Das Wohlwollen, mit dem Sasha und Malia Obamas Auftritte beim historischen Besuch auf Kuba verfolgt wurde, war bezeichnend. Denn gerade erst war die Aufregung um die Teilnahme der beiden an ihrem ersten Staatsbankett Anfang März zu Ehren des kanadischen Premierministers Justin Trudeau abgeklungen. Darüber, wie "hinreißend" und "entzückend" die beiden wirkten, vor allem beim Flirt mit Schauspieler und Mädchenschwarm RyanReynolds. Und darüber, dass es sich bei den Roben der Mädchen um Designerstücke handelte, die jeweils rund 20.000 Dollar kosteten. Das Weiße Haus, das sonst keine Kommentare zu Fragen abgibt, die die Schwestern betreffen, ließ sich ausnahmsweise dazu herab, die Vorwürfe zu dementieren, wonach für die Garderobe Steuergeld verschleudert worden sei. Was die First Lady und ihre Töchter trügen, bezahlten die Obamas selbst,wenn es nicht von Designern zur Verfügung gestellt werde.
Die Auftritte erzählen viel über das Verhältnis der Amerikaner zu ihrer Präsidentenfamilie und umgekehrt. Man könnte auch sagen: Sasha und Malia sind Barack Obamas größter überparteilicher Erfolg. Er war einst mit dem Ziel angetreten, eine pragmatische, das Land einende Politik zu betreiben – und scheiterte, auch am republikanisch dominierten Senat. In Bezug auf seine Töchter hingegen ist der Konsens breit: Zurückhaltend, aber wohlwollend wurde ihr Heranwachsen verfolgt, ihre bodenständige, sympathische Art.
Im Moment geht es dem Land mit Sasha und Malia allerdings ungefähr so wie ihrem Vater beim Staatsbankett: Es hat einen Kloß im Hals. Wie groß die beiden geworden sind! Richtige Damen! War es nicht erst gestern, als zwei niedliche kleine Mädchen neben Barack Obama bei seiner Vereidigung im Januar 2009 standen und Natasha, 7, und Malia, 10, als jüngste Kinder seit den Kennedys ins Weiße Haus zogen?
Sie werden zu schnell erwachsen", sagte Obama in seiner Rede, "Malia geht bald ins College – und jetzt muss ich gleich schlucken". Auch Justin Trudeau, selbst Vater von drei Kindern, meinte gerührt: "Ich bewundere euch beide sehr für eure außerordentliche Stärke und Anmut." Dank ihrer Eltern würden die Erfahrungen im Weißen Haus ihnen "Stärke und Weisheit jenseits eures Alters für den Rest eures Lebens geben."
Es gilt auch in den USA das ungeschriebene Gesetz, die Kinder des Staatsoberhauptes in Ruhe zu lassen. Die Amerikaner sind allerdings auch weniger an ihnen interessiert als etwa Europa am Nachwuchs in seinen Königshäusern – schon deshalb, weil im Weißen Haus ja nicht automatisch künftige Präsidenten heranwachsen, sondern Stiftungsratsmitglieder (Chelsea Clinton), Nachrichtensprecherinnen (Jenna Bush), Radiomoderatoren (Ron Reagan), Politiker (Jack Carter) und andere langweilige Berufstätige. Die Zurückhaltung hört aber auf, wenn sich Amerikas First Studentinnen wie ganz normale amerikanische Studentinnen benehmen und zum Beispiel versuchen, mit gefälschten Ausweisen an Alkohol zu kommen, wie einst Jenna und ihre Zwillingsschwester Barbara Bush in Texas.
Das schlimmste Vergehen von Sasha und Malia ist bisher der klassische Teenagerprotest des gelangweilten Aus-der-Wäsche-Guckens, wenn die Eltern sie mal wieder zu einem total peinlichen Event mitgeschleppt haben. Zu der traditionellen "turkey pardoning"-Zeremonie zum Beispiel, bei der der Präsident zu Thanksgiving einem Truthahn das Leben schenkt, anstatt ihn in den Ofen zu schicken. Im November 2015 hatte Barack Obama es doch tatsächlich gewagt, die Mädchen zu fragen, ob sie den Vogel streicheln wollen. "Nein", lautete Malias knappe Antwort. Die 17-Jährige hat den bewusst desinteressierten Blick perfektioniert, mit dem es vor allem hübschen Mädchen gelingt, die Altersverhältnisse umzukehren: "Peinlicher Kinderkram!", kommentiert dieser Blick jede Aktivität, für die die anwesenden Erwachsenen eine gewisse Begeisterung aufbringen – und sei es auch nur von Amts wegen.
Und sogar das Desinteresse wird – wie Sashas gelegentliches Gähnen – meist verzückt als Beweis dafür aufgenommen, wie herrlich normal die beiden doch geblieben sind. Nur eine gewisse Elizabeth Lauten, PR-Managerin eines republikanischen Senators, schrieb nach jenem Thanksgiving einen offenen Brief an die Schwestern auf Facebook: "Zeigt Stil", "benehmt Euch, als würde es Euch etwas bedeuten, im Weißen Haus zu sein", tadelte sie mit einem Seitenhieb auf die Eltern, die ja auch wenig Respekt für das Amt zeigten und als Rollenvorbilder versagen würden. "Kleidet Euch wie jemand, der Respekt einfordert und nicht einen Platz an der Bar. Und zieht schon gar keine Gesichter zu öffentlichen Anlässen, die im Fernsehen übertragen werden." Wenige Tage später nahm Elizabeth Lauten ihren Hut.
