Stellen Sie sie sich vor, Sie kämen am Hauptbahnhof in Köln an. Sie steigen aus dem Zug und der ganze Bahnhof ist wie ausgestorben. Nirgendwo ist ein Mensch zu sehen. Auch auf dem Bahnhofsvorplatz treffen Sie niemanden, und auch nicht in der Altstadt und am Rhein. Die ganze Stadt scheint ausgelöscht.
Dieses zugegeben etwas apokalyptische Szenario soll verdeutlichen, wie verheerend das Coronavirus bisher gewütet hat. Mehr als 1,1 Millionen Menschen sind nach offizieller Lesart bisher an oder mit dem Virus gestorben. Das entspricht etwas mehr als der Kölner Bevölkerung. Die tatsächlichen Todeszahlen könnten sogar noch höher ausfallen, denn vermutlich werden in der Statistik der US-amerikanischen Johns Hopkins University nicht alle Fälle erfasst.
Derzeit steigen die Fallzahlen wieder mit schwindelerregender Geschwindigkeit. Aber auch wenn die vielen Neuinfektionen derzeit Intensivmediziner beunruhigen, gibt es positive Nachrichten. Laut einigen Untersuchungen sind zuletzt immer weniger schwer an Covid-19 erkrankte Menschen verstorben.
Das trifft auch auf Deutschland zu. Laut dem gestrigen Lagebericht des Robert Koch-Instituts verstarben 89 Menschen am Virus, der Wert ist in den vergangenen Wochen kontinuierlich gestiegen. Obwohl im April viel weniger Neuansteckungen verzeichnet wurden, waren damals an manchen Tagen rund 300 Tote zu beklagen. Im gesamten April lagen die Sterbefallzahlen zehn Prozent über dem deutschen Durchschnitt.
Mediziner aus anderen Teilen der Welt berichten Ähnliches. In einer Studie haben Forscher die Todesraten auf Intensivstationen in Großbritannien für Covid-Patienten für den Zeitraum März bis Juni ermittelt. Im hochintensiven Bereich starben Ende März etwa 40 Prozent der Kranken. Ende Juni lag die Überlebensrate bei über 80 Prozent, schreibt John Dennis von der University of Exeter Medical School in dem auf einem Preprint-Server veröffentlichten Beitrag. Für die Untersuchung wurden Daten von fast 15.000 Patienten ausgewertet.
Aber warum überleben mehr Menschen auch bei schwerwiegenden Krankheitsverläufen? Weniger gefährlich ist das Virus nicht geworden. Entsprechende Spekulationen wurden inzwischen von vielen Experten zurückgewiesen. Und auch Alter und Geschlecht spielten in der britischen Untersuchung keine Rolle: Faktoren wie auch die ethnische Zugehörigkeit der Patienten haben die Forscher in ihren statistischen Modellen berücksichtigt. Dennoch kommen sie zu dem Schluss, dass sich die Überlebensrate seit Ende März für alle Patienten auf den Intensivstationen um etwa zehn Prozent verbesserte.
Ein ähnliches Ergebnis liefert eine Studie aus New York mit mehr als 5000 Patienten, die im "Journal of Hospital Medicine" erschien. Die Auswertung der Daten, die aus dem Zeitraum von März bis August aus drei Krankenhäusern stammen, ergaben: Die höheren Überlebensraten sind real, selbst wenn man Unterschiede in Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, bereits vorhandenen Gesundheitsproblemen und Schwere der Covid-Symptome (ermittelt etwa durch den Sauerstoffgehalt im Blut zum Zeitpunkt der Einlieferung) kontrolliert. Die Sterblichkeitsrate sank von knapp 25,6 Prozent im März auf 7,6 Prozent im August signifikant.
"Die Daten deuten darauf hin, dass die Mortalität durch Covid-19 selbst unter Berücksichtigung der Patientencharakteristika abnimmt", schreiben die Forscher um Leora Horwitz, Direktorin des NYU Langone Center for Healthcare Innovation & Delivery Science. Dennoch schränken die Forscher die Aussagekraft ihrer Daten ein. Die Langzeitfolgen des Virus wurden in der Untersuchung nicht erfasst. Etliche Patienten leider auch lange nach durchgestandener Krankheit an den Folgen.
Vermutlich sind es aber eine Reihe von einzelnen Faktoren, die eine Rolle spielen. Intensivmediziner dürften viel gelernt haben aus der ersten Corona-Welle im Frühjahr. Wie man die gefährliche Lungenkrankheit behandelt, wann man welche Medikamente gibt - über all das ist inzwischen mehr bekannt.
Entscheidend dürfte vor allem die Auslastung der Intensivstationen der Krankenhäuser im Sommer im Vergleich zum bisherigen Höhepunkt der Pandemie im Frühjahr gewesen sein. In New York befand sich das Gesundheitssystem damals teilweise kurz vor dem Kollaps, die Mediziner wurden vom Anstieg der Patientenzahlen überwältigt. Ärzte, die jahrelang nicht in der Intensivpflege gearbeitet hatten, wurden für die Versorgung schwer kranker Patienten eingezogen, Pflegepersonal und Ausrüstung knapp.
Inzwischen gäbe es aber zudem auch ein besseres medizinisches Verständnis darüber, wann Menschen beatmet werden müssen und auf welche Komplikationen wie Blutgerinnsel und Nierenversagen zu achten ist, sagte Horwitz der "New York Times". Patienten werden nun häufiger auf den Bauch gedreht und nicht gleich mit mechanischen Beatmungsgeräten versorgt, sondern erhalten zunächst zusätzlichen Sauerstoff.
Seit den Sommermonaten ist auch bekannt, dass das Medikament Dexamethason Patienten an Beatmungsgeräten, also bei sehr schweren Covid-19-Verläufen, hilft. Die Gabe dieses Cortisons ist inzwischen auch vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) befürwortet worden. Im Laufe der Pandemie haben Mediziner bei manchen Patienten zudem lebensbedrohliche Blutgerinnsel entdeckt. Nun wird bei solchen Thrombosen gegengesteuert, indem die Patienten mit Blutverdünnern behandelt werden.
Weniger Viren, weniger schwere Verläufe
Eine weitere Studie, die Ende September veröffentlicht wurde, legt noch etwas anderes nahe. Forscher der Wayne State University in Detroit beobachteten eine abnehmende Viruslast bei Abstrichen von Covid-19-Patienten in Laufe der Pandemie. Weniger Viren im Rachenraum bedingten mildere Krankheitsverläufe bei den Infizierten. Die Forscher gehen davon aus, dass dieser Erfolg auf das Tragen von Masken und die Einhaltung von Abstandsregeln zurückzuführen ist.
Allerdings bleibt abzuwarten, was all diese Ergebnisse in Zeiten von steigenden Infektionszahlen wert sind. Schwere Krankheitsverläufe werden erst nach einiger Zeit sichtbar. Experten rechnen damit, dass die Kurve mit den Todesfällen erst zeitversetzt ansteigen wird.
Und in Deutschland nehmen die Patientenzahlen auf den Intensivstationen wieder zu. Laut dem jüngsten Lagebericht des Robert Koch-Instituts hat sich die Zahl der belegten Intensivbetten mit Covid-Patienten in den vergangenen zwei Wochen von 655 Patienten auf 1.696 Patienten am Donnerstag mehr als verdoppelt. Eines zeigen die Daten deutlich: Eine Überlastung des Gesundheitssystems sollte in Deutschland und auch überall sonst auf der Welt unbedingt verhindert werden.
spiegel
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