Darum versagt Deutschland beim Impfen

  21 Januar 2021    Gelesen: 416
Darum versagt Deutschland beim Impfen

Es läuft nicht rund beim rettenden Pieks: Die EU war bei ihrer Bestellung zu zögerlich, doch das allein ist nicht der Grund für die Engpässe beim Impfstoff. Auch die USA sind dafür verantwortlich, dass andere Länder beim Impfen im Stau stehen.

Das deprimiert: Das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen muss Impfungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen für eine Woche aussetzen. Die 53 Impfzentren im Land werden somit noch eine Woche länger darauf warten müssen, dass der Betrieb endlich losgehen kann.

Wieso kommt es bei kleiner Liefermenge nun auch noch zu Engpässen?

Deutschland ist beim Biontech/Pfizer-Impfstoff auf Lieferungen aus den europäischen Produktionsstätten angewiesen. In Belgien verzögert sich die Herstellung. Immerhin kam vergangenen Freitag die Genehmigung für die Anlage von Biontech in Marburg, wo im ersten Halbjahr dieses Jahres 250 Millionen Dosen des Impfstoffs hergestellt werden sollen. Der Vorteil in Marburg: Die Anlage musste nicht neu entwickelt und installiert werden, sondern hat vorher schon für das Schweizer Pharma-Unternehmen Novartis produziert. Darum kann man in Marburg schon im Februar mit der Produktion beginnen, obwohl Biontech erst Anfang Dezember den Antrag für den Umbau gestellt hatte. Das klingt gut, hilft aber nicht in der zweiten Januarhälfte.

Jetzt leiden Deutschland und auch andere EU-Staaten darunter, dass Pfizer ein Werk in Belgien modernisiert, damit dort künftig größere Mengen produziert werden können. Leider hat man diese Modernisierung nicht schon vor Beginn der heißen Produktionsphase vorgenommen. Pfizer hat zugesagt, dass die Gesamtmenge der Lieferung für das erste Quartal nicht unterschritten wird. Trotzdem kommt es nun kurzfristig zu Lieferengpässen. Zunächst hieß es, die Engpässe würden sich über vier Wochen ziehen. Inzwischen hat Pfizer angekündigt, nach einer Woche wieder auf höherem Niveau zu produzieren.

Hat die EU zu wenig Impfstoff bestellt?

Nicht zu wenig, aber teils sehr spät. Die EU-Kommission hat mit insgesamt sechs Herstellern Verträge abgeschlossen. Sie braucht Impfdosen für 450 Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger und bekommt, wenn alle Vereinbarungen Bestand haben, mehr als zwei Milliarden Dosen dieser sechs Präparate. Der Teufel liegt hierbei nicht im Detail, sondern im Zeitpunkt: Denn diese riesige Menge an Impfdosen muss nach und nach hergestellt werden. Und erst zwei der sechs Impfstoffe haben überhaupt eine Zulassung - Biontech/Pfizer und Moderna. Die Verträge mit den zwei bereits erfolgreichen Herstellern wurden vergleichsweise spät abgeschlossen, Ende November und Anfang Dezember. Verträge mit zwei anderen Produzenten wurden schon im August und September unterzeichnet. Nur sind deren Präparate noch nicht zulassungsreif.

Hat die EU also auf das falsche Pferd gesetzt?

Die EU hat versucht, auf sechs Pferde zu setzen. Das sollte das Risiko minimieren, dass man auf ein falsches Pferd setzt und am Ende ohne Impfstoff dasteht. Als erste Verhandlungen über Impfstoffbestellungen stattfanden, deutlich früher als die Verträge letztlich abgeschlossen wurden, konnte noch niemand sicher vorhersagen, welche Substanz als erste den erfolgreichen Abschluss aller notwendigen Studien vorweisen und schließlich eine Zulassung für die EU erhalten würde. So zumindest sieht es der Virologe Gerd Sutter von der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Biontech und Moderna hätten im Juli Ergebnisse der ersten klinischen Studien vorgestellt. Da sei es um Verträglichkeit und die Fähigkeit, die Bildung von Antikörpern anzuregen, gegangen. "Diese Prüfungen hinsichtlich Verträglichkeit und immunologischer Aktivität erlauben noch keine Rückschlüsse auf die Wirksamkeit eines Impfstoffes", sagte der Virologe der Süddeutschen Zeitung.

Diese Impfstoffe sind Präparate, die auf einer völlig neuen Methode der Herstellung beruhen. Es gab damit keine Erfahrungen und daher auch keine Sicherheit, dass das Verfahren erfolgreich sein würde. Die USA haben trotzdem schon bestellt, und zwar sehr große Mengen. Das war aus heutiger Sicht eine gute Strategie, sie war aber mit einem extrem hohen Risiko verbunden. Hätte sich herausgestellt, dass die Impfstoffe nicht wirksam sind, stünden die USA jetzt mit hohen Kosten und leeren Händen da.

