Ein Einzelfall war das nicht. Überall in Deutschland registrieren Polizeibeamte eine erhebliche Zunahme von Delikten, die offiziell als "Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort" geführt werden. Im Klartext heißt das: Fahrerflucht. Es ist eine Straftat, für die neben Führerscheinentzug oder Fahrverbot auch hohe Geldstrafen drohen, in besonders schweren Fällen sogar Gefängnis.
Doch das schreckt viele Unfallverursacher nicht ab. "Es vergeht kein Tag, an dem keine Geschädigten auf den Polizeidienststellen Anzeige erstatten, weil jemand nach einem Unfall das Weite gesucht hat", beschreibt Sylvia Frech vom Polizeipräsidium Mittelhessen die Situation, die Ordnungshüter aus anderen Regionen bestätigen. In Berlin ist laut Polizei inzwischen bei rund 22 Prozent aller Verkehrsunfälle Fahrerflucht im Spiel, in Stuttgart beträgt die Quote knapp 24 Prozent, und in Düsseldorf machen sich nach Unfällen mit Blechschäden sogar zwei Drittel der Autofahrer aus dem Staub.
Experten gehen von hoher Dunkelziffer aus
Fürs Bundesgebiet gibt es keine genauen Zahlen, weil die Statistik nur Karambolagen mit Toten, Verletzten und schwerem Sachschaden erfasst. Aber schon vor Jahren berichteten Juristen der Universität Göttingen von insgesamt 300.000 bis 350.000 Fluchtdelikten pro Jahr und sprachen in diesem Zusammenhang bereits von "Massenkriminalität". Inzwischen dürften die Zahlen noch höher sein. Nach einer Erhebung in elf Bundesländern spricht der Auto Club Europa (ACE) von "deutlich über 500.000 Fluchtdelikten", die jährlich von der Polizei bearbeitet werden. Stimmt diese Hochrechnung, machen sich Autofahrer bei jedem fünften aller polizeilich erfassten Unfälle aus dem Staub.
Tatsächlich vermutet der ACE sogar noch mehr Vergehen dieser Art, weil viele Geschädigte keine Anzeige erstatten. Rechtswissenschaftler halten bei diesem Delikt eine Dunkelziffer von 1:10 für wahrscheinlich – das würde bedeuten, dass nur jeder zehnte Unfall mit Fahrerflucht aktenkundig wird. Kein Wunder also, wenn ACE-Jurist Florian Wolf vor einer "dramatischen Entwicklung bei Unfallfluchten mit Sachschäden" warnt.
"Eine Mischung aus Irrglauben, Unwissenheit, aber auch mangelnder sozialer Verantwortung" nennt Polizeisprecherin Sylvia Frech als Hauