche Risiken in ihnen stecken und was Menschen, die nicht darauf verzichten wollen, dabei wenigstens beachten sollten, ist auch Ziel der weltweit größten Umfrage unter Drogennutzen, dem Global Drug Survey.
ZEIT ONLINE hat seine Leser im letzten Jahr erneut aufgerufen, an der Umfrage teilzunehmen. Auf Basis der Daten erscheint im Frühjahr der nächste große ZEIT-ONLINE-Drogenbericht. (Die Ergebnisse aus dem Jahr 2015 lesen Sie hier für Deutschland und international.)


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