Die Corona-Impfstoff-Forschung boomt: Über 170 Impfstoff-Kandidaten befinden sich in der Entwicklung, mehr als 30 davon sind bereits in klinischer Erprobung in sogenannten Phase-III-Studien und zehntausende Probanden wurden weltweit bereits geimpft. Doch Impfstoff ist nicht gleich Impfstoff und unterschiedliche Forschungseinrichtungen schlagen unterschiedliche Wege ein, um den gemeinsamen Feind zu bekämpfen.
Diese Wege reichen von abgetöteten Viren über gentechnisch veränderte Viren bis hin zu kompakten Bauanleitungen aus RNA oder DNA, die die Körperzellen der Impflinge anregen, das Protein selbst herzustellen. Sputnik hat die wichtigsten Ansätze mithilfe des Immunologen und Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Thomas Kamradt, verglichen.
Ein Klassiker aus China: Tot-Impfstoff
Das Immunsystem erkennt Eindringlinge zu einem beträchtlichen Teil über ihre Oberfläche. Das funktioniert auch dann noch, wenn das Virus die Fähigkeit verloren hat, sich in Zellen zu vermehren, aber immer noch die besondere Oberflächenbeschaffenheit aufweist, die es von anderen Erregern unterscheidet. Dazu wird das zunächst vermehrte Virus mit bestimmten Chemikalien behandelt, die seine Struktur nicht zerstören, jedoch seine Vermehrungsfähigkeit aufheben. Diesen Prozess bezeichnen Immunologen als Inaktivierung.
„Das Prinzip ist altbekannt und funktioniert bei manchen Erkrankungen wie Influenza“, betont Kamradt im Sputnik-Gespräch.
„Bei Sars-CoV-2 wird das auch verfolgt und es sind drei inaktivierte Impfstoffe in Phase-III-Studien. Das sind sämtlich aus China stammende Impfstoffe, die mit inaktivierten Sars-CoV-2 arbeiten. Ergebnisse sind noch nicht bekannt.“
Ein Beispiel aus China: der chinesische Impfstoff CoronaVac des Pharma-Unternehmens Sinovac. Der wird derzeit in großem Stil im besonders stark von der Pandemie getroffenen Brasilien an Probanden in einer Phase-III-Studie erprobt. Am Montag wurde jedoch die Erprobung wegen eines „negativen Vorfalls“ gestoppt, der nicht näher präzisiert wurde. Ob es sich bei dem Vorfall um eine Folge des Impfstoffs oder ein unabhängiges Ereignis handelt, wird gegenwärtig geprüft.
Ein Nachteil von Tot-Impfstoffen: Im Extremfall könnten in ihnen auch nicht inaktivierte Erreger vorkommen und dann die Erkrankung auslösen.
Lange erprobt: Abgeschwächte Erreger
Eine andere Variante ist es, das Virus nicht zu inaktivieren, sondern so zu verändern, dass es voll funktionsfähig bleibt, aber beim Menschen keine ernsthaften Symptome auslösen kann. Die eingesetzten Erreger sind in diesem Fall abgeschwächt, mit Fachwort – attenuiert.
„Der Ansatz funktioniert so, dass man Viren nimmt und diese entweder durch Zellkulturen leitet oder genetisch so verändert, dass sie für den Menschen nicht mehr schädlich sind, aber trotzdem noch eine Immunantwort hervorrufen“, erläutert Kamradt.
„Man wird nicht krank, entwickelt aber eine Immunantwort, die bereitsteht als Gedächtnisantwort, wenn man später mit dem wirklichen Virus konfrontiert wird.“
Im Fall von Sars-CoV-2 laufen dem Forscher zufolge präklinische Untersuchungen, aber keiner der Impfstoffe soll es bislang in die Phase-III-Studie geschafft haben. Dass der Ansatz grundsätzlich funktioniert, ist Immunologen aber von Impfungen gegen Masern und Gelbfieber bekannt, die darauf basieren. Ob dieser Weg auch bei Sars-CoV-2 zielführend wird, ist noch Gegenstand der Forschung.
Ein Nachteil bei attenuierten Erregern: In seltenen Fällen können auch diese eine Erkrankung auslösen, die der Krankheit, gegen die geimpft wird, ähnelt.
Bewährte Gentechnik: Rekombinante Proteine
Wenn die Struktur an einem Erreger bekannt ist, die für die Immunantwort von besonderer Bedeutung ist, bietet sich auch ein Ansatz an, bei dem die Forscher auf das gesamte Virus verzichten. Hier reicht es, die Bauanleitung für das Protein aus dem Virus – DNA oder RNA – zu isolieren und etwa in das Erbgut von Bakterien einzubauen, die dann im Labor das Protein in großen Mengen herstellen. Dieses Protein muss dann noch aufgereinigt werden und kann dann als Impfstoff fungieren.
