Wenn gar nichts mehr geht: Ab nach Afrika?

  14 November 2020    Gelesen: 620
Wenn gar nichts mehr geht:     Ab nach Afrika?

Für den Winterurlaub nach Thailand, Nepal oder Australien flüchten? Zurzeit ist das nicht möglich. Doch einige Traumfernziele sind erreichbar, unter Auflagen. Ist eine Reise dorthin vertretbar?

Rainer strahlt, wenn er von seinem Urlaub auf den Seychellen erzählt. Der Hoteldirektor persönlich habe sie in einem Golfmobil vom Fähranleger abgeholt. Er habe gefragt, ob es ihnen etwas ausmache, dass sie gerade die einzigen Gäste seien. Es machte ihnen nichts aus. "Wir lieben Ruhe", sagt Rainer. "Leere Strände finden wir wunderschön."

Der 63-jährige Rentner aus dem Rhein-Neckar-Gebiet unternahm die Reise gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Marianne. Zehn Tage verbrachten die beiden Ende September auf der Insel La Digue. Badeten im türkisblauen Meer. Fütterten Schildkröten. Wanderten durch den Tropenwald. Ein Urlaub, von dem viele Menschen in der Corona-Zeit nur zu träumen wagen.

Nun, im November, igelt sich Deutschland wieder ein. Angesichts steigender Infektionszahlen bittet die Bundesregierung, Reisen, Tagesausflüge und sogar Verwandtenbesuche zu unterlassen, touristische Übernachtungen sind nicht mehr erlaubt. Da erscheint die Flucht an Strände oder in Savannen ferner und gleichzeitig verlockender denn je.

Täglich ändern sich die Bedingungen – Länder schotten sich ab, andere öffnen mit neuen Einschränkungen. Was bleibt, sind Fragen wie: Soll ich das wirklich tun? Gefährde ich mich während meiner Traumreise? Schleppe ich vielleicht sogar ungewollt das Virus ins Urlaubsland ein? Oder könnte meine Buchung Menschen vor Ort helfen, deren Einkommen vom Tourismus abhängt?

Die Angebote für Pauschalreisen sind da, und wohl jeder Veranstalter hat inzwischen umfangreiche Hygienekonzepte für Hotels und Transport verfasst: Eine Woche Seychellen für rund 1800 Euro pro Person in einem Hilton-Hotel ist etwa auf der TUI-Website zu buchen. Zwei Wochen Hotel und Flug nach Tansania gibt es für rund 1360 Euro pro Person bei FTI. Auch der Veranstalter a&e erlebnis:reisen hat das afrikanische Land im November im Programm, für rund 3440 Euro pro Person. Und das, obwohl für Tansania eine Reisewarnung gilt.

"Das Außenministerium wird derzeit nicht müde, uns zu sagen, dass eine Reisewarnung kein Reiseverbot sei", sagt Petra Thomas, Geschäftsführerin vom Forum Anders Reisen. In dem Verband haben sich nachhaltige Anbieter zusammengetan, darunter auch a&e. Dessen Mitglieder, sagt Thomas, seien im engen Austausch mit Kollegen und Kolleginnen vor Ort und prüften, was möglich sei.

Tansania zum Beispiel hat laut Auswärtigem Amt kaum Infizierte, dafür aber viel Weite und wenige Menschen. Thomas sagt: "Wenn ein Veranstalter dem Reisegast plausibel ein gutes Schutzkonzept erklären kann, sind Reisen im Moment durchaus möglich. Es kommt darauf an, wie die Reisen gestaltet sind, und auf das Verhalten der Reisenden." Abstand halten, Menschenansammlungen meiden, in die Natur gehen, kleine Unterkünfte mit guten Hygienestandards wählen – das sei wichtig, sagt sie.

