"Das ist ein Angriff auf Amerika"

  07 Januar 2021    Gelesen: 325
  "Das ist ein Angriff auf Amerika"

Seit Wochen spricht US-Präsident Trump von Wahlfälschung und stachelt seine Anhänger immer weiter an. Nach einer Kundgebung in Washington kommt es zu chaotischen Szenen. Befürworter des Republikaners dringen gewaltsam ins Kapitol ein. Die Empörung ist groß - in beiden politischen Lagern.

US-Präsident Donald Trump dürfte den Zeitpunkt des Auftritts vor seinen Unterstützern am Mittwoch bewusst gewählt haben. Kurz vor 12 Uhr mittags tritt der Republikaner auf die Bühne unweit des Weißen Hauses. Gut eine Stunde später soll im nahen Kapitol der Kongress zusammenkommen, um Trumps Wahlniederlage gegen den Demokraten Joe Biden bei der Präsidentenwahl zu bestätigen. Es ist die letzte formelle Hürde vor der Vereidigung Bidens in zwei Wochen, das weiß auch der abgewählte Amtsinhaber - der sich mit zunehmender Verzweiflung gegen seine Niederlage stemmt.

Trump feuert seine Anhänger dazu an, vor das Kapitol zu ziehen. Dort sollen Abgeordnete und Senatoren bei einer gemeinsamen Sitzung die Ergebnisse aus den Bundesstaaten zertifizieren, die eindeutig Biden als Sieger sehen. "Wir werden dort hingehen, und ich werde bei Euch sein", ruft Trump, auch wenn er letzteres offenbar symbolisch meint, weil er anschließend ins Weiße Haus zurückkehrt. "Wir werden nicht zulassen, dass sie Eure Stimmen zum Schweigen bringen", ruft Trump. "Wir werden niemals aufgeben."

Danach eskaliert der von Trump seit Wochen angeheizte Konflikt um das Wahlergebnis vom 3. November vollends. Hardcore-Anhänger des Republikaners werden von Kritikern mit einem Kult verglichen, für sie ist sein Wort Gesetz. Die Demonstranten begnügen sich aber nicht mit friedlichem Protest vor dem Gebäude, in dem beide Kammern des US-Parlaments untergebracht sind. Erst kommt es zu Zusammenstößen mit der Kapitol-Polizei. Dann überwinden Demonstranten Barrikaden und dringen in das schwer gesicherte Gebäude ein.

Angeschossene Frau stirbt

Zu dem Zeitpunkt haben sich Senatoren und Abgeordnete aus der gemeinsamen Sitzung in ihre jeweiligen Kammern zurückgezogen. Der Grund: Trumps loyalste Anhänger unter den Volksvertretern haben wegen der unbelegten Betrugsvorwürfe Trumps Einspruch gegen das Ergebnis im Bundesstaat Arizona vorgelegt, nun muss darüber getrennt debattiert und abgestimmt werden. Mehrere solcher Einsprüche sollten im Laufe des Tages noch folgen. Doch dann müssen die Sitzungen wegen der eskalierenden Gewalt unterbrochen werden, Abgeordnete und Senatoren müssen in Sicherheit gebracht werden.

Die Hauptstadt-Polizei teilt am Abend mit, nach der Erstürmung des Kapitols sei in dem Gebäude unter ungeklärten Umständen eine Frau angeschossen worden, sie stirbt später. Die Bürgermeisterin der Hauptstadt, Muriel Bowser, verhängt wegen der Gewalt eine nächtliche Ausgangssperre ab 18 Uhr und fordert Polizeikräfte aus umliegenden Bundesstaaten zur Verstärkung an. Die Nationalgarde wird mobilisiert.

Manche Demonstranten machen aus ihrer Gewaltbereitschaft keinen Hehl - ganz im Gegenteil. "Es ist eine Schande, dass wir nicht das ganze Gebäude niedergebrannt haben", sagt einer von ihnen einem dpa-Reporter. Ein anderer Trump-Anhänger sagt, man habe das Kapitol gestürmt, "um die Verräter zu hängen". Wieder ein anderer meint mit Blick auf das Eindringen ins Parlamentsgebäude: "Natürlich ist das nicht das, was wir wollen, aber es ist das, was jetzt passieren muss."

Trump hat diesen beispiellosen Zwischenfall heraufbeschworen, nun versucht er auf Twitter, zumindest die Gewalt zu beenden. Er bittet darum, die Polizei zu unterstützen. "Sie sind wirklich auf der Seite unseres Landes. Bleibt friedlich!", schreibt er. In einem weiteren Tweet schreibt der Noch-Präsident: "Ich bitte jeden am US-Kapitol, friedlich zu bleiben. Keine Gewalt!"

Twitter und Facebook sperren Trump auf ihren Plattformen


Was Trump nicht tut: Den Angriff verurteilen. Und er lässt sich viel Zeit für den Appell an seine Tausenden Anhänger, die das Parlamentsgebäude umringen oder sogar an Sicherheitsbeamten vorbei hineingestürmt sind, sich zu zerstreuen. "Ich weiß, wie Ihr Euch fühlt, aber geht nach Hause", sagt Trump in einem Video, das er am späten Nachmittag auf Twitter verbreitet. Dann lobt er die Demonstranten: "Wir lieben Euch, Ihr seid sehr besonders." Und er behauptet wieder, dass die Wahl "gestohlen" worden sei. Später sperren Facebook und Twitter Trump für mehrere Stunden.

