Wie gefährlich ist die Visafreiheit für Türken?

  10 März 2016    Gelesen: 645
Wie gefährlich ist die Visafreiheit für Türken?
Neue Migrationsströme, Terrorgefahr - Teile der Union fürchten die geplante Visafreiheit für Türken. Doch womöglich sind die Sorgen völlig überzogen.
Wollen Türken für Geschäfte oder ein paar Urlaubstage nach Europa kommen, ist das nicht nur teuer. Sie werden so behandelt, als wäre der wahre Grund ihre Reise, dass sie sich in der EU niederlassen, vielleicht gar untertauchen wollen. Türken hassen deshalb die Visa-Prozedur. Und sie hassen sie noch mehr, weil sie ihnen so ungerecht erscheint.

Für EU-Beitrittskandidaten ist es laut Kristian Brakel völlig normal, dass ihre Bürger ohne Visum reisen dürfen. Doch für den EU-Beitrittskandidaten Türkei gilt das dem Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul zufolge nicht. "Viele Türken fühlen sich wahnsinnig gedemütigt", so Brakel zu n-tv.de.

Das dürfte auch für den stolzen Präsidenten des Landes, Recep Tayyip Erdoğan, gelten. Dem bleibt es dank seines Diplomatenpasses zwar erspart, um ein Visum zu bitten. Doch er kämpft dafür, dass die Europäer sein Land endlich auf Augenhöhe wahrnehmen.

Kein Wunder also, dass die Visaliberalisierung ganz oben auf Ankaras Wunschliste beim Flüchtlingsdeal mit der EU steht. Seit dem jüngsten EU-Türkei-Gipfel gilt deshalb: Die Visafreiheit für Türken, über die schon seit 2013 verhandelt wird, soll nun schon Ende Juni statt im Oktober kommen. Ist das möglich? Und wenn ja: Was bedeutet das für die EU?

Angst vor Missbrauch und Massaker

Die CSU erwartet Furchtbares. "Die Visabefreiung lädt zu Missbrauch ein", sagt der Innenpolitiker Hans-Peter Uhl. Und er prophezeit, dass es der EU mit dem Deal mit Ankara zwar gelingen könnte, Syrer von der Reise nach Europa abzuhalten, dass mit türkischen Kurden dann aber gleich die nächste Migrationswelle heranschwappen würde. "Voraussetzung für eine Befreiung muss deshalb die Einordnung der Türkei als sicheres Herkunftsland sein", so Uhl. Reisefreiheit also nur, wenn man Türken in einem Asylschnellverfahren auch prompt wieder zurückschicken kann, wenn sie mehr wollen als Geschäfte und Urlaub.

Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist mindestens skeptisch. Neben der Angst vor einem legalen Korridor für türkisch-kurdische Flüchtlinge berührt eine Visaliberalisierung aus seiner Sicht auch die Sicherheitsinteressen der EU, schließlich gilt die Türkei als das Transitland für Terroristen. Kürzlich sagte der CDU-Politiker in einem Interview: "Werden Sicherheitsprobleme durch Visaliberalisierung geschaffen und wird dadurch ein Asylzustrom hervorgerufen, den wir sonst nicht hätten?" Aus de Maizières Haus hieß es auf Anfrage von n-tv.de: "Nach Auffassung der Bundesregierung muss grundsätzlich das Prinzip gelten, dass vor Inkrafttreten einer Visafreiheit alle Kriterien und Benchmarks erfüllt sein müssen."

Brakel von der Grünen-nahen Böll-Stiftung hält die Sorgen der Unionspolitiker für überzogen. "Die Risiken für die EU sind nicht besonders groß", sagt er. Zwar sei es möglich, dass Personen einreisen, die man lieber draußen halten würde, aber er geht von einer überschaubaren Zahl aus. Gleiches gilt laut Brakel für türkische Kurden, die den Kämpfen im Osten des Landes entfliehen. Zwar seien alle Kurden in der Türkei von Repressionen betroffen. Die Gebiete, in denen es zu bewaffneten Konflikten komme, seien aber nicht groß. "Es ist nicht so, wie es die CSU darstellt." Laut Brakel haben die Chancen für Geschäftsleute und den gesellschaftlichen Dialog, die mit der Liberalisierung einhergingen, ein deutlich höheres Gewicht.

Bei den Voraussetzungen nimmt es die EU nicht so genau

Um für ein Maximum an Sicherheit zu sorgen, pocht auch die EU-Kommission darauf, dass Ankara alle Kriterien erfüllt, um sich für die Visafreiheit zu qualifizieren. Konkret geht es um 72 Punkte eines sogenannten "Fahrplans" zur Visafreiheit.

Nur ein paar Tage vor dem jüngsten EU-Türkei-Gipfel veröffentlichte die Kommission einen Bericht, der dem Land mitunter große Fortschritte auf ihrem Weg attestierte - vor allem, seit das Land mit der EU in enge Verhandlungen für den Flüchtlingspakt getreten ist.

Zwar gibt es noch einige offene Punkte. So fordert die EU-Kommission, dass Ankara auf Pässen nicht nur biometrische Fotos, sondern auch Fingerabdrücke aufnehmen müsse. Auch die Zusammenarbeit mit europäischen Strafverfolgungsbehörden und der Justiz müsse noch ausgebaut werden - insbesondere, wenn es um den Kampf gegen den Terrorismus geht. Doch bei der EU-Kommission gibt man sich vorsichtig optimistisch. Und auch Brakel sagt, es gehe jetzt praktisch nur noch um technische Details. Es sei durchaus realistisch, die Voraussetzungen bis Ende Juni zu erfüllen. Mit einem Vorbehalt allerdings: Moralisch einwandfrei wird es dabei laut Brakel nicht zugehen.

Ausgerechnet im Kapitel zu den Grundrechten stellt die EU-Kommission in ihrem jüngsten Bericht zu den Voraussetzungen für die Visaliberalisierung fest, dass sich seit mehr als einem Jahr praktisch nichts bewegt habe. Die Kommission listet unter diesem Punkt unter anderem die Diskriminierung bestimmter Ethnien auf und die Vernachlässigung der Minderheit der Roma.

Doch dass der Deal daran scheitert, glaubt Brakel nicht. Er sagt: "Die Probleme gibt es natürlich, aber genau das ist der Bereich, den man am leichtesten ausblenden kann, wenn der politische Wille groß genug ist."

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