Aber hätte man nicht im Sommer schon alle sechs Verträge abschließen können?

Das wäre möglich gewesen. Allerdings kam bei den Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna noch etwas hinzu: Es war zwar noch unklar, ob sie wirksam sein würden, was aber schon klar war: Sie würden eine Ultra-Tiefkühlung zum Lagern benötigen. Einige EU-Staaten waren laut Darstellung des Gesundheitsministeriums sehr zurückhaltend aufgrund dieser speziellen Herausforderung an die Logistik hinter dem Impfprozess. Das Interesse am Biontech/Pfizer-Impfstoff war mäßig.

Astrazeneca hingegen arbeitete an einem Impfstoff, der weitaus unkomplizierter anzuwenden sein sollte und rechnete ebenfalls mit einer Zulassung noch in 2020. Das schien also ein wesentlich attraktiveres Angebot zu sein. Deutschland wollte dennoch auch auf Biontech setzen und garantierte dem Unternehmen, 100 Millionen Dosen abzunehmen, damit bei diesen schwierigen Bedingungen überhaupt ein Vertrag zustande kam. Letztlich war jener dann der erste zugelassene Impfstoff und, als das im Herbst absehbar war, natürlich sehr begehrt.

Allerdings zeigt das Beispiel Kanadas, dass ein früherer Vertrag mit Biontech/Pfizer nicht automatisch frühe Lieferungen bedeutet. Kanada hat einen Kaufvertrag Anfang August abgeschlossen, das geht aus gesammelten Daten der EU hervor. Das Land will bis zu 76 Millionen Dosen abnehmen, bis Ende 2020 wurden aber "nur" 255.000 Dosen geliefert. Im Januar sollte es mit 125.000 Dosen pro Woche weitergehen. So steht also Kanada trotz des frühen Vertragsabschlusses nicht besser da als Deutschland, das für das erste Quartal 2021 von Pfizer 11 bis 13 Millionen Dosen zugesagt bekommen hat. Der frühe Abschluss alleine birgt nicht die Lösung. Ein früherer Abschluss hätte die Situation von heute aber vermutlich zumindest verbessert.

Warum bekommen die USA so viel mehr Impfstoff als andere Staaten?

Auch bei den Impfstoffen galt für den US-Präsidenten Donald Trump die Maxime "America first". Der amerikanische Hersteller Pfizer wurde - wie alle US-Produktionsstätten - per Dekret von Trump dazu angehalten, US-Bürger bevorzugt zu versorgen. Entsprechend wird derzeit von den amerikanischen Produzenten mit ihren US-Kapazitäten nur der amerikanische Markt versorgt.

Die europäischen Produktionsstätten von Pfizer müssen die EU, aber auch den gesamten Rest der Welt beliefern. Das macht sich bemerkbar: Die USA haben im Dezember nur eine Woche früher als die EU ihren zusätzlichen Impfstoff bei Pfizer bestellt - 100 Millionen Dosen des Biontech-Vakzins. Die Zusage: Lieferung in zwei großen Posten bis Ende Juli. Die EU war nur eine Woche später dran und hat lediglich eine Lieferzusage für 2021, das kann rein theoretisch also auch erst spät im Jahr sein. Pfizer bemüht sich, auch in der ersten Jahreshälfte schon zu liefern, aber vertraglich festgelegt ist das nicht.

In derselben schwierigen Situation befindet sich auch Moderna, der zweite US-Hersteller, dessen Impfstoff in der EU bereits zugelassen ist. Mit der Amtsübernahme durch Joe Biden hat sich nun eine Möglichkeit aufgetan, über diese sehr unsolidarische Strategie der Amerikaner nochmals zu reden.

Warum erhielt Israel so früh so viel Impfstoff?

Israel ist tatsächlich sehr erfolgreich in seiner Impfstrategie. Das Land hat schon begonnen am 20. Dezember zu impfen, als der Wirkstoff in der EU noch nicht zugelassen war. Das Ziel von 150.000 Impfungen pro Tag hat man seitdem oft überschritten. Premier Benjamin Netanjahu hat gute Kontakte in die Branche und konnte mit einem Pfund wuchern: Das Gesundheitssystem ist stark digitalisiert, jeder Israeli besitzt eine Krankenakte der letzten 25 Jahre. Die Impfkampagne in Israel ist darum für die Pharma-Konzerne so etwas wie eine Feldstudie. Sie können anhand detaillierter Datenmengen Effekte analysieren und Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Schnellimpfung ziehen. Da Israel für alle Erwachsenen über 16 Jahre nur 12 Millionen Dosen benötigt, kommt das Land sehr schnell voran, hat dafür allerdings - im Vergleich zur EU - den doppelten Preis bezahlt.

Quelle: ntv.de


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