Der Karriere des reaktionären Demagogen Rush Limbaugh hingegen (eine Art Radio-Donald-Trump) hatte es nicht geschadet, als er sich 1992 in seiner Hörfunksendung über das unvorteilhafte Aussehen der damals zwölfjährigen Chelsea Clinton lustig machte und den Hund der Familie "das niedlichste Kind im Weißen Haus" nannte.
Im Hinblick auf die Obama-Töchter herrscht allseits geradezu Melancholie. Die zunehmenden öffentlichen Auftritte markieren schließlich zugleich einen Abschied. Vielleicht ist es ja nicht nur das reifere Alter, vielleicht wollen die Eltern so kurz vor dem Ende der Präsidentschaft ihre Kinder noch einmal alle Möglichkeiten auskosten lassen, die das Amt Präsidententöchtern bietet.
Denn die vergangenen Jahre waren streng darauf ausgelegt, den beiden eine so normale Kindheit wie möglich zu verschaffen. Natürlich sagen das allepräsidialen Eltern. Aber so gut hingekriegt wie diese beiden haben das schon lang keine mehr. Was vor allem an Michelle Obama liegt, die der Wendung "Mutter der Nation" eine neue Bedeutung verliehen hat. Wenn man auftritt wie Michelle Obama und aussieht wie Michelle Obama, dann verliert der Titel jede Trutschigkeit, alles Laura-Bush- oder Nancy-Reagan-hafte.
Sie ist das Paradebeispiel für die moderne Vereinbarkeit von Kind und Karriere – weil die Anwältin ihren zweiten Beruf klug gewählt hat. Nach der Wahl Baracks zum Präsidenten habe sie gewissermaßen "einen Schalter umgelegt", sagte sie in einem Interview 2012. Sein Job sei die Welt und die Finanzkrise gewesen, "meiner, den Übergang ins Weiße Haus für uns so reibungslos wie möglich zu gestalten".
Alle First Ladys legen sich eine Beschäftigung zu, meist eine soziale Aufgabe. Nancy Reagan erklärte Drogen den Krieg, Hillary Clinton nahm sich dem Krankenversicherungswesen an. Michelle Obama aber kümmerte sich um ihre Kinder, nur eben auf landesweiter Ebene. Im Grunde ist alles, was sie in Angriff nahm – Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen, Sport- und Ernährungsprogramme im Kampf gegen die Fettleibigkeit bei Kindern – ein Nebenprodukt ihres Erziehungsstils zu Hause.
Die Obamas sind nicht nur, sie waren schon immer das, was man die amerikanische Version der Berliner Prenzlauer-Berg-Familie nennen könnte: Wohlhabende Biogemüseesser mit strengen pädagogischen Prinzipien (bis vor Kurzem herrschte unter der Woche Bildschirm- und Telefonverbot für die Mädchen), hohen Erwartungen an schulische Leistungen und gutes Benehmen.
Nicht zu vergessen die Tatsache, dass seit Eisenhowers Schwiegermutter zum ersten Mal wieder eine leibliche Oma im Weißen Haus lebt. Michelle Obamas Mutter Marian Shields Robinson half schon während der Präsidentschaftskampagne bei der Kinderbetreuung, und ist laut Barack Obama ein wichtiger Grund dafür, dass die Mädchen sich "keine Attitüden erlauben".
Gerade haben die Obamas erklärt, dass die Familie nach der Präsidentschaftswahl im November vorerst in Washington bleiben wird, was für Ex-Präsidenten ungewöhnlich ist, der letzte war Woodrow Wilson 1924. Der Grund ist, natürlich – Sasha. "Ein Schulwechsel mitten in der Highschool? Das ist hart", so der Vater.
Dass das Land Sasha und Malia Obama derart großen Respekt entgegenbringt und ihre Privatsphäre respektiert, liegt auch daran, dass bei den Obamas vom ersten Moment an klar war: Hier wird nicht für die Medien eine perfekte Familie inszeniert, sondern hier gewährt eine normale Familie notgedrungen einen kurzen Einblick ins Private. Als Außenstehender hat man immer das Gefühl, man störe.
Auch deshalb wirken die üblichen "Ich-bin-nur-ein-ganz-normaler-Vater-und-Ehemann-unter-der-Fuchtel-meiner Frau"-Scherze, die Würdenträger gerne machen, bei Barack Obama eher glaubwürdig. Schon weil er selbst ohne Vater aufwuchs, achtete er darauf, bei so vielen Veranstaltungen und Schulkonferenzen wie möglich dabei zu sein. Es sei schon hart, erzählte er im November in der Zeitschrift "GQ", dass seine Töchter nun das Alter erreicht hätten, in dem er nicht mehr der Coolste sei: "Sie lieben dich, aber sie haben einfach keine Zeit mehr für dich." Da müsse er jetzt durch, Freunde mit älteren Kindern hätten ihm versichert, "wenn du es während der Teenagerzeit nicht völlig vermasselst, kommen sie so mit 23, 24 zurück und wollen dann wirklich mit dir abhängen."
Und dass keine Witze so ernst gemeint sind wie die, in denen es um das Liebesleben der 17-jährigen Tochter geht, wissen alle Väter von 17-jährigen Töchtern. Will man dieses unter Kontrolle halten, sei das Amt des Präsidenten zudem ganz praktisch, erzählte Obama im selben Interview. Nein, die Blicke von ein paar Kerlen hätten ihn "nicht glücklich gemacht". Und ja, es sei schon praktisch, dann dem Secret Service sagen zu können: "Behaltet den mal im Auge."
Bis auf Weiteres aber wird wohl das ganze Land ein Auge auf Malia und Sasha Obama haben.
Quelle: welt.de
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