In einer dunklen Seitenstraße von Tokio gibt es einen Ort, der nicht aus dieser Welt zu sein scheint. Achtspurige Straßen durch senkrechte Hochhausschluchten führen daran vorbei. Morgens und abends quälen sich Kolonnen von Autos, Motorrädern und Kleinlastern über den Asphalt. Die Bahnstation Akihabara ist nicht weit, jede Sekunde spucken die Züge Tausende Menschen aus.
In diesem Universum aus Lärm und Abgasen liegt ein Ort der vollkommenen Stille. Oder besser gesagt: eine Oase, in der Mozarts "Kleine Nachtmusik" aus den Boxen perlt. Die Wände sind weiß gestrichen, die Decke weiß, der Fußboden weiß. Ein paar Tische und Stühle. Man könnte glauben, tatsächlich in einem Café zu sitzen. Doch man kann hier nichts bestellen, kein Wasser, keinen Grüntee, keinen Reiswein.
Stattdessen drückt mir Shusaku Yabe, ein Mittdreißiger mit weißem Shirt, Krawatte und goldumrahmter Brille, einen Flakon mit Desinfektionsmittel in die Hand. "Für das Wohl der Tiere", sagt er. Yabe meint: für das Wohl von "Peanut", "Kabuki", "Cherry Tomato", "Snowman" und "Mr. President". Denn auch der ist heute hier, mit herrschaftlichem Blick thront der Malayen-Uhu über allem.
Japan, das Land von Anime und Manga, hat viele schräg anmutende Dinge hervorgebracht: beheizte Klobrillen und hochmoderne Züge zum Beispiel, die auf die Sekunde genau pünktlich sind. Ein Zugführer, der 20 Sekunden zu früh aus dem Minami-Nagareyama-Bahnhof bei Tokio fuhr, musste dafür einmal eine schriftliche Erklärung bei seinem Arbeitgeber abgeben. Die Bahngesellschaft entschuldigte sich später öffentlich für den Zwischenfall.
Eulen symbolisieren Weisheit und Glück
Für 2000 Yen, umgerechnet 16 Euro, kann man in dieser Stadt auch eine Stunde lang Eulen näher kommen, denn Yabe und seine Frau Yukiko bringen die Wildnis nach Tokio. Nicht drücken, nicht knuddeln, bestenfalls auf der Stirn kraulen - das steht im "Owl Cafe Guide". Nur Flugverbot herrscht in dem Raum nicht. Überall flattert es. Ich habe schnell Kabuki, einen Fleckenuhu, auf der Schulter. Viereinhalb Jahre, 650 Gramm, die Heimat seiner Art liegt eher in Kamerun, Kenia und dem Kongo als in Tokio.
In der Runde sind an dem Abend vor der Coronakrise, an dem ich das Café besuche, vor allem Touristen: Franzosen, Spanier, Amerikaner. Ein deutsches Paar sitzt wie angewurzelt da. Beide haben Eulen auf dem Arm. Macht man ja nicht alle Tage. Nur einen einzigen Japaner als Gast zu haben, ist für Yabe eher eine Ausnahme. Denn entstanden sind die Eulen-Cafés für sie: die Einheimischen. "Bei uns steht die Eule für Weisheit, aber auch für Glück", sagt Yabe.
Vor allem junge Leute liebten die Tiere. Es sei ein Teil der Kawaii-Kultur, der "Niedlich-niedlich-Kultur" vieler junger Japaner, für die die Kindheit niemals endet, sagt Yabe. Dazu kommt: Wohnraum ist in Tokio teuer. Viele Apartments sind zu klein, um Haustiere zu halten. Deshalb kuscheln junge Japaner gern in Tiercafés mit Katzen, Hunden, Igeln, Pinguinen und Eulen. Ohne Platzproblem, ohne Verpflichtungen, ohne Futter besorgen zu müssen. Nur gegen Bares.
In Deutschland würde ein Shitstorm über die Yabes hereinbrechen, betrieben sie ein Café wie das ihre, denn Eulen gehören in den Wald, nicht ins Café. Und auch in Japan gab es für die Schließung von Eulen-Cafés schon eine Online-Petition mit Zehntausenden Unterstützern. In dem asiatischen Land steckt der Tierschutz allerdings noch in den Kinderschuhen. Für das Halten wilder Tiere etwa in Cafés gibt es keine Bestimmungen.
Die Eule, eine scheue und lautlose Jägerin mit feinem Gehör in der Großstadt? Yabe rechtfertigt sich: "Wir arbeiten ausschließlich mit kleinen Gästegruppen." Immerhin: Die Eulen, die gerade gekrault wurden, erhalten einen rosa Sticker: Bitte nicht berühren, ich bin in der Pause. Deswegen halten die Yabes auch 36 Tiere von insgesamt 34 verschiedenen Arten.
spiegel
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