Die Vergleiche mit den genannten Universitäten sind wichtig, um sich klar zu machen, dass Studieren ohne Abitur keine Ausnahme mehr ist, sondern eine echte und immer häufiger genutzte Möglichkeit.
Die Zahl der Erstsemester ohne Reifezeugnis stieg laut Studie zwischen 2013 und 2014 um 0,2 Prozentpunkte auf 14.000. Die Zahl der beruflich Qualifizierten, die 2014 ein Studium erfolgreich abgeschlossen haben, kletterte im Vergleich zum Jahr davor um rund 1000 auf insgesamt 5300.
Ihr Anteil an allen Studierenden ist aber noch immer vergleichsweise gering. Im Wintersemester 2014/15 gab es 2,7 Millionen Studenten. Man könnte also annehmen, die Gruppe ginge einfach unter. Doch so einfach ist das nicht. Diese Studenten fallen auf.
Zum einen, weil sie älter sind als die Übrigen. Denn Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums ist in ihrem Fall eine abgeschlossene Berufsausbildung und mehrjährige Berufspraxis. Oft werden drei Jahre verlangt. Diese Erfahrung exponiert sie zusätzlich. Die Bundesländer haben in den vergangenen Jahren die Zugangsbedingungen mehr oder minder aneinander angepasst und gleichzeitig erleichtert. Nicht zuletzt deshalb sind die Zahlen heute weit höher als noch 2010. Damals gab es lediglich rund 25.000 Studenten ohne Abitur.
Es gibt jedoch noch etwas, was das Anwachsen dieser Gruppe begünstigt. Die Universitäten und Fachhochschulen halten in der Regel ein bestimmtes Kontingent für sie frei. Theoretisch würden einige zehn Prozent der Plätze mit Abiturlosen besetzen. So viele Bewerber aber gibt es gar nicht auf die Erstsemesterstudienplätze.
Heißt: Wer sich bewirbt, wird auch genommen, wenn die Grundvoraussetzungen erfüllt sind. Das gilt sogar in beliebten Hochschulstädten wie Berlin oder Hamburg und Fächer wie Betriebswirtschaftslehre, die ansonsten stark überlaufen sind. Langsam spricht sich das rum.
Hamburg verzeichnet neben Nordrhein-Westfalen auch die höchste Quote. Mit einem Anteil von mittlerweile jeweils mehr als fünf Prozent liegen der Stadtstaat und das bevölkerungsreichste Bundesland weit über dem Bundesdurchschnitt von 2,8 Prozent. Berlin und Rheinland-Pfalz kamen je auf über drei Prozent, Mecklenburg-Vorpommern und Hessen erreichten eine Quote von knapp über zwei Prozent. Schlusslichter waren Baden-Württemberg (1,04 Prozent), Sachsen-Anhalt und Sachsen (0,97 und 0,43 Prozent).
Überhaupt zieht es die Studenten ohne Abi eher in den Westen als in den Osten. Das lässt tief in die Studentenseele blicken. Viele ostdeutsche Hochschulen verzeichneten in den letzten Jahren starke Zuwächse an Studierenden aus Westdeutschland, weil in den Heimatbundesländern der Bewerber die Konkurrenz so gewaltig war und auf einen freien Platz zig Bewerber kommen.
Diesem Druck sehen sich die Studenten ohne Abitur aber nicht ausgesetzt. Sie gehen also dorthin, wo es sie hinzieht. Im Umkehrschluss heißt das womöglich, dass, gäbe es insgesamt weniger Studenten, die Ost-Unis schnell leerer werden würden. Doch das ist eine andere Geschichte.
Bei der Fächerwahl entschied sich die Hälfte der Erstsemester ohne Abitur für Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Dahinter folgten die Sprach- und Kulturwissenschaften (14 Prozent) sowie die Ingenieurwissenschaften (13 Prozent). Rund zehn Prozent dieser Studienanfänger begannen 2014 ein Studium im Bereich Medizin und Gesundheitswissenschaften.
Alternativen für Studienabbrecher
Vor allem Fachhochschulen seien bei Studenten ohne Hochschulreife gefragt, erklärte die Leiterin Hochschulforschung beim CHE, Sigrun Nickel. So mache ihr Anteil dort mittlerweile rund vier Prozent aus. Bei den Universitäten seien es knapp zwei Prozent.
Unter den bundesweit 49 staatlichen und privaten Hochschulen nahm laut Studie die Fernuniversität Hagen 2014 mit 2034 Immatrikulationen die meisten Studienanfänger ohne Abi auf. Mit einigem Abstand folgten die Hochschule Bad Honnef-Bonn (1502) und die FOM Fachhochschule für Ökonomie und Management in Essen (964). Studieninteressierten stehen bundesweit knapp 7000 Studienangebote offen.
Die Wirtschaft sieht diese Klientel gern. Allerdings betrachtet sie die zunehmende Studienorientierung auch mit Sorge. "Die steigende Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung eröffnet jungen Leuten vielfältige Bildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten. Durchlässigkeit sollte aber keine Einbahnstraße sein", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Achim Dercks der "Welt".
Genauso wichtig, wie beruflich Qualifizierten den Übergang in ein Hochschulstudium zu ermöglichen, sei es beispielsweise, Studienabbrechern alternative Qualifizierungswege in der beruflichen Bildung aufzuzeigen.
Quelle : welt.de
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