Vergangenen Dienstag jährte sich der Aufruf syrischer Aktivisten zum landesweiten Protest gegen das Assad-Regime zum fünften Mal. Seitdem entwickelten sich die Straßenproteste und das harte Durchgreifen des Regimes gegen die Proteste zu einem totalen Konflikt mit immer neuen Akteuren wie die Terrororganisation IS (Daesh). Die Türkei, Syriens nördlicher Nachbar, war eines der ersten Länder, das seine Tore den nach dem Bruch mit dem Assad-Regime, das jegliche Opposition mit brutaler Unterdrückung erwiderte, vor dem Krieg fliehenden Syrern öffnete.
Seit fünf Jahren nun ist und bleibt die Türkei nach wie vor der sicherste Hafen für die Flüchtlinge, die ins Land strömten – mit wenig Hab und Gut, etwas Geld oder völlig mittellos und mit nichts, was sie ihr Zuhause nennen könnten. Wenn auch der Libanon und Jordanien, die beiden anderen Nachbarn Syriens, ebenfalls Flüchtlinge aufnahmen, wurde die Türkei von der internationalen Gemeinschaft dafür gelobt, den Flüchtlingen die besten Unterbringungsstandards zu bieten. Heute leben 2,7 Millionen Flüchtlinge aus Syrien in der Türkei – eine Zahl, die im Jahr 2011, als die erste Gruppe mit 252 Syrern still und leise das Land betrat, noch unvorstellbar war.
Die Türkei war es gewohnt, als Transitland Migranten aus Asien und dem Nahen Osten auf ihrem Weg nach Europa zu beherbergen. Doch sie war offensichtlich völlig unvorbereitet auf den Exodus aus Syrien. Es gelang ihr jedoch, schnell zu reagieren. So wurden innerhalb kurzer Zeit aus den Zeltlagern, die für die ersten Ankömmlinge errichtet wurden, kleine Viertel mit angemessenem Wohnraum für die Flüchtlinge.
Frieden ist für Syrien in naher Zukunft nicht in Sicht. Auf der einen Seite unterstützt Russland das Regime, auf der anderen Seite schreitet der IS voran, der nach wie vor eine ernstzunehmende Bedrohung für die Stabilität darstellt.
Für die Türkei bedeutet das, dass die Flüchtlinge, die sie als vorübergehende „Gäste“ aufgenommen hatte, zumindest in absehbarer Zeit nicht in ihr Land werden zurückkehren können. 11,2 Millionen Syrer sind entweder Binnenflüchtlinge oder mussten Schutz in den Nachbarländern suchen vor einem Bürgerkrieg, der in fünf Jahren hunderttausende Menschenleben gekostet hat. So sieht die Türkei zu, die Lebensbedingungen der Flüchtlinge weiterhin zu verbessern.
AFAD, die türkische Behörde für Katastrophen- und Notfallmanagement, verstärkt ihre Bemühungen, den Bedürfnissen der Flüchtlinge gerecht zu werden. Die AFAD betreibt in Städten nahe der türkisch-syrischen Grenze 26 „Unterbringungszentren“ für etwa 280 000 Syrer. Die Behörde veröffentlichte gestern anlässlich des fünften Jahrestages des Konflikts eine Erklärung und betonte, dass die Türkei gegenwärtig die meisten syrischen Flüchtlinge beherberge. Führende türkische Politiker haben die internationale Gemeinschaft wiederholt dazu aufgerufen, mehr für die Flüchtlinge zu tun. Sie kritisieren auch die magere Unterstützung der Flüchtlinge durch andere Länder. Nach Angaben der AFAD hat die Türkei bislang über neun Milliarden Dollar für Flüchtlinge ausgegeben.
Die Türkei legt großen Wert auf die Bildung der syrischen Kinder. So werden sie zum Beispiel zur Schule angemeldet. Etwa 80 000 Kinder besuchen von der AFAD betriebene Schulen, während 310 000 syrische Schüler sich an Schulen außerhalb des Lagers anmelden konnten. Dieses Projekt wurde vom Ministerium für Nationale Erziehung gestartet. Die Türkei hat sich zum Ziel gesetzt, mindestens 460 000 Kinder an Schulen unterzubringen, um der so genannten „verlorenen Generation“ der Flüchtlinge, deren junges Leben durch den andauernden Krieg fast zerstört wurde, Zugang zu Bildung zu ermöglichen.
Die AFAD erreicht mit „Lebenslanges-Lernen“-Kursen auch Jugendliche, die das Schulalter bereits überschritten haben. Hier werden unter anderem Fremdsprachen-, EDV- und Handwerkkurse angeboten. Bislang haben 60 000 Syrer eine Ausbildung abgeschlossen.
