Athen und Ankara in der Flüchtlingskrise: Zur Kooperation gezwungen
Seit vergangenem Jahr drängt die EU die Türkei, ihre Grenzen besser zu sichern und zu erreichen, dass weniger Menschen über die Ägäis nach Griechenland gelangen. Derzeit sind es durchschnittlich 2000 Personen pro Tag. Die Türkei bietet an, dass diejenigen Flüchtlinge ohne Asylanspruch, denen die gefährliche Bootsfahrt bis zu einer der griechischen Inseln gelingt, von Griechenland künftig zurückgeschickt werden dürfen.
Es sind Punkte wie dieser, die eine sehr viel stärkere Kooperation nötig machen. Denn ein Rücknahmeabkommen zwischen der Türkei und Griechenland gibt es zwar seit 2001, doch wurde es bislang nicht umgesetzt. Ebenso wenig ein Abkommen zwischen der Türkei und der EU, das seit 2014 existiert. Griechenland stellte in den vergangenen Jahren mehrere Tausend Anträge auf Rückführung, aber nur in wenigen Fällen erklärte Ankara sich rücknahmebereit. Jetzt gibt es zarte Anzeichen der Besserung: Zum ersten Mal nach Jahren hat die Türkei in den vergangenen Tagen 308 Menschen wiederaufgenommen. Sie stammen überwiegend aus Tunesien, Algerien und Marokko, teilte die EU-Kommission mit.
Fraglich ist, ob die griechisch-türkische Zusammenarbeit dauerhaft gelingt. Auf griechischer Seite sind nur rund 120 Beamte mit der Bearbeitung von Asylanfragen beschäftigt. Sie dürften mit der Rückführung überfordert sein. Nach Angaben der griechischen Regierung sitzen derzeit fast 36.000 Menschen in Griechenland fest und wären möglicherweise von diesem Verfahren betroffen. Außerdem müssen viele Tausend Flüchtlinge innerhalb des Landes umverteilt werden. Es fehlt an Kapazitäten, die Pläne umzusetzen.
Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras und sein türkischer Amtskollege Ahmet Davutoglu signalisierten Mitte der Woche in Izmir die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Das alleine hatte schon Symbolkraft, handelte es sich doch um den ersten Besuch eines griechischen Regierungschefs in Izmir seit Gründung der Türkischen Republik - in jener Stadt, die einst ein griechisches Zentrum war. Wie es scheint, lässt das Interesse, eine Lösung in der Flüchtlingsfrage zu finden, Streitereien zwischen beiden Ländern in den Hintergrund treten. Die Regierungschefs tauschten Freundlichkeiten aus und beschlossen unter anderem den Bau eines Hochgeschwindigkeitszugs sowie neue Bus- und Flugverbindungen.
Doch nach wie vor gibt es Gebietsstreitigkeiten zwischen Griechenland und der Türkei in der Ägäis. Griechische Offiziere kritisieren immer wieder Luftraumverletzungen durch türkische Militärflugzeuge. Ein weiterer Streitpunkt ist Zypern, wo nach ein von Athens Obristen angezettelter Putsch 1974 zur türkischen Invasion führte. Seither ist die Insel politisch geteilt. Hier schreiten die Bemühungen um Wiedervereinigung voran, beide Seiten führen einen intensiven Dialog.
Im Gespräch mit türkischen Politikern hört man, je nach politischem Lager, Kritik bis Verachtung für die Griechen. Umgekehrt ist es ähnlich: Erst am Mittwoch nannte ein griechischer EU-Abgeordneter der Neonazipartei Goldene Morgenröte Türken im EU-Parlament "dumme und schmutzige Barbaren". EU-Parlamentspräsident Martin Schulz warf ihn daraufhin aus dem Plenarsaal.
Zusammengefasst: Die Flüchtlingskrise zwingt Griechenland und die Türkei zu einer engen Zusammenarbeit. Die Regierungen zeigen Bereitschaft zur Kooperation. Doch der Streit um Zypern und Gebiete in der Ägäis belastet noch immer das Verhältnis zwischen Ankara und Athen. Deshalb ist offen, ob die angestrebte Rückführung von Migranten in die Türkei funktioniert.
Quelle : spiegel.de