Putins Syrien-Strategie: Ein Abzug ist kein Rückzug
Genauer gesagt, des "Großteils unserer Militärgruppe", wie es der Kreml-Chef formulierte. Russlands Militärbasen, der inzwischen erweiterte Stützpunkt im Hafen von Tartus und die Airbase Hamaimim, sollen weiter in Betrieb bleiben.
Russia Today, der Auslandskanal des Kreml, begann nach der Entscheidung mit Sondersendungen. Ein Laufband verkündete triumphierend: "Mission complete." Ist die Mission wirklich erfüllt?
Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu durfte am Montagabend erklären, was sein Militär in Syrien geleistet hat: 9000 Bombenflüge seit Ende September, 2000 getötete feindliche Kämpfer, 10.000 Quadratkilometer Geländegewinne für Assad. Putin lobte, die Streitkräfte hätten alle Aufgaben "im Ganzen erfüllt". Nun sei das Außenministerium gefragt. Weil das Militär so erfolgreich war, kann jetzt die Diplomatie übernehmen, sollte das offenbar heißen.
Putin zieht sich zurück zu einem aus russischer Sicht günstigen Zeitpunkt. Moskau hat - gegen den Widerstand des Westens - in Syrien Fakten geschaffen.
Zum einen ist der im vergangenen Herbst drohende Sturz Assads abgewendet.
Der Teilabzug verringert zum anderen auch die Gefahr für Russland, an der Seite von Assad in einen sehr langwierigen und blutigen Krieg mit hohen eigenen Verlusten gezogen zu werden. Das ist wichtig, weil im September in Russland Parlamentswahlen anstehen.
Die Mehrheit der Bevölkerung hat die Operation zwar unterstützt, das hätte sich aber in den kommenden Monaten ändern können, sollte sich die Krise der russischen Wirtschaft verschärfen - die Ausgaben für den Syrienkrieg aber steigen.
"Signal an Assad"
Die Entscheidung sei ein "Signal an Assad, dass Russland nicht vorhat, für Damaskus die Arbeit zu erledigen", sagt Fjodor Lukjanow, Außenpolitik-Experte und Herausgeber der Fachzeitschrift "Russia in Global Affairs". Syriens Diktator Baschar al-Assad hatte in Interviews zuletzt den Eindruck erweckt, er mache sich wieder Hoffnung auf eine Rückeroberung des ganzen Landes. Lukjanow vermutet, Russlands Strategie könne dem Abzug der Amerikaner aus Afghanistan ähneln: einen Teil der Truppenteile abziehen, aber Stützpunkte und Einfluss auf die Lage im Land behalten.
Moskaus Intervention hat das militärische Gleichgewicht in der Region verschoben, insbesondere die Verlegung russischer Hightech-Waffen. Russland hat S-400-Luftabwehrbatterien in Syrien stationiert, das System gilt als eines der leistungsfähigsten weltweit und könnte westliche Versuche vereiteln, eine Flugverbotszone in der Region zu etablieren, wie 2011 im Falle von Libyen. Gleiches gilt für Russlands moderne Kampfflugzeuge des Typs Su-35.
Moskau kann Truppenkontigent wieder erhöhen
Nach Angaben der Moskauer Tageszeitung "Kommersant" sollen diese in Hamaimim bleiben. Gut möglich, dass von der Luftwaffenbasis auch weiter russische Kampfflugzeuge zu Einsätzen in Syrien aufsteigen, Abzug hin oder her. Falls nötig könnte Moskau sein Truppenkontingent wohl auch zügig wieder erhöhen.
Moskaus Syrien-Operation sei keineswegs eine spontane Idee gewesen, sondern ein Jahr lang vorbereitet worden, meint auch der Außenpolitik-Kenner Sergej Karaganow. Russland bringe sich langfristig im Nahen Osten in Stellung, weil in den "nächsten zwanzig bis dreißig Jahren die meisten Staaten der Region zerfallen könnten".
Etwas salopper im Ton kommentiert der Moskauer Radiomoderator Sergej Dorenko die Abzugspläne. Sie erinnerten ihn an die Aufführung in einem Kindertheater: Wenn die Hauptfigur von der Bühne verschwindet, könnten nur Kleinkinder ernsthaft glauben, sie werde nicht zurückkommen. In Wahrheit sei sie natürlich immer ganz in der Nähe. Oder wie im Falle Syriens, "ganze zwei Flugstunden entfernt".
Quelle : spiegel.de