Die Seychellen gehören sogar zu jenen Ländern, vor denen das Auswärtige Amt nicht mehr warnt, sondern höchstens wegen Einreisebeschränkungen abrät. Wie von so manchen Orten, die Sonne, Palmen, Traumstrände und warmes Wasser versprechen, Tausende Kilometer weit weg liegen und sich nicht gegen Ausländer abschotten. Zum Beispiel die karibischen Inseln St. Vincent und die Grenadinen, Barbados oder auch Kuba. Dort sind die Corona-Infektionszahlen niedrig. Wer das Risiko, sich selbst unterwegs anzustecken, für vernachlässigbar hält, kann also die Koffer packen und an den Strand fliegen?

Ob Reisewarnung oder nicht, ein Problem bleibt: "Wir dürfen das Virus nicht neu eintragen in Destinationen, die das bisher gut gehandhabt haben und eigentlich im Moment auf niedrigem Infektionstand sind", sagt Thomas. "Wir tragen Verantwortung für uns selbst, für unsere Reisegäste, aber auch für die Menschen, denen wir begegnen."

Für manche Sonne-Strand-Länder, die auf Tourismus angewiesen sind und sich daher öffnen, ist die Gefahr besonders hoch, sagt Antje Monshausen, Leiterin der Arbeitsstelle Tourism Watch. "Nämlich dass Reisende unwissentlich das Virus in ein fragiles Gesundheitssystem einschleppten." Wo die medizinische Grundversorgung schlecht ist und Testkapazitäten sowie Intensivbetten kaum existieren, wären die Folgen für die Einheimischen fatal.

Thomas hält ein gutes Testkonzept daher für unumgänglich, auch um langfristig das Reisen wieder zu ermöglichen. "Die Destinationen sind mit gefragt, dafür zu sorgen, dass stets größtmögliche Sicherheit hergestellt wird." Die Azoren nennt sie als Vorbild, aber auch die Kanaren seien dabei, eine Teststrategie zu entwickeln, bei der mehrere Abstriche vor, nach und auch während des Aufenthalts vorgeschrieben werden. Viele Länder weltweit fahren einen ähnlichen Kurs.

Monshausen sieht das Testen jedoch kritisch, zumindest zurzeit: "Wir haben in Deutschland keine Testkapazität mehr für Freizeitaktivitäten wie Urlaube. Wir sind an der Grenze dessen angelangt, was das Gesundheitssystem stemmen kann."

Sie plädiert dafür, mit dem Reisen noch zu warten oder zumindest zur Sicherheit eine Vorquarantäne einzuhalten, "sich einige Tage Kontaktbeschränkungen aufzuerlegen, nicht nur nach der Rückkehr, sondern auch vor dem Urlaub". Manche Studienreiseveranstalter schirmen Reisegruppen sogar die ersten Tage ab.

Auch Rainer und Marianne haben darauf geachtet, sich vor ihrem Abflug im September zu isolieren, um das Virus nicht mitfliegen zu lassen. Für ihren Urlaub mussten sie zwei Coronatests machen, einen vor dem Abflug und einen vor dem Rückflug – so die Einreisebedingung der Seychellen. Auf der Insel La Digue habe ihnen im Hotel, in der Strandbar und in jedem Laden jemand mit einem Stirnthermometer die Temperatur gemessen, bevor sie eintreten durften, sagt Rainer.Den 63-Jährigen ärgert es, dass das Robert Koch-Institut (RKI) die Seychellen von Juli bis September wochenlang als Risikogebiet auswies, obwohl die Infektionszahlen dort fast durchweg sehr niedrig waren. "Das ist eine Rasenmähermethode, mit der wir dazu beitragen, dass die Wirtschaft auf den Inseln gegen die Wand fährt. Das kommt irgendwann wie ein Bumerang zu uns zurück." Nämlich dann, meint er, wenn die, die dort lebten, die finanzielle Unterstützung reicherer Länder bräuchten oder aus wirtschaftlichen Gründen gar zu Flüchtlingen würden. Rainer möchte auf diesen Missstand hinweisen, aber nicht mit richtigem Namen in diesem Artikel auftauchen.

