“Diese Entwicklung hat die Union zu verantworten“

  16 März 2016    Gelesen: 660
“Diese Entwicklung hat die Union zu verantworten“
Altkanzler Schröder macht in der ZEIT Merkels radikalen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik für den Erfolg der AfD verantwortlich. Angst macht ihm das aber nicht.
Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat Angela Merkel und die Union für den Aufstieg der AfD verantwortlich gemacht. Über Jahrzehnte hätten CDU und CSU den Eindruck erweckt, Deutschland sei kein Einwanderungsland. "Diese Politik hat Frau Merkel in diesem Sommer von einem Tag auf den anderen aufgegeben, indem sie mit viel Herz, aber wenig Plan den Flüchtlingen gesagt hat: Kommt alle her", so Schröder. Damit bezog er sich auf eine Entscheidung, die auch die CSU der Kanzlerin vorwirft: Sie hatte im Sommer 2015 in Absprache mit Österreich Busse Richtung Ungarn losgeschickt, weil sich dort Hunderte Flüchtlinge über die Autobahn Richtung Deutschland aufgemacht hatten. Merkel begründete das damals, sie habe eine humanitäre Notlage abwenden müssen.

"Der radikale Kurswechsel hat die bürgerlichen Wähler verunsichert", sagte Schröder. "Sie haben geglaubt, die CDU stünde wie ein Fels gegen Einwanderung. Tut sie aber nicht." Nun löse sich für die politische Rechte der Alleinvertretungsanspruch der CDU auf. "Aber mir macht das keine Angst." Deutschland bleibe eine außerordentlich stabile Demokratie. "Die Demokraten müssen sich mit den politisch Extremen inhaltlich auseinandersetzen, aber unser Land hält das aus", sagte Schröder.

Die AfD war am Sonntag in drei weitere Landesparlamente eingezogen, in Sachsen-Anhalt mit seinem nationalistisch geprägtem Landesverband mit unerwarteten 24 Prozent. Sie ist damit in acht der 16 Landesregierungen vertreten.

Schröder sagte, es vollziehe sich eine "Europäisierung des deutschen Parteiensystems". Begonnen habe das, als neben die SPD die Linke rückte. Die derzeitige Schwäche seiner eigenen Partei führte Schröder auf parteiinterne Fehler zurück: "Vielleicht hat sie die Chance verpasst, ihre Zustimmung zu den Asylpaketen mit der Forderung nach modernen Einwanderungs- und Integrationsgesetzen zu verbinden." Die SPD müsse in der Bundesregierung jetzt dafür sorgen, "dass die Integration der Flüchtlinge gelingt" .

Schröder kritisiert im Gespräch mit der ZEIT zudem die Türkei-Politik der Kanzlerin. Das Konzept von CDU und CSU einer "privilegierten Partnerschaft" mit der Türkei sei "krachend gescheitert", sagte Schröder der ZEIT. Die Union sei mitverantwortlich dafür, dass die türkische Führung immer autoritärer agiere. Die Weigerung der Union, die EU-Beitrittsverhandlungen zu intensivieren, habe zu einer Abkehr der Türkei von europäischen Werten geführt. Auf die Frage, ob die Regierung in Ankara heute Kurden nicht verfolgen oder gegen kritische Zeitungen vorgehen würde, wenn die Türkei näher an die EU herangeholt worden wäre, sagte Schröder: "Unterstellen wir mal, die Verhandlungen über eine Mitgliedschaft wären weit fortgeschritten: Dass das eher positive Auswirkungen hätte auf Offenheit und Demokratie in der Türkei, kann man doch nicht ernsthaft bestreiten."

Die Versäumnisse von damals führten nun dazu, "dass wir uns heute die Zusammenarbeit mit der Türkei teuer erkaufen müssen – sie kostet richtig Geld". Die EU-Staaten hatten der Türkei drei Milliarden Euro für die Verbesserung der Lage der Flüchtlinge in dem Land zugesagt. Bei ihrem Gipfeltreffen zur Flüchtlingskrise Anfang März hatte die türkische Regierung aber zusätzliche drei Milliarden Euro gefordert.

Schröder hatte als Kanzler 2004 mit dem damaligen britischen Premier Tony Blair bewirkt, dass die EU Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eröffnet hat. Nach Schröders Abwahl bot die Union der Türkei nur noch eine privilegierte Partnerschaft an, die Beitrittsverhandlungen wurden weitgehend eingefroren. Schröder sagte nun, das habe bei großen Teilen der türkischen Gesellschaft den Eindruck hinterlassen, die Europäer wollten die Türkei gar nicht. Europa sollte der Türkei dankbar sein, sagte Schröder. Das Land habe viel mehr Flüchtlinge aufgenommen als die gesamte EU.

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