Praxistest im Impfzentrum

  03 Dezember 2020    Gelesen: 308
Praxistest im Impfzentrum

In ganz Deutschland werden Impfzentren aus dem Boden gestampft. Doch wie funktioniert eigentlich eine Impfstraße? Nach einem Praxistest in Wiesbaden ist klar: Es sind noch einige Probleme zu lösen.

Ein bisschen Stolz schwingt mit, als Marc Dieroff und Andreas Kleber, die Aufbauleiter des Wiesbadener Impfzentrums, ihre Fortschritte präsentieren: Die erste sogenannte Impfstraße im RheinMain CongressCenter in Wiesbaden ist fertig. Bis zum 11. Dezember sollen es acht sein. Ihr Aufbau-Team aus Freiwilliger Feuerwehr, DLRG, Technischem Hilfswerk und Messebauern liegt gut in der Zeit. Auch der erste Testdurchlauf hat funktioniert. Ähnlich wie hier wird es künftig in allen Impfzentren bundesweit ablaufen.

Zutritt gibt's nur fieberfrei
Am Halleneingang wird erst mal Fieber gemessen. Zutritt gibt’s nur fieberfrei. Anschließend werden die Daten der Impflinge geprüft und kontrolliert, ob sie eine Einladung zur Impfung bekommen haben. Erst dann kann man sich zur Impfung anmelden. Danach werden sie auf die Warteschlangen der acht Impfstraßen verteilt. Es ist ähnlich, wie beim Check-In am Flughafen - nur natürlich mit Abstand. Und mit Stühlen für jeden Impfling, denn vor allem zu Anfang werden viele ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen erwartet.

Pro Impfstraße gibt es vier Impfkabinen, in denen parallel geimpft werden kann. In einer davon steht auch eine Liege, falls jemand zum Beispiel zu Schwindel neigt. Doch vor der Impfung kommt das Aufklärungsgespräch. Dafür gibt es pro Impfstraße nur einen Raum, und jeder Impfwillige hat ein Anrecht darauf. Geschätzte Dauer: bis zu 15 Minuten. Marc Dieroff, der stellvertretende Leiter des Wiesbadener Gesundheitsamtes, nennt die Aufklärung den Flaschenhals des Impfvorganges, der die zeitlichen Vorgaben des Landes wohl sprengen könnte.

Die sind ohnehin eine große Herausforderung: Pro Tag sollen in der hessischen Landeshauptstadt 1500 Menschen geimpft werden, auch mit mobilen Impfteams aber vorwiegend im zentralen Impfzentrum. Jede der acht Impfstraßen soll 15 Stunden am Tag betrieben werden - in Doppelschichten von 7 bis 22 Uhr. "Pro Stunde müssen durch jede Impfstraße 12,5 Menschen, um die Vorgaben zu erfüllen, das macht knapp fünf Minuten pro Person", rechnet Dieroff aus. Dabei bräuchten manche Menschen schon fast solange, um sich aus den winterlichen Kleidungsschichten zu schälen und den Ärmel hochzukrempeln.

Die Impfstraßen münden schließlich in einem geräumigen Beobachtungsbereich mit Stühlen. In der Mitte ist ein abgetrennter Notfallraum, falls Komplikationen auftreten. Die Empfehlung: hier nach der Impfung noch eine halbe Stunde abwarten.

Großer Personalbedarf
Doch bis es los gehen kann, sind noch einige Probleme zu lösen. Etwa das Personalproblem. "Woher sollen die Menschen kommen, die hier monatelang in Doppelschichten arbeiten sollen?", fragen sich wohl nicht nur Dieroff und sein Kollege Andreas Kleber vom Katastrophenschutz der Wiesbadener Feuerwehr.

Ordner, Helfer und vor allem medizinisches Personal werden gesucht, das aber jetzt auch in Praxen oder Krankenhäusern dringend benötigt wird. Pro Tag brauchen sie allein 16 Ärzte. Hessenweit werden rund 5000 Mediziner für die Impfzentren benötigt, schätzt Tobias Bräunlein, Leiter der hessischen Task Force Impfkoordination. Er hofft unter anderem auf den Einsatz von Ruheständlern. Eine bundesweite Schätzung oder Berechnung des Personalbedarfs gibt es laut Bundesgesundheitsministerium nicht. Es sieht die Verfügbarkeit von ärztlichem Personal als grundsätzlichen Engpass. Das Problem ist bei weitem nicht gelöst.

Bräunlein ist dennoch optimistisch. Der Vorsitzende des hessischen Hausärzteverbandes ist hingegen skeptisch. Schließlich seien die meisten Ärzte mehr als ausgelastet, sagt Armin Beck. Etwas anderes wäre es, wenn sie statt in Impfzentren wie sonst üblich nebenbei in der Praxis impfen könnten. Aber das ist zunächst noch nicht vorgesehen.

Der Chef des Hausärzteverbands hat weitere Fragen, zum Beispiel: "Wie soll die Einladung der Impflinge erfolgen?" Denn zunächst sollen ja nur Bürger mit Einladung in die Impfzentren kommen. Wohl als erstes Risikogruppen, also ältere Menschen und solche mit Grunderkrankungen und anderen Risikofaktoren. Beim Alter könnte das Einwohnermeldeamt helfen. Doch wer informiert wen, wer die priorisierten Patienten mit Vorerkrankungen sind? Und das, ohne den Datenschutz zu verletzen? Die Krankenkassen? Die Hausärzte? Hierzu gab es noch keine Informationen, berichten sowohl Beck als auch Dieroff vom Impfzentrum.

Auch das hessische Innenministerium hat bislang noch keine Antwort auf diese Frage. Hier arbeitet man derzeit an einer IT-Lösung zur Erfassung der "priorisierten Personengruppen". Doch noch ist nicht mal festgelegt, wer genau diese Personengruppen sein sollen. Eine hessische oder gar bundeseinheitliche Umsetzung stehe daher noch aus.

Die Impfzentren wie das in Wiesbaden sind bald startklar sind, doch mit dem Aufbau allein ist es lange nicht getan. Der Impfstoff ist bei weitem nicht das einzige, was dann noch fehlt, damit die Covid-19 Impfungen auch wirklich starten und reibungslos ablaufen können.

tagesspiegel


Tags:


Newsticker