„Man muss wissen, wie die natürliche Antwort gegen das Virus aussieht, sodass man das richtige rekombinante Protein dem Immunsystem anbietet. Dieser Ansatz ist auch für Sars-CoV-2 in Erprobung, wo man ein bestimmtes Protein des Virus, das Spike-Protein, herstellt, weil alles dafür spricht, dass eine Immunantwort gegen das S-Protein wichtig ist für den Schutz“, erläutert Kamradt.
„Die Produktion lässt sich leicht hochfahren, man hat die industrielle Erfahrung damit. Diese Strategie ist sehr gut erprobt, sehr effizient und ob sie auch bei Sars-CoV-2 funktioniert, muss man sehen.“
Ansatz von „Sputnik V“: Harmlose Viren mit S-Protein
Ein neuerer Ansatz besteht darin, dass man ein harmloses Virus nimmt und dieses um das Spike-Protein ergänzt, auf das das Immunsystem reagieren soll. „Man nimmt etwa das Adenovirus oder das Vacciniavirus und verändert das gentechnisch so, dass es ein Protein des Virus, gegen das man impfen will, exprimiert“, erklärt Kamradt.
Konkret bedeutet das: Das Erbgut des harmlosen Virus wird um das Gen für das Spike-Protein erweitert. Dieses Virus wird dem Menschen verabreicht, befällt Zellen und diese beginnen, die Proteine zu produzieren, die das Erbgut enthält. Letzteren Vorgang bezeichnet man als Gen-Expression. Das Immunsystem wird auf diesen Vorgang im Körper aufmerksam und bildet dabei auch eine Immunantwort gegen das Spike-Protein aus. Damit ist es auf eine Begegnung mit Sars-CoV-2 vorbereitet. Das verwendete Virus selbst ist dabei allerdings so schwach, dass es zwar Zellen befallen, sich aber nicht weiter im Körper ausbreiten kann, da die Zellen keine neuen funktionsfähigen Viren produzieren. Man bezeichnet es in der Fachsprache als „replikationsinkompetent“.
Einen zugelassenen Impfstoff, der nach diesem Prinzip funktioniert, gibt es bereits gegen Ebola.
„Virale Vektoren sind auch für Sars-CoV-2 in klinischer Erprobung und drei sind auch schon in Phase-III-Studien“, bemerkt Kamradt.
Vorläuferarbeiten habe es aber bereits gegen das Sars-verwandte MERS-Virus gegeben, die laut dem Forscher gut zu funktionieren scheinen.
Obgleich der zugelassene Ebola-Impfstoff gut verträglich und effizient ist, kann es laut Kamradt zumindest eine Nebenwirkung geben: „Die theoretisch unerwünschte Wirkung, die man bei viralen Vektoren beachten muss, ist, dass die Impflinge eine Immunantwort gegen das harmlose Trägervirus machen könnten, wenn sie mehrfach geimpft werden. Das Schlimmste, was dann passieren kann, ist, dass keine Immunantwort mehr erfolgt. Wenn das Immunsystem auf das harmlose Virus reagiert, dann kann es sein, dass die Impfung ihre Wirkung verliert. Dann funktioniert es halt nicht, es ist aber nichts, was dem Impfling schadet.“
Ansatz von Biontech: RNA-Impfstoffe
Seit dem ersten Lockdown in Deutschland etwa ist auch ein anderes Impfstoff-Wirkprinzip stark im Kommen, das sowohl auf Viren als auch auf gentechnisch vorproduzierte Proteine verzichtet. Es handelt sich um den mRNA-Ansatz, mit dem Unternehmen, wie das deutsche Biontech oder Moderna aus den USA, die Pandemie eindämmen wollen. In jeder Zelle wird für die Herstellung von Proteinen zunächst eine Abschrift des jeweiligen Gens erstellt, die als „Messenger RNA“, „Boten-RNA“ oder kurz „mRNA“ bezeichnet wird. Diese mRNA verlässt den Zellkern, gelangt an kleine runde Strukturen, die als Ribosomen bezeichnet werden und dort wird anhand des RNA-Codes das jeweilige Protein produziert.
Im Fall des Sars-Coronavirus-2 ist die Wahl wieder auf das Spike-Protein gefallen. Doch statt das Protein zu verabreichen oder mit Viren zu arbeiten, wird hier einfach nur die entsprechende mRNA, die von einer Fettschicht eingeschlossen ist, verabreicht. Die umgebende Schicht verschmilzt mit der Fettschicht, die die menschliche Zelle umgibt, gelangt so in das Innere und die Produktion des Proteins wird gestartet.
„Der mRNA-Ansatz ist so präsent, weil er neu ist und weil er unglaublich schnell ist“, erläutert Kamradt.
„Für die Produktion eines solchen mRNA-Impfstoffes braucht man im Prinzip „nichts weiter“ als die passende Technologie, die vor ein paar Jahren entwickelt worden ist und Information über die Sequenz des Virus, gegen das man impfen will.“
Letztere wurde bereits im Januar 2020 von chinesischen Forschern im Internet veröffentlicht und bereits im März ist der erste mRNA-Impfstoff in eine Phase-I-Studie gegangen.
Allerdings gilt bei diesem neuen Ansatz: „Der theoretische Nachteil ist der, dass es keine regulatorischen Erfahrungen gibt. Es gibt keine Impfstoffe unter den zugelassenen Impfstoffen, die nach diesem Prinzip funktionieren. Deswegen muss man dabei sehr genau die Wirksamkeit und Sicherheit dieser mRNA-Impfstoffe untersuchen, weil die, die jetzt erprobt werden gegen Sars-CoV-2, sind die Vorreiter, die ersten, die in großem Maßstab getestet und produziert werden sollen“, betont der Immunologe.
Immer noch in den Startlöchern: Impfen mit DNA
Ähnlich funktioniert das Impfen mit der Erbsubstanz DNA. Dabei wird das Erbgutfragment regelrecht durch die Zellmembran geschossen. Im Inneren wird sie dann als Vorlage für mRNA genutzt und an letzterer wieder die Proteine hergestellt.
„Von den DNA-Impfstoffen hat es noch keiner in die Phase-III-Studien geschafft. Für sie gilt das Gleiche, was ich auch über die mRNA-Impfstoffe gesagt habe: Es gibt noch keine zugelassenen Impfstoffe, die nach diesem Prinzip funktionieren. Auch hier werden die Regulationsbehörden sehr genau gucken, wie es um Sicherheit und Effektivität der Impfstoffe bestellt ist. Die DNA-Impfstoffe sind bei Sars-CoV-2 nicht so weit wie die mRNA-Impfstoffe“, betont Kamradt.
Schädigen mRNA-Impfstoffe die Erbsubstanz?
Ein Gerücht über die letzten beiden Impfstoff-Typen hält sich ziemlich hartnäckig in den sozialen Netzwerken. Es besagt, dass sie das menschliche Erbgut schädigen und zu negativen Folgen wie Krebs führen können.
Fakt ist, dass mRNA nicht ohne Weiteres ins menschliche Erbgut eingebaut werden kann: Sie wird nämlich von der Zelle ausschließlich für die Herstellung von Proteinen hergestellt. Zwar gibt es Viren, die RNA in DNA übersetzen können, aber hierfür braucht es wiederum ein spezielles Protein, die reverse Transkriptase, das diese Viren mitbringen und das in den Zellen nicht natürlich vorkommt.
Ähnliches gilt für die DNA, die in Form eines geschlossenen Rings in die Zellen eingeschleust wird, der erst geöffnet und ins Erbgut verbaut werden müsste. Zudem ist der Zielort der DNA nicht der Zellkern, sondern das Zellplasma, in dem sie ihre Arbeit als Impfstoff leistet.
„Weder DNA- noch RNA-Impfstoffe schädigen das eigene Erbgut. Das wird ja nicht ins Erbgut des Körpers integriert. Wir produzieren jetzt keine transgenen Menschen. Das sind unsinnige Gerüchte“, drückt das der Immunologe aus.
Wozu so viele Impfansätze?
Sechs Ansätze und noch deutlich mehr einzelne Impfstoffe von Pharma-Unternehmen verfolgen ein und dasselbe Ziel. Wäre es nicht sinnvoller, alle Kräfte in eine Entwicklung zu stecken? Aus Kamradts Sicht, ist die Vielfalt wünschenswert, denn alle Kandidaten seien erfolgversprechend, aber: „Man muss jetzt sehen, wie lange währt der immunologische Schutz mit den unterschiedlichen Impfstoffen, wie effektiv sind sie – das werden die abschließenden klinischen Prüfungen zeigen. Deswegen ist es aus meiner persönlichen Meinung gut, dass man sich nicht nur auf einen Ansatz weltweit konzentriert, sondern verschiedenste Ansätze parallel betreibt, um dann entweder mehrere zugelassene Impfstoffe zu haben oder zu wissen, was der beste Ansatz ist.“
sputniknews
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