100 Tage US-Präsident Joe Biden bedeuten auch: 100 Tage, an denen Donald Trump nicht mehr die Geschicke der USA leitet. Seit 100 Tagen kommen die Lügen über die "gestohlene Wahl", die Biden zu einem illegitimen Präsidenten stigmatisieren sollten, nicht mehr von oberster Stelle. Die unsäglichen Begnadigungen, Rechtsstreitigkeiten um Stimmzettel und das Klammern des Republikaners mit allen Mitteln ans Amt fanden damit zwar einen Abschluss. Aber Trump tat sich enorm schwer mit dem Machtverlust, der in seiner Welt nicht vorgesehen ist.
Doch hetzerisch, bockig und launisch - das, so merkte Trump schnell, geht auch, wenn man nicht mehr im Amt ist und nicht mehr komplett im Zentrum der Öffentlichkeit steht. Zwar gibt es keine nächtlichen Twitter-Tiraden mehr (Trumps Account ist nach wie vor gesperrt) und keine täglichen Briefings im Weißen Haus, in denen es um Schweigegeldzahlungen an Pornostars, die Injektion von Bleichmittel gegen Covid-19 oder Fake-News-Beschuldigungen geht; doch sich eine Weile zurücknehmen, so wie es in den USA normalerweise ehemalige Präsidenten nach ihrem Ausscheiden tun, wollte Trump natürlich nicht. In den 100 Tagen "out of office" blieb der ehemalige Präsident eine politische Kraft, die dominierende Figur in seiner Partei - und kündigte seine Kandidatur für 2024 an.
"Werdet sie alle los"
"Als ich vor Jahren mit Twitter anfing, war Twitter schon wie eine gescheiterte Sache, ein gescheitertes Konzept, eine gescheiterte Medienplattform", erklärte der jahrelange Twitter-Fan Trump jüngst gegenüber Fox News. "Dann wurde es aufregend. Und ich denke, ich hatte viel damit zu tun, um ehrlich zu sein. Jetzt ist es langweilig. Und es ist nicht mehr gut." Seine Mitteilungen schickt der Ex-Präsident nun per E-Mail raus, das sei "viel eleganter als Twitter", und kaum versende er eine Mitteilung, sei sie "überall". Er erreiche damit viele Leute. Und genau das ist Trump wichtig: Er will weiter im Mittelpunkt der Konversation stehen. Weiter Wellen schlagen. Weiter Einfluss haben.
Dieser Plan scheint nötig zu sein, denn in jüngsten Umfragen lässt die Unterstützung für Trump nach. Zwar lebt der Trumpismus, die beinahe kultische Verehrung, bei seinen Hardcore-Fans weiter. Egal, was er tut oder sagt. Aber seinen Celebrity-Faktor, der in den vergangenen vier Jahren durch eine 24/7-Aufmerksamkeit für den Präsidenten stetig anstieg, konnte der 74-Jährige in den vergangenen 100 Tagen nicht mehr so bedienen wie zuvor. In einer Umfrage des TV-Senders NBC News von Ende April sahen nur noch 32 Prozent der Befragten Trump positiv, 55 Prozent waren gegen ihn (Im Januar lauteten die Zahlen: 40 Prozent positiv, 53 negativ). Nur noch 44 Prozent der Republikaner gaben an, dass sie eher Unterstützer von Trump als von der Partei sind, 50 Prozent sahen das genau andersherum.
Dennoch wirkt Trumps Anziehungskraft innerhalb seiner eigenen Partei noch immer - auch mehr als drei Monate nach seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt und seiner Aufrufe zu Gewalt, die im Kapitol-Sturm am 6. Januar endeten, wobei fünf Menschen starben. Politiker der GOP, der "Grand Old Party", suchen seine Unterstützung und seinen Zuspruch, auch weil die, die mit dem ehemaligen Präsidenten brachen, in Umfragen massiv abstürzten. Auf der Conservative Political Action Conference (CPAC) Ende Februar nannte Trump die Namen aller 17 Republikaner, die nach dem 6. Januar dafür gestimmt hatten, ihn anzuklagen oder zu verurteilen. "Werdet sie alle los", rief er der jubelnden CPAC-Menge zu. Trump keifte auch in Richtung der Republikaner, sie sollten Mitch McConnell als ihren Fraktionsvorsitzenden im Senat fallen lassen, denn sie bräuchten eine "gute Führung". McConnell antwortete darauf, er würde Trump auch bei einem möglichen Wahlkampf 2024 unterstützen.
