Als Anna Wassiljewna Chapman, geborene Kuschtschenko, in den Vereinigten Staaten verhaftet wurde, stand sie im Ruf einer Meister-Spionin. Das FBI betonte ihr "außergewöhnliches Training", den Behörden sei eine "raffinierte Agentin Russlands" ins Netz gegangen. In Russland stieg sie auf zur patriotischen Stilikone. Stadträte ihrer Geburtsstadt Wolgograd wollten sie zur Ehrenbürgerin ernennen.
Sie trat bei Modenschauen auf, die russische Ausgabe des Männermagazins "Maxim" machte sie zum Covergirl, Chapman posierte dafür in Dessous und mit Pistole. "Annas rätselhafte Augen lassen Männer den Verstand verlieren. Nach Mata Hari ist Anna einfach die Spionin mit dem größten Sexappeal", dichtete ein Moskauer Regenbogenblatt. Die neue Bekanntheit war das Startkapital für ihre neue Karriere. Sie hat es in unterschiedliche Bereiche investiert, mit wechselndem Erfolg.
So wurde sie etwa Beraterin des Vorstands eines Geldhauses. Die Fundservicebank hat einen komplizierten Namen und ein einfaches Geschäftsmodell: Sie wurde geführt von ehemaligen Funktionären der russischen Raumfahrtbranche und verdiente ihr Geld mit der Verwaltung von Geldern der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos. Im vergangenen Jahr hat Anna Chapman ihren Posten dort geräumt. Das Unternehmen ist in Schwierigkeiten, die Zentralbank hat es unter Zwangsverwaltung gestellt.
Nach ihrer Rückkehr sah alles danach aus, als schicke sie sich an, Russlands neues It-Girl zu werden. Chapman wurde Stargast bei rauschenden Partys in Moskaus High-Society. Die Klatschpresse entdeckte sie bei einer Sause des Milliardärs Suleiman Kerimow und nannte sie "rothaarige Bestie".
Zu kühl für die It-Girl-Karriere
Party machen und gut aussehen - Paris Hilton hat bewiesen, dass das Prinzip Party-Göre ein Geschäftsmodell sein kann. Die Amerikanerin hat 13,6 Millionen Follower auf Twitter. Nur: Zu ihrer Popularität haben eben auch die Exzesse und Eskapaden beigetragen. Wenn Anna Chapman auftritt, wirkt sie beherrscht bis zur Unterkühlung. Sie findet, Privates solle privat bleiben. Die Zahl ihrer Skandale: null. Auf Twitter hat Anna Chapman gerade einmal 17.000 Fans. Der letzte Eintrag stammt vom Mai 2015.
Im TV-Studio am Moskauer Stadtrand stöhnt die Regisseurin auf. Chapman wirke zu steif: "Wenn sie doch nur etwas lebendiger wäre!" Anna Chapman hat inzwischen mehr als 160 Folgen gedreht, wirkt vor der Kamera aber immer noch hölzern. Der Sender Ren-TV hat den Vertrag dennoch verlängert, die Quoten stimmen. In der Spitze hat die Sendung vor ein paar Jahren mal 12 Prozent erreicht, zuletzt waren es im Schnitt 5,2 Prozent, Ren-TV erreicht sonst im Schnitt 4 Prozent.
"Chapmans Geheimnisse" ist eine trashige Mischung aus Wissenschaftsmagazin und Bühne für Verschwörungstheorien. Die Sendung dreht sich um die Wunderwirkungen von Soda ("Die Asche des Götterfeuers"), von Dämonen besessene Menschen oder den angeblichen Versuch der CIA, Weißrusslands Präsidenten Lukaschenko zu vergiften (Lukaschenkos Pressesprecher sprach von "völligem Unfug"). Die Themen der Sendung wähle die Redaktion aus, sagt Chapman.
Drehpause im Studio, Anna Chapman im Interview. Sie wechselt von Russisch zu Englisch und gelegentlich ins Deutsche, sie hat es in der Schule gelernt. Nach ihrer Rückkehr aus den USA sei es schwer gewesen, "auf die Straße zu gehen, weil ich an jeder Straßenecke erkannt wurde. Du bist im Fitnessstudio und willst dich gerade umziehen und jemand will ein Autogramm". Interview-Absprachen sind schwierig. Die Liste der Themen, über die sie nicht reden will ist lang: das Agentenleben in den USA, Politik, Privates.
"Ich vermisse die schönen Männer dort"
Sie spricht lieber über das Modelabel, das sie gegründet hat. Chapman arbeitet mit Stoffen mit slawischen Mustern und hat eine Kollektion Handtaschen in Buchform herausgebracht, auf denen die Titel russischer Romanklassiker stehen: Bulgakows "Meister und Margarita", Gribojedows "Verstand schafft Leiden". Sie wolle mit ihren Kreationen zeigen, "dass man die russische Kultur nicht fürchten muss, sondern lieben kann". Sie hält es für ein Versäumnis, "dass Russland der Menschheit zwar den Weg in den Kosmos gebahnt habe, aber nicht in der Lage war, eine konkurrenzfähige Kleidung für den Massenmarkt zu entwickeln".
Hat sie manchmal Sehnsucht nach ihrem Leben in den USA? "Ich vermisse die schönen Männer dort. In New York achten alle Männer auf sich. Ich verstehe nicht, warum unsere russischen Männer nicht mehr Sport machen oder rechtzeitig zum Friseur gehen."
Chapman sagt, sie genieße schon die Aufmerksamkeit. Sie nerve aber, "dass die Medien jede Person auf ein, zwei Charakterzüge reduzieren". Nur: Das Bild, dass sie selbst von sich in der Öffentlichkeit gezeichnet hat war bislang auch nicht differenzierter. Sie ist mal mit dem russischen Popsänger und Eurovision-Sieger Dima Bilan über einen Laufsteg spaziert, in enger Lederhose, mit rotem Haar und Knarre. Sie ist den Spitznamen "rothaarige Bestie" nie losgeworden, aber das liegt auch an ihr.
Auf ihrer Seite beim russischen Facebook-Klon VK.com - 30.000 Abonnenten - taucht bei den Followern stets die gleiche Frage auf: Wie sie denn so sei, "im richtigen Leben"? Eine klare Antwort ist Chapman ihnen bislang schuldig geblieben. "Vielleicht ist Anna Chapman verletzbarer und einsamer im richtigen Leben, als das öffentliche Bild von ihr glauben macht", sagt sie in der Drehpause im Moskauer TV-Studio. Sie habe sich in den USA womöglich zu sehr an ein Leben im Verborgenen gewöhnt. Sie wolle jetzt mehr "Dinge tun, die normale Menschen machen".
Quelle : spiegel.de
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