Was, wenn die Hand Gottes Frauen schlägt?

  25 April 2021    Gelesen: 984
  Was, wenn die Hand Gottes Frauen schlägt?

Gott ist tot – das war die häufigste Schlagzeile nach Maradonas Tod. Dass er seine dunklen Seiten hatte, wurde nur angedeutet. Die Autorin Mara Pfeiffer hat in einem Buch über "D10s" die unreflektierten Nachrufe kritisiert – im Interview spricht sie über Hasskommentare und die blinden Flecken von Sportfans.

Wir müssen noch mal über Maradona reden. Aber anders, als nach seinem Tod. Das meint Mara Pfeiffer, die im Maradona-Band "D10s – Ein Leben zwischen Himmel und Hölle" über das Befremden geschrieben hat, das die Heldenverehrung in ihr ausgelöst hat. Im Interview mit ntv.de redet die Autorin über unreflektierte Nachrufe, Beleidigungen von Männern und die blinden Flecken von Sportfans.

ntv.de: Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie von Maradonas Tod erfahren haben?

Mara Pfeiffer: Bei mir war da erstmal eine Leerstelle. Ich war auf einer Veranstaltung, um mich herum Männer, vielleicht 10 bis 15 Jahre älter sind, die hatten viel intensivere Reaktionen. Was mir dann zuerst in den Kopf kam, waren die Bilder von der WM 2018, wie Maradona von diesem VIP-Balkon hängt und pöbelt. Es hat mir damals leid getan, ihn so zu sehen - man hat ja gemerkt, dass es ihm nicht gut geht. In den Tagen danach habe ich Vieles gelesen – aber es wirkte wie immer derselbe Text: Mit großer Ehrfurcht und Nähe geschrieben, aber krass unreflektiert.

Was ist Ihnen genau an den Nachrufen aufgestoßen?

Es war der Blick einer Generation, die er geprägt hat in ihrer Liebesbeziehung zum Fußball, da steckte natürlich eine hohe und komplett nachvollziehbare Emotionalität drin. Aber ich finde, das darf die fast ausschließlich männlichen Autoren nicht davon befreien, sich mit den Brüchen auseinanderzusetzen. Das passt ja auch gar nicht zu Maradona – welcher Sportler hat die auf und neben dem Platz so offen gezeigt? Das wurde aber oft nur in einem Nebensatz abgefrühstückt: Ja, da gibt's noch diese Geschichten, aber lass' uns mal lieber nicht genauer damit beschäftigen. Das wird Maradona gar nicht gerecht – und auch nicht den ausgesparten Themen.

Es gäbe einiges zu schreiben: Drogenmissbrauch, Schüsse aus einem Luftgewehr gegen Journalisten, Sex mit Minderjährigen – und ein Video aus dem Jahr 2014, in dem Maradona durch ein Zimmer wankt und offensichtlich seine damalige Partnerin schlägt. Warum wurde das alles nur angedeutet, aber selten offen ausgesprochen?

Einmal trauen sich die Leute in Nachrufen oft nicht, auf Schattenseiten zu gucken, gerade wenn man das Gefühl hat, es war ein tragischer oder zu früher Tod. Maradonas Tod war schon beides. Und dann gibt es einfach eine Sehnsucht nach Heldengeschichten. Das rührt aus der Kindheit. Oft wird ja gesagt, Jungen haben Helden, Mädchen nicht, was nicht stimmt: Kinder haben Helden. Und man möchte sie behalten. Da stören solche Brüche.

Sie gehören zur Generation, die sich den Mythos Maradona im Nachhinein erschließen musste - verstehen Sie, was Maradona zum Helden gemacht hat?

Ich denke, das war ein Mix aus seiner Spielweise, aber auch seiner Persönlichkeit. Er hat sich nicht geschützt, hat keine Grenzen gesetzt, sich auf diese intensive Beziehung mit allen Fans eingelassen. Wenn man psychologisch werden wollte, könnte man sagen: Auch das hat ihn kaputt gemacht. Er gehörte allen, nur nicht sich selbst.

Anderseits ist der Mythos Maradona ohne diese gefährliche Nähe nicht erklärbar. Heute simulieren die Stars diese Nähe über Instagram, leben und spielen aber eigentlich komplett abgeschottet. Wird noch einmal ein Fußballer so verehrt und geliebt wie Maradona?

Vielleicht auf Vereinsebene, wo es noch viel mehr Identifikation gibt als bei der Nationalmannschaft. Aber dieses rauschhafte, globale Phänomen wie bei Maradona, das kann ich mir heute nicht mehr vorstellen.