Selbst Trumps ehemalige Kommunikationsdirektorin Alyssa Farah schreibt an seine Twitter-Adresse, es klingt fast flehentlich: "Verurteilen Sie dies jetzt, @realDonaldTrump - Sie sind der einzige, auf den sie hören werden. Für unser Land!" In einem denkwürdigen Tweet legt Farah später nach: "Ich bin eine von Euch", schreibt sie an die Adresse der Trump-Unterstützer. "Ich habe für Trump Wahlkampf gemacht und für ihn gestimmt. Aber Ihr müsst mir zuhören: Die Wahl wurde nicht gestohlen. Wir haben verloren."

Biden wendet sich in einer Ansprache an seine Landsleute und betont, "das Kapitol zu stürmen" sei kein Protest. Er spricht von einem "beispiellosen Angriff" auf die Demokratie. Auch bei den Abgeordneten und Senatoren sorgt der Sturm auf den Kongress parteiübergreifend für Empörung und Fassungslosigkeit. Der republikanische Abgeordnete Adam Kinziger schreibt auf Twitter: "Das ist ein Putschversuch." Seine demokratische Kollegin Katherine Clark meint: "Das ist ein Angriff auf Amerika."

Der enge Trump-Vertraute Ted Cruz führt die Gruppe der Senatoren an, die die Wahlergebnisse nicht anerkennen wollen. Auch er schreibt: "Diejenigen, die das Kapitol stürmen, müssen jetzt aufhören." Wer Gewalt ausübe, schade der Sache. Senator Lindsey Graham, der normalerweise eisern an Trumps Seite steht, meint: "Das ist eine nationale Peinlichkeit."

Pence geht auf DIstanz zu Trump

Dieser "Peinlichkeit" ist ein monatelanges Spiel Trumps mit dem Feuer vorausgegangen. Schon lange vor der Wahl wollte er sich nicht darauf festlegen, ob er das Ergebnis anerkennen werde. Er weigerte sich auch, eine friedliche Machtübergabe zuzusichern, sollte er verlieren. Aus seiner Sicht, das machte er am Mittwochmittag bei seinem Auftritt deutlich, ist er der Sieger. Eines seiner kruden Argumente lautet verkürzt so: Weil er Millionen mehr Stimmen bekommen hat als bei seinem Sieg 2016, könne er gar nicht verloren haben. Dass Biden noch mehr Stimmen hatte, hat aus seiner Sicht nur einen Grund: Betrug.

In den vergangenen Wochen muss aber auch Trump zunehmend klar geworden sein, dass seine Chancen schwinden - selbst Verbündete wie der Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, erkannten Bidens Wahlsieg an. Dutzende Klagen des Trump-Lagers wurden abgeschmettert, auch von Richtern, die Trump ernannt hat, und auch vom Supreme Court.

Trump setzte seine wohl letzte Hoffnung in Vizepräsident Mike Pence, der zugleich Präsident des Senats ist und der gemeinsamen Sitzung des Kongresses am Mittwoch vorstand. Kaum jemand stand in den vergangenen Jahren loyaler zu Trump als Pence, der seine Sätze bislang gerne mit den Worten "Dank Ihrer Führung, Herr Präsident" begann. Trump forderte Pence nun unverhohlen dazu auf, die Stimmen von "betrügerisch" ausgewählten Wahlleuten abzuweisen - und somit Bidens Sieg auf den letzten Metern zu kippen.

Unmittelbar vor Beginn der Kongresssitzung machte Pence aber in einer Mitteilung deutlich, dass er nach der Verfassung gar keine Befugnis dazu habe. Trump schrieb daraufhin auf Twitter: "Mike Pence hatte nicht den Mut, das zu tun, was getan werden sollte, um unser Land und unsere Verfassung zu schützen."

"Sie haben versucht, unsere Demokratie zu stören"


Erst am frühen Abend gelingt es der Polizei, die Trump-Anhänger aus dem Kapitol zu vertreiben. Nach stundenlanger Unterbrechung kommen die Senatoren und Abgeordneten wieder zusammen - sichtlich erschüttert, aber auch entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen. "Sie haben versucht, unsere Demokratie zu stören. Sie sind gescheitert", sagt Mehrheitsführer McConnell im Senat.

Deutliche Worte finden einige der Senatoren auch für Trumps Rolle in der Angelegenheit. Der Demokrat Dick Durbin sagt: "Dieser Mob wurde von einem Präsidenten inspiriert, der eine Niederlage nicht akzeptieren kann." Und sein republikanischer Kollege Mitt Romney, ein parteiinterner Kritiker des Präsidenten, meint: "Was hier heute passiert ist, war ein Aufstand, der vom Präsidenten der Vereinigten Staaten angezettelt wurde." Romney, einst selbst Präsidentschaftskandidat seiner Partei, spricht vom "verletzten Stolz eines Egoisten" und fügt hinzu: "Die Wahrheit ist, dass der gewählte Präsident Biden die Wahl gewonnen hat. Präsident Trump hat verloren."

Quelle: ntv.de, Can Merey, dpa


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