Das eine Spiel, das Caruana noch gewinnen muss, muss er gegen den Russen Sergej Karjakin gewinnen. Wie ist das zu verstehen? Wünschen sich die Russen einen amerikanischen Herausforderer?
Nun, "die Russen" gewiss nicht. Aber die Organisatoren, namentlich die vom Weltschachverband mit der Ausrichtung beauftragte Firma Agon, wohl schon. Denn wie sollten sie den Amerikanern eine Weltmeisterschaft in New York verkaufen, in der ein Russe gegen einen Norweger antritt? Norwegen – wo liegt das eigentlich?
Insofern werden Fabiano Caruana zu Beginn dieser 14. Runde mehr Daumen im Spielsaal gedrückt, als es der Austragungsort erwarten ließe. Das Publikum sehnt sich nach größerer Aufmerksamkeit für den Brettsport und traut Caruana in dieser Hinsicht mehr zu als Karjakin. Das ist durchaus ungerecht, wenn man bedenkt, wie viel die Russen für das Schach tun und wie wenig die Amerikaner.
Spiel auf Sieg
Das Spiel, das Caruana nur noch gewinnen muss, ist eine kaum zu nehmende Hürde. Mit Schwarz trifft er auf einen zähen Burschen, der bislang ein exzellentes Turnier hingelegt hat und punktgleich mit ihm in Führung liegt. Ein Remis wäre schon ein gutes Ergebnis. Leider sehen die Regeln aber vor, dass es bei Gleichstand eine Feinwertung gibt, und da liegt der Russe vorn: Er hat mehr Partien gewonnen als der Amerikaner.
Dieses Kriterium ist für Außenstehende nicht leicht zu verstehen, da "mehr Partien gewonnen" bei gleicher Punktzahl auch heißt "mehr Partien verloren". Die Regelung wurde einst eingeführt, um die Meister zu größerem Risiko zu animieren. Sie sollen dem Publikum zuliebe nicht immer auf Nummer Sicher gehen und Remis spielen, sondern etwas wagen und dafür belohnt werden.
Für Caruana bedeutet dies: Er muss diese letzte Partie gewinnen und sie schärfer anlegen, als es eigentlich ratsam wäre. Karjakin eröffnet mit dem Königsbauern, 1. e4, und schon mit seinem ersten Zug zeigt Caruana, dass er die Aufgabe annimmt: 1. … c5. Sizilianisch nennen das die Schachspieler – eine Eröffnung, die zweischneidiger ist als der klassische Doppelschritt des Königsbauern und in den drei Wochen dieses Turniers deshalb kaum zu sehen war.
Die Finalisten haben sich vorbereitet. Caruana drischt die Eröffnung herunter, Karjakin nimmt sich etwas mehr Zeit. Nach elf Zügen ist die schwarze Stellung zerklüftet. Beide Flügel sind aufgerissen, der König steht in der Mitte, die Rochade fällt heute aus. Der weiße König hat sich auf den Damenflügel begeben – große Rochade – und ist nun das Ziel eines schwarzen Bauernsturms.
Karjakin verblüfft das Publikum im 20. Zug mit einem lockernden Bauernzug vor dem eigenen König. Normalerweise hält man still, wenn die feindliche Armada sich nähert. Bloß keine Angriffsmarken bieten! Aber im Schach siegt das Konkrete immer über das Allgemeine: Karjakin schafft mit dem Bauernzug einen Stützpunkt für seinen Läufer, der den schwarzen Angriff auf lange Zeit behindert.
Der Russe gegen den Amerikaner
Beide Spieler sitzen bewegungslos am Brett. Karjakin in hellgrauem Hemd und dunkelgrauer Hose, für seine Verhältnisse geradezu pointiert gekleidet. Sonst trägt er meist zusammenhanglose Sachen unter einem nicht besonders hübschen Jackett mit aufgetackerten Sponsoren-Logos. Caruana dagegen achtet immer darauf, was er anzieht, und macht eine gute Figur vom modisch gestreiften Hemd bis hinunter zu den schwarzen Turnschuhen.
Karjakin trägt einen Backenbart und bewegt sich, wenn er mal aufsteht, etwas behäbig; er würde als Juniorkapitän jede norddeutsche Küsten-Soap schmücken. Einst gestartet als jüngster Großmeister der Geschichte, der seinen Titel im Alter von 12 Jahren und sieben Monaten errang, zog er 2009 aus der Ukraine nach Russland, um seine Schachkarriere zu forcieren. Bisher hat es geklappt. Jetzt muss er nur noch diesen Amerikaner bezwingen.
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