Warum die US-Regierung ihre Google-Klage nicht richtig durchdacht hat

  22 Oktober 2020    Gelesen: 517
Warum die US-Regierung ihre Google-Klage nicht richtig durchdacht hat

Das US-Justizministerium zieht Google vor Gericht - angesichts der Marktmacht und der Bedeutung des Unternehmens ein überfälliger Schritt. Aber die Juristen ignorieren etwas Wichtiges.

Am Dienstag hat das US-Justizministerium seine Monopolklage gegen den Internetkonzern Google vorgestellt. Seit dem großen Kartellverfahren gegen Microsoft von 1998 hat es so etwas nicht mehr gegeben. Entsprechend hoch sind die Erwartungen.

Nach Jahrzehnten der Laissez-faire-Politik, in der die US-Regierung das Silicon Valley im Wesentlichen nach Belieben schalten und walten ließ, soll nun endlich eine Grundsatzfrage geklärt werden: Wie kann man vermeiden, dass immer mehr Macht in den Händen einiger weniger Technologieunternehmen landet, die mit der gesellschaftlichen Bedeutung ihrer Produkte und Plattformen mitunter überfordert zu sein scheinen?

Wer jedoch die 64 Seiten der Klageschrift durchliest, wird dahin gehend enttäuscht. Man fühlt sich um Jahre zurückversetzt - in eine Zeit, in der Facebook nicht existierte, in der Google nicht Milliarden Nutzerprofile sammelte, in der Amazon lediglich ein ambitionierter Onlinebuchhändler war. Denn das US-Justizministerium hat sich entschlossen, kurz vor dem Wahltag mit einer Teil-Klage vorzupreschen, die sich lediglich einem Aspekt des Google-Universums widmet: der Suchmaschinenwerbung.

Google hat sich zentrale Positionen im Internet erkauft
Das ist einerseits nicht abwegig. Auch wenn dieses Geschäft angesichts von Skandalen um Cambridge Analytica nicht mehr so stark im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, sind die Anzeigen am oberen Rand der Google-Suche immer noch ein verlässlicher Umsatzbringer. Er erlaubt es Google, mit dem Zukauf von YouTube den Videomarkt aufzurollen, Experimente wie den Facebook-Konkurrenten Google plus ohne bleibenden Schaden in den Sand zu setzen oder die Übernahme des Smartwatch-Herstellers Fitbit zu planen.

Die Klage schrieb sich daher fast von selbst. Schließlich sind die Milliardenzahlungen, die Google an Apple oder auch an die gemeinnützige Mozilla Foundation für die Platzierung als Standardsuchmaschine auf iPhones beziehungsweise im Firefox-Browser zahlt, lange bekannt. Das Gleiche gilt für die Verträge, mit denen Google den Herstellern von Android-Smartphones die Integration von Google-Apps vorschreibt. Das Argument der Kläger ist klar: Google hat sich mit seinen Milliardeneinkünften eine zentrale Stellung im Internet erkauft und kann diese nur mit antikompetetiven Mitteln aufrechterhalten. Die Zahlen, die das belegen sollen, sind eindrucksvoll: 90 Prozent der Suchanfragen im US-Markt gehen demnach durch Google-Kanäle. Auf Smartphones und Tablets sind es gar 95 Prozent. Die Einnahmen: allein in den USA 40 Milliarden Dollar pro Jahr.

Die Antwort von Google war vorhersehbar: Nicht Knebelverträge haben zu der überragenden Machtstellung geführt, sondern die überragende Qualität der Google-Suche. Den Vergleich mit dem Microsoft-Verfahren kommentiert Google sogar mit Spott: "Wir sind nicht mehr in den Neunzigerjahren, als man sich mit dem Modem ins Internet einwählte", schreibt Google-Manager Kent Walker in einem Blog-Beitrag kurz nach der Klageveröffentlichung. In Grafiken und Animationen demonstriert Google darin, wie einfach es doch für die Nutzer sei, eine andere Suchmaschine zu wählen und dass Konkurrenten wie Bing genauso handelten.

Die Argumentation von Google dreht sich allerdings im Kreis: Wenn der Wechsel so einfach und die Google-Suche so überlegen ist, lassen sich die Milliardenbeträge kaum erklären, die der Konzern für die Platzierung seiner Suchmaschine investiert. Die Richter werden entscheiden müssen: Reicht der Verweis auf übliche Marktgepflogenheiten, um diese Praxis auch für einen Fast-Monopolisten zu begründen?"

Skurril wirkt die Klageschrift des Justizministeriums vor allem deshalb, weil die vielen anderen Abhängigkeiten von Googles Werbegeschäft überhaupt nicht erwähnt werden. Denn längst hat die "programmatische Werbung" große Teile des Werbegeschäfts übernommen. Sie basiert darauf, detaillierte Nutzerprofile anzulegen und Werbung entsprechen gezielt auszuspielen. Führend ist auch hierbei Google, wie die britischen Wettbewerbshüter im Sommer dokumentierten.

Sind Anzeigen im Fernsehen wirklich so anders?
Die US-Kläger sind jedoch in der Vergangenheit stecken geblieben: Sie führen in ihrer Klageschrift aus, dass Anzeigen in Zeitungen oder im Fernsehen unterlegen seien, da hier Werbetreibende noch nicht in Echtzeit auf die Kundeninteressen reagieren könnten. Das ist jedoch schon lange nicht mehr wahr. So werden bereits heute auf Smart-TVs zielgruppenspezifische Werbespots ausgespielt, das Zuschauerverhalten wird minutengenau erfasst. Und auch Zeitungsverlage statten ihre Digitalausgaben mit personalisierter Werbung aus.

Immerhin: Die Klage ist nur der Auftakt. Medienberichten zufolge arbeitet eine weitere Arbeitsgruppe im US-Justizministerium am komplexen Werbethema, war aber vor dem Wahltermin nicht zur Klage bereit. Dass es bei der Klage nicht um eine alleinige Initiative der Trump-Regierung geht, die nach einem etwaigen Machtwechsel auf die lange Bank geschoben werden könnte, machte Letitia James, Generalstaatsanwältin im demokratisch regierten New York, klar. Sie kündigte an, dass bereits in den kommenden Wochen sieben weitere Bundesstaaten Klage gegen Google einreichen wollten. Der Kampf um Macht und Geschäftsmodelle im Silicon Valley hat erst begonnen.

spiegel


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