Des Weiteren haben Syrer in der Türkei, ob sie nun in den oder außerhalb der Flüchtlingscamps leben, kostenlosen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Der AFAD zufolge haben seit 2011 Ärzte und Pflegepersonal 500 000 Patienten stationär behandelt und 335 000 Operationen durchgeführt. Auch 152 000 Babys von Familien, die seit ihrer Flucht in der Türkei leben, erblickten hier das Licht der Welt.
Neben dem Service im Gesundheits- und Bildungsbereich sowie in anderen wichtigen Gebieten wird den Syrern das angeboten, wonach sie sich in Syrien sehnten – Demokratie. Die Flüchtlingscamps wählen ihren eigenen Anführer unter sich, während technische Arbeiten von türkischen Verwaltern ausgeführt werden. Es gibt auch Frauenkomitees, in denen Syrerinnen ihre Landsleute in Fragen der Polygamie und Zwangsverheiratung Minderjähriger sensibilisieren. Die AFAD erhielt die Auszeichnung der Vereinten Nationen für Engagement im öffentlichen Dienst und für das Gemeinwohl für ihr „modernes Stadtmanagementsystem“, das eine straffe Verwaltung der Flüchtlingscamps ermöglicht. Unterstützung wird nicht nur den in der Türkei lebenden Syrern angeboten:
Seit 2011 hat die AFAD Binnenflüchtlingen in Syrien Unterstützung im Wert von 450 Millionen Dollar zukommen lassen. Die Türkei wurde zum Gastgeber des ersten Humanitären Weltgipfels der Vereinten Nationen in diesem Jahr auserkoren. Der Gipfel wird sich mit Strategien und Politiken der globalen humanitären Hilfe befassen.
Wenn auch Flüchtlingscamps, kostenloser Gesundheitsservice, Bildungsangebote und Unterstützung durch NGOs die Lebensbedingungen der armen, in der Türkei Schutz suchenden Syrer verbessern, gibt es dennoch eine beträchtliche Anzahl an Flüchtlingen, die immer noch unter dem Existenzminimum leben. Manche gehen betteln, andere arbeiten schwarz.
Die türkische Regierung hat zu Beginn des Jahres Arbeitserlaubnisse für Syrer eingeführt, um die Flüchtlinge aus der Armut zu befreien. Es wird auch erwartet, dass diese Maßnahme die Migration von verzweifelten Syrern, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa weiterziehen, zumindest drosseln wird. Die Lage ist ungewiss in Syrien, und trotzdem warten die Syrer immer auf gute Neuigkeiten von zuhause und hoffen, dass der Konflikt endet, bevor er sich zum sechsten Mal jährt. Mustafa Najjar lebt in einem AFAD-Flüchtlingscamp in Südkilis. Er sei besorgt, dass ein weiteres Jahr ohne Lösung des Konflikts vergangen sei, erzählt er der Nachrichtenagentur Anadolu. Von zuhause weg zu sein, so Najjar, sei „ein nicht in Worte zu fassender Schmerz“.
„So Gott will, wird Frieden in Syrien einkehren und auch wir werden dann wieder nachhause zurückkehren“, meint er. „Das syrische Volk macht Unvorstellbares durch. Meine Leute sind im Meer ertrunken, sie mussten andere schlimme Dinge erleben“, so der 42-Jährige weiter. Er erinnert an die Hunderte syrischer Flüchtlinge, die im Ägäischen Meer auf Flüchtlingsbooten auf dem Weg von der türkischen Küste nach Griechenland ertrunken sind. Hassan Hajjaj gibt die Hoffnung auf ein Ende des Krieges nicht auf. Er überlebe dank dem Traum, wieder nachhause zurückkehren zu können, erzählt er. Hajjaj ist der Türkei für ihre Hilfe und Unterstützung sehr dankbar und lobt den Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als „den einzigen Menschen, der in diesem Prozess Seite an Seite mit dem syrischen Volk steht.“
Er erwarte von den arabischen Ländern, so Hajjaj weiter, mehr Einsatz, um das Blutvergießen in Syrien zu beenden. Auch Suheila Agha, die ihre beiden Söhne im syrischen Bürgerkrieg verlor, ist dem türkischen Staat sehr dankbar, fügt aber hinzu: “Kein Ort der Welt kann wie dein Zuhause sein.“ Sie sagte, dass sie Syrien schrecklich vermisse. Nusrat Kuro aus Kobane fand vor zwei Jahren Schutz in der Türkei. Er spricht sich nur positiv über die Bedingungen im Flüchtlingscamp aus. Sein Herz aber, wie das seiner syrischen Landsleute auch, schlägt immer noch für sein Heimatland.
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