Trumps inoffizielle Kommandozentrale
Die Republikaner sind dabei herauszufinden, ob sie mehr als der Fanklub Donald Trumps sind. Für Mike Pence sollten sie augenscheinlich gar nichts Weiteres sein. In seiner ersten öffentlichen Rede seit dem Amtsende schloss sich Trumps ehemaliger Vize-Präsident Ende April eng mit seinem alten Chef zusammen und pries die Leistungen der gemeinsamen Administration. Pences Worte haben auch damit zu tun, dass Trump 2024 wirklich wieder kandidieren will - und dass er wohl in der Partei und in dem tief gespaltenen Land die besten Karten hat. Trump führt die Umfragen der GOP-Wähler für den Präsidentschaftskandidaten 2024 stets an.
In seinem ersten TV-Interview seit seinem Auszug aus dem Weißen Haus signalisierte Trump Ende März sehr offensichtlich, dass er mit einer Präsidentschaftskandidatur 2024 liebäugelt. "Dürfen wir Hoffnung haben, dass es eine Möglichkeit gibt, Donald Trump 2024 wieder kandidieren zu sehen?", fragte die Interviewerin von Fox News. Es handelte sich um Lara Trump - seine Schwiegertochter. "Sie dürfen Hoffnung haben", antwortete er. "Wir lieben unser Land. Wir alle haben unserem Land viel zu verdanken. Aber jetzt müssen wir unserem Land helfen." In einem späteren Interview wiederholte der Ex-Präsident, dass er sich ernsthaft mit dem Thema einer erneuten Kandidatur beschäftige.
Der Mythos Trump, der Kultfaktor Trump samt seiner spalterischen Politik, funktioniert noch immer. Seine Partei brachte Anfang April gleich hunderte millionenschwere Spender zu einem Event in Trumps Wohnsitz in Mar-a-Lago, Florida, der mittlerweile so etwas wie eine inoffizielle Kommandozentrale der GOP geworden ist. Passenderweise sammelten dem ehemaligen Präsidenten treu ergebene Republikaner laut "Financial Times" in den ersten drei Monaten dieses Jahres sogar Rekordbeträge, obwohl viele US-Unternehmen nach dem Kapitol-Sturm politischen Spenden hatten unterbrechen oder einstellen wollen.
"Wir werden zurückkommen"
Trump funktioniert vor allem, weil er einfach so weitermacht, wie zu seiner Amtszeit. Jeder, der etwas gegen ihn hat oder sagt, wird knallhart angegriffen. Auch die rassistischen Giftpfeile sind die gleichen geblieben. Bei seiner CPAC-Rede pries Trump einmal mehr seine Grenzmauer, die gegen "gefährliche Raubtiere und abscheuliche Kojoten" helfen würde, die "millionenfach" ins Land strömen würden. Es war das "China-Virus", das ihn die "manipulierte" Wahl habe verlieren lassen - obwohl er natürlich gar nicht wirklich verloren habe ("Tote haben gewählt") und sich vielleicht dafür entscheiden werde, "sie ein drittes Mal zu schlagen". Genauso wenig durften bei der Rede fehlen: Demokraten, "die Mittel für Polizei streichen" wollen, Biden, der alles falsch macht, was "wir" richtig gemacht haben, oder "Fake News", mit denen die Redefreiheit abgeschafft wird. "Wir lieben dich", rief die Menge.
Als Donald Trump sein Amt als Präsident niederlegte, posaunte er: "Wir werden zurückkommen." Trump liebt Comebacks. Seine Memoiren schreiben? Nichts da. Eine Präsidentenbibliothek (20 der vergangenen 45 Präsidenten haben eine, Barack Obama plant seine) gründen? Später vielleicht. Trump ist nach eigener Auffassung kein ehemaliger Anführer, sondern die einzige Rettung der Republikaner in einem Land, das nun von Demokraten in den Ruin getrieben wird. "Frohe Ostern an ALLE, einschließlich der radikalen linken VERRÜCKTEN, die unsere Präsidentschaftswahlen manipuliert haben und unser Land zerstören wollen!", teilte Trump am Ostersonntag mit. Nicht via Twitter, sondern in einer schriftlichen Erklärung.
100 Tage nach seinem Amtsende dreht sich zwar in der Öffentlichkeit nicht mehr alles um den 74-Jährigen. Aber Trumps Machtmittel und seine rhetorischen Rundumschläge sind gleich geblieben und setzen das Fehlen einer Konzession nach seiner Niederlage fort. Damit hat er die Republikaner immer noch fester im Griff, als es einigen in der Partei lieb ist. Das dürfte sich bis 2024 nicht ändern.
Quelle: ntv.de
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