Altes Finanzsystem triumphiert über Bitcoin

  30 Januar 2021    Gelesen: 754
  Altes Finanzsystem triumphiert über Bitcoin

Bitcoin bieten vollständige Autonomie. Nur der Besitzer kann auf sein Konto namens Wallet zugreifen, niemand sonst. Aber es kann auch niemand helfen, wenn etwas schiefgeht. Vor allem vergessliche Krypto-Millionäre sehnen sich nun nach mehr, nicht weniger Finanzaufsicht.

Der Reiz von Bitcoin ist ein ganz besonderer. Niemand braucht mehr Banken, die das Geld für einen aufbewahren und weiterleiten. Alles passiert transparent in der Blockchain. Nur der Besitzer hat Zugriff auf das Konto namens Wallet. Niemand kann Ansprüche anmelden, keine Notenbank, keine Finanzaufsicht.

Komplette Autonomie, vollständige Dezentralisierung. Toll, sagen Krypto-Fans. Eigentlich nicht, sagen immer mehr der Menschen, die es schon ausprobiert haben. Zum Beispiel diejenigen, die seit der ersten Stunde dabei sind, sich schon vor zehn Jahren Tausende Bitcoins günstig gekauft haben und jetzt theoretisch ein Vermögen besitzen. Ein Millionenvermögen, an das viele allerdings nicht mehr rankommen. Weil sie ihre Festplatte auf den Müll geworfen oder ihre Zugangsdaten vergessen haben.

Ökonom Philipp Sandner von der Frankfurt School of Finance and Management spricht von "Skurrilitäten, die sich ergeben, weil Leute früh dabei waren, dann aber das Interesse und Passwort oder ihren Computer weggeschmissen haben, als die Preise nicht gestiegen sind". Dementsprechend seien Leute vereinzelt bereit, wirklich alles zu tun, um diese alte Festplatte wiederzubekommen, erzählt der Gründer des Blockchain Centers (FSBC) im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" und ergänzt eine wichtige Erkenntnis: "Eine Bank hat natürlich gewisse Vorteile. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ein Passwort dieser Art verloren hätte."

"Stellen Sie ihre eigenen Schuhe her?"

Von den 18,5 Millionen Bitcoin, die weltweit existieren, sind schon jetzt etwa ein Fünftel für immer verloren. Das sind derzeit zwischen 100 und 140 Milliarden Dollar, die einfach weg sind. Für immer. Je nachdem, wo sich der äußerst volatile Kurs gerade befindet.

Stefan Thomas kann ein Lied davon singen. Der deutsche Programmierer lebt in San Francisco und wäre umgerechnet 200 Millionen Dollar schwer. Wenn er sich bloß an sein Bitcoin-Passwort erinnern könnte. Auch er gehört zu denjenigen, die nicht mehr ganz so glücklich sind, dass bei der Blockchain alles dezentral funktioniert. "Diese ganze Idee, deine eigene Bank zu sein ...", hat er der "New York Times" Anfang Januar erzählt. "Lassen Sie es mich so sagen: Stellen Sie ihre eigenen Schuhe her? Wir haben Banken, damit wir uns nicht die ganze Zeit den Kopf mit Sachen zerbrechen müssen, die Banken eben machen."

Philipp Sandner sieht es ähnlich. Auch er glaubt, dass der dezentrale Reiz von Kryptowährungen ein Ablaufdatum hat. Mittelfristig werden Banken und andere Finanzdienstleister auch für Bitcoin, Ripple, Ethereum und Co die Aufgaben übernehmen, die sie auch für Euro und Dollar erfüllen: Sie werden die Inhalte eines Kontos gegen eine Gebühr sicher verwahren und darauf aufpassen. Per App, Internetseite oder notfalls auch am Automaten.

Nicht beliebt, aber wichtig

Finanzintermediäre wie Banken, Versicherer und Kapitalanlagegesellschaften sind nicht sonderlich beliebt, sie erfüllen in globalen Finanzsystem aber eine wichtige Aufgabe. Sie vermitteln unterschiedliche Finanzinstrumente zwischen Privatpersonen und Unternehmen und regulieren Angebot und Nachfrage. Nicht immer perfekt, und manchmal auch bis an den Rand des Abgrunds wie bei der Finanzkrise 2008.

Aber grundsätzlich lässt sich ihr Nutzen nicht bestreiten: Sie sind die Absicherung, falls eine Pin oder die EC-Karte verloren geht. Den Kontozugang zurückzubekommen, ist umständlich. Aber das Geld darauf oder die Aktien im Depot sind nicht für immer verloren. Anders als beim Bitcoin, sagt Philipp Sandner. Dort gebe es kein Kundencenter, keine 0800-Nummer, die man anrufen könne.

Die Stoßrichtung für Kryptowährungen ist offensichtlich. Paypal zum Beispiel will noch dieses Jahr damit beginnen, in seiner App Bitcoin und andere Kryptowährungen zum Kauf, Verkauf oder als Zahlungsmittel anzubieten. Genauso wie Square, das riesige Fintech von Twitter-Gründer Jack Dorsey. In Deutschland können Krypto-Fans bei der Börse Stuttgart Bitcoin kaufen oder verkaufen. Neobroker wie das Frankfurter Startup Justtrade oder das junge US-Vorbild Robinhood unterstützen den Handel ebenfalls. Aber nicht dezentral, sondern nach den Regeln der Finanzaufsichten, der deutschen Bafin oder der amerikanischen SEC. Wer über Robinhood Bitcoin kauft, muss sich seine Zugangsdaten für den Broker merken, nicht den komplizierten, bis zu 64 Stellen langen Krypto-Schlüssel.

Revolution durch die Blockchain

Das widerspricht dem "Geist des Bitcoin", aber die Kryptowährung ist mitnichten gescheitert. Philipp Sandner und andere Krypto-Experten sehen darin eine neue Art von Wertanlage. Einen "digitalen Rohstoff" wie Gold, in den man investieren kann. Außerdem hat die Technologie, die dem Bitcoin zugrunde liegt, tatsächlich das Potenzial, das globale Finanzsystem zu revolutionieren. Vielleicht schon in 15 Jahren könnte jede elektronische Transaktion der Welt über die Blockchain abgewickelt werden, sagt der Gründer des Blockchain Centers. Rasend schnell und sicher.

Denn in dieser Hinsicht weist das heutige Finanzsystem gewaltige Tücken auf. Speziell in Zahlungskorridoren, die eher ungewöhnlich sind. Zum Beispiel, wenn das Geld aus der EU nach China geht, hakt es schon an den unterschiedlichen Schriftzeichen. Unterschiedliche Banken auf unterschiedlichen Kontinenten arbeiten mit unterschiedlichen Technologien, Regeln und Standards. Das kostet extrem viel Zeit.

Auf der Ethereum-Plattform dagegen brauche eine Transaktion von Deutschland zum Beispiel nach Santiago de Chile etwa 10 bis 15 Sekunden, sagt Blockchain-Experte Sandner. "Das geht momentan mit keiner anderen Technologie. Und das betrifft nicht nur Transaktionen einer Währung in Euro oder Dollar oder ähnliches, sondern jedes beliebigen Wertgegenstandes - auch Aktien oder zertifiziertes Gold. Das wird funktionieren."

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"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Bekommt die Deutsche Bank ihr Geld von Donald Trump zurück? Verpasst Deutschland den weltweiten Cannabis-Boom? Weshalb müssen manche Berufspiloten Geld für ihren Job zahlen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.

Quelle: ntv.de


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