Die Verehrung hat nach Maradonas Tod auch unschöne Blüten getrieben. Die Drittliga-Spielerin Paula Dapena boykottierte eine Gedenkminute, aus Protest gegen häusliche Gewalt - und bekam Morddrohungen. Was sagt uns das?

Dass die Gesellschaft nach wie vor misogyn ist, patriarchal geprägt, vor allem bei Themen, die als männlich gelesen werden – wie Fußball. Ich merke in meiner Arbeit, wie heftig sich ein bestimmter Typus Mann dagegen wehrt, dass dazu mehr gehört als 22 Sportler*innen, die gegen einen Ball kicken. Im Fußball stecken eben auch alle gesellschaftlichen Probleme. Sexismus, Rassismus – aber das wollen manche nicht sehen, sie wollen Brot und Spiele, wollen unterhalten werden. Dagegen kommt man schwer an.

Fühlen sich diese Männer bedroht? Und wenn ja – warum eigentlich?

Glaube ich schon, ja. Es ist eine der letzten männlichen Bastionen, wo sie nicht gestört werden, wo sie alles verteidigen, was angeblich ihnen gehört. Ein Beispiel: Ich saß letztens im "Doppelpass" bei Sport1, nicht zum ersten Mal. Und da schreiben mir Leute mit Klarnamen: "Was bildest Du Schlampe Dir ein, im Fernsehen über Fußball zu labern." Da ist so eine Angst, so eine Wut, wenn sich Menschen an ein Thema setzen, bei dem diese Typen glauben: Das gehört aber mir. Wir sind in der Entwicklung noch lange nicht so weit, wie wir glauben. Das zeigt auch das Beispiel Cristiano Ronaldo: Für viele Jugendspieler ist er ein Vorbild. Und die Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn, die ja der "Spiegel" im Zuge der "Football Leaks" aufgearbeitet hat, die nehmen die Leute gar nicht wahr. Wie das Thema diskutiert wird, ist unvorstellbar. Und wenn man entgegnet: Lest Euch doch die Informationen dazu durch, es ist alles da – wird einfach zugemacht. Leute tun so, als würde das nicht existieren, als habe man sich das kollektiv ausgedacht.

Wie könnten wir uns besser an Menschen wie Maradona erinnern? Wie gehen wir damit um, wenn die Hand Gottes Frauen schlägt?

Indem wir darüber mit der selben Selbstverständlichkeit darüber reden, mit der wir erzählen, dass diese Hand ein Fußballtor erzielt hat. Es wäre wichtig, das zu normalisieren. Wenn man an jemanden öffentlich erinnert – es geht ja nicht um privates Gedenken – dann nicht nur an den Teil, der einem gefällt. Der Anspruch muss schon da sein. Wir reden hier ja über Journalismus, der ein Thema in seiner Gesamtheit erfassen sollte.

Ihr Text ist in einem Buch erschienen, das viel von der distanzlosen Verehrung enthält, die Sie kritisieren. Finden Sie das Gesamtbild dennoch rund?

Es ist ein guter Anfang, ja. Gerade wenn ich es vergleiche mit dem Blick, der mir sonst begegnet ist. Ich würde mir wünschen, dass wir uns das zum Ausgangspunkt für weitere Diskussionen machen.

Sie haben geschrieben, man müsse sich mit Brüchen auseinandersetzen, um letztlich die Frage zu stellen, ob wir Helden überhaupt brauchen. Also: Brauchen wir Helden?

Ich brauche sie nicht, aber ich will das niemanden absprechen. Persönlich fühle ich mich mit der Idee von Vorbildern wohler. Für mein Gefühl funktionieren Helden für Kinder. Und wenn man ein gewisses Alter hat, muss man sich fragen: Taugt mein Held als Vorbild? Kann ich ihn oder sie mitnehmen ins Erwachsenenleben?

Aber das ist ja Teil der Faszination Fußball – ewige Kindheit. Fällt es auch deswegen so schwer, Fußballer und Menschen Maradona zu trennen?

Ganz bestimmt. Da steckt sehr viel Ambivalenz drin. Viele haben zu ihren Helden eine sehr liebevolle Beziehung, man findet sie in einer Zeit, in der man sie braucht, und möchte sie behalten. Das ist total menschlich, funktioniert aber nicht immer. Für einen selbst bedeutet diese Loslösung Schmerz, aber wenn wir als Gesellschaft problematische Themen angehen wollen, funktioniert es nur so.

Mit Mara Pfeiffer sprach Christian Bartlau

Quelle: ntv.de


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