Das Ausbleiben des Tourismus führt in vielen Regionen der Welt zu großen Problemen: Die Wirtschaft bricht ein, Existenzen werden vernichtet, mit unterschiedlichen Auswirkungen. "In afrikanischen Nationalparks findet vermehrt Wilderei statt", sagt Thomas. Die Menschen hätten Hunger und jagten daher die Tiere. Und da die Nationalparks keine Einnahmen mehr generierten, könnten die Ranger als Wächter nicht mehr bezahlt werden.

Doch kommt das Geld der Fernreisenden, die sich jetzt aufmachen, dort an, wo es benötigt wird? Viele Urlaubsdestinationen und Veranstalter werben zurzeit damit, strenge Hygieneprotokolle eingeführt zu haben. Oft setzen sie dabei verstärkt auf das Prinzip Abschottung. "Ein Reiseangebot, das jetzt damit wirbt, dass man das Hotel gar nicht zu verlassen brauche", sagt Monshausen, "lässt relativ wenige Einnahmen vor Ort und viel bei den großen Konzernen. Mal individuell einen Bootsausflug mit einem Fischer machen, einheimische Restaurants besuchen, das findet ja kaum statt zurzeit." Das Argument, aus Solidarität zu reisen, erschließe sich ihr daher nicht.

Thomas jedoch würde genau deswegen gern den Tourismus mithilfe von klar definierten Regeln, Maßnahmen und Konzepten wieder an den Start bringen, und zwar möglichst nachhaltig: Damit die kleinen und mittelständischen Unternehmer, die weltweit ihre Existenzen darauf aufgebaut haben, wieder Einnahmen haben. "Der Tourismus lebt ja gerade tatsächlich vom Mittelstand", sagt sie. Sie ärgert es, dass bereits wieder mit Schnäppchenpreisen geworben werde: "Das ist der falsche Weg. Wir brauchen faire Preise, damit die Menschen vor Ort, die im Tourismus arbeiten, auch fair entlohnt werden können."

"Tourismus ohne Begegnung ist nur der halbe Tourismus"
Koffer packen oder nicht, das ist während der Coronakrise also ein Dilemma, auch weil viele Fragen zur Verbreitung des Virus noch offen sind. Wie hoch ist die Ansteckungsgefahr in Flugzeugen, Bahnen, Bussen wirklich? Wie sicher müssen die Tests sein?

"Ohne Eigenverantwortung wird es nicht funktionieren", sagt Thomas. "Wenn jetzt jemand noch Partytourismus macht, dann muss er die Konsequenzen tragen. Leider aber hat das auch Konsequenzen für uns alle als Gesellschaft." Sie fordert daher klare Rahmenbedingungen für das Reisen, die von RKI, Gesundheitsministerium und Auswärtigem Amt gleichermaßen anerkannt sind.

Monshausen sagt: "Wenn im Moment Reisen nur möglich sind, wenn ich kontaktarm oder am besten kontaktlos reise, würde ich so eine Reise schieben und intensiver nachholen, wenn das wieder möglich ist. Tourismus ohne Begegnung ist nur der halbe Tourismus."

Rainer und Marianne aus dem Rhein-Neckar-Gebiet haben ihre Ruhe genossen. Das Hotel auf La Digue, das sie schon im Januar gebucht hatten, hat 63 Zimmer. Höchstens fünf davon seien in ihren Urlaubstagen belegt gewesen. "Wir haben uns dort sicherer gefühlt als hier und hatten auch keine Angst, jemanden anzustecken", sagt Rainer. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten sich sehr rührend um sie gekümmert. "Sie haben sich gefreut, dass wir da waren, das hat man gemerkt." Die Auflagen, die sie im September erfüllen mussten, um auf die Seychellen zu reisen, seien es allemal wert gewesen. "Im Nachhinein würde ich alles wieder so machen."

Inzwischen haben aber auch die Seychellen ihre Einreisebedingungen verschärft. Ab kommendem Montag müssen deutsche Urlauber für sechs Tage in vorgeschriebenen Hotels in Quarantäne. Erst nach einem zweiten Test am fünften Tag dürfen sie sich frei bewegen.

spiegel


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