Die Auferstehung des 100-Millionen-Wunderkinds

  30 März 2021    Gelesen: 478
  Die Auferstehung des 100-Millionen-Wunderkinds

Der Hochbegabte zaubert endlich wieder. Bis zu diesem Zeitpunkt verläuft die Saison von Kai Havertz mehr als schlecht. Dann übernimmt Thomas Tuchel beim FC Chelsea und es läuft wieder beim Ex-Leverkusener. Der Bundestrainer hat noch viel vor mit dem Wunderkind.

Corona-Erkrankung, Verletzung, Formschwäche: Das erste Jahr beim FC Chelsea lief für Kai Havertz bisher mehr als daneben. Mit vielen Vorschusslorbeeren war der 21-Jährige aus Leverkusen an die Themse gewechselt, samt eines Deals mit einem Gesamtvolumen von 100 Millionen Euro. Der Verein und die Fans träumten vom German Wunderkind. Von einem der besten Perspektivspieler Europas. Aber spätestens nach seiner Covid-Infektion mutierte Havertz bei den Blues zu einem "Sorgenkind", einer Art ungeliebtem Ersatzteil. "Es ist eine schwere Saison. Ich weiß, dass nicht alles glattläuft", gab er nach dem 1:0 (1:0) der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation in Rumänien zu.

"Kai kann besser spielen, das wissen wir und das weiß er heute Abend selbst." Sätze wie diesen nach der Niederlage Chelseas im Dezember gegen die Wolverhampton Wanderers sprach Havertz' damaliger Coach Frank Lampard öfters aus. Der teuerste Spieler der Bundesligageschichte fand einfach nie konstant seine Form, nachdem er sie jahrelang bei der Werkself abgerufen hatte. "Er wird ein Top-Spieler für den Verein werden, ich sage immer das Gleiche", versuchte Lampard seinen Schützling aber stets zu unterstützen.

Nicht nur offensiv performte Havertz, der am liebsten als Zehner spielt, unter seinen Möglichkeiten (nur ein Premier-League-Tor). Die schnellen 4-3-3 oder 4-2-3-1 Lampards erforderten Mittelfeldspieler, die das Team durch Pressing defensiv unterstützen. Der Nationalspieler war so eine tiefe Position nicht gewöhnt und wurde von seinen Gegenspielern (meist auf der rechten Seite) wegen seiner defensiven Unerfahrenheit und seines nicht effizienten Drucks oft hinter sich gelassen. Die Geduld der Chelsea-Fans ließ nach mehreren schlechten Leistungen nach, die Kritik von Experten häufte sich.

"Zwischen die Linien, Kai"

Havertz' Selbstvertrauen sackte ins Bodenlose. Auch bei den Länderspielen im Jahr 2020 spielte er eine sehr untergeordnete Rolle. Der Hochtalentierte durfte sein Können nur selten zeigen, das Versprechen Havertz blieb auch in der DFB-Elf bislang aus. Nun lässt der Youngster allerdings aufhorchen. Sein Selbstbewusstsein scheint stetig anzusteigen, das Wunderkind wieder erweckt. Sowohl im Klub als auch unter Joachim Löw.

Thomas Tuchel, der Nachfolger des geschassten Frank Lampard, ist wohl mindestens mitverantwortlich für den Aufwind. "Sein Potenzial ist fast endlos", lobte der Coach Havertz nach seiner Ankunft in London. Unter Tuchel hat Chelsea noch immer nicht verloren und jeder im Klub spürt, wie der 21-Jährige unter ihm aufblüht. Da war zum Beispiel das Rückspiel des Champions-League-Achtelfinals gegen Atlético Madrid, das der 21-Jährige als einer der besten seines Teams im offensiven Mittelfeld klug anleitete. Oder das 2:0 über Everton, bei dem Havertz die zentrale Figur war, ein Eigentor erzwang und einen Elfmeter herausholte, um die Hoffnungen der Blues auf die Champions-League-Ränge zu zementieren.

Tuchel gönnt Havertz nun die Freiheiten in der Offensive, die Lampard ihm durch zu viel Defensivarbeit verwehrte. Der Youngster - das erkannte der deutsche Trainerfuchs - kann nur so sein immenses Potenzial ausschöpfen. Auf einmal hat er wieder mehr Ballberührungen im Strafraum, wie damals in Leverkusen, und kommt zu Abschlüssen. Gerade seine Torgefährlichkeit bei der Werkself hatte ihn ja unter anderem so begehrt gemacht. Dort spielte er oft eine Art Freigeist-Angreifer. Tuchel platziert den hochtalentierten Offensivmann nun auch nicht starr auf einer Position, zwängt ihn nicht ein. Vertraut ihm und seinem Wunderkind-Können.

Löw hat sich diesen taktischen Kniff genau angeschaut. "Zwischen die Linien, Kai", rief er Havertz im WM-Qualispiel gegen Island zu. Flüssig und zwischen den Räumen soll dieser sich bewegen, damit er schwer greifbar ist für die Verteidiger. In etwa so wie ein Thomas Müller vielleicht, nur mit einer besseren Technik. Aus einem seiner Kontakte im Strafraum entstand dann in dieser Partie prompt per Direktabnahme das zwischenzeitliche 2:0. Gegen Rumänien zog er zunächst in der Anfangsphase stark in den Strafraum und vergab eine gute Torchance, wurde dann aber zum entscheidenden Passgeber des 1:0. Einen langen Ball von Antonio Rüdiger, Teamkollege bei Chelsea, nahm er elegant mit dem linken Außenrist an, um anschließend millimetergenau und mit dem exakt richtigen Timing auf Serge Gnabry zu passen, der nur noch einschieben musste. Ausnahmeklasse.

"Jetzt ist es Zeit abzuliefern"

Technisch hochwertig, zielstrebig, erfolgreich: Löw kann wieder auf einen Havertz bauen, der in dieser Phase zum ersten Mal seit seinem Wechsel nach England sein ganzes Können abruft. Vieles lief gegen Rumänien über den Londoner, besonders in der ersten Halbzeit: "Die fand ich ganz gut, ich hätte noch ein Tor selbst machen können. Aber ich war zufrieden", sagte er selbst und fügte im Hinblick auf die EM im Sommer hinzu: "Jetzt ist es Zeit abzuliefern."

Havertz' Selbstvertrauen kehrt zum perfekten Zeitpunkt zurück. An einem torgefährlichen Wunderkind mitsamt seiner Flexibilität und hochwertigen Technik dürfte Löw bei der EM nur schwer vorbeikommen. Es ist nur der Beginn der Wiedergeburt, aber das Havertz'sche Potenzial schürt sowohl bei Chelsea als auch im DFB-Team Hoffnungen auf mehr. Havertz könnte bei dem Turnier im Sommer schon eine tragende Rolle spielen in der Nationalelf - und vielleicht bedankt der Bundestrainer sich nach einer erfolgreichen EM dann bei Thomas Tuchel.

Quelle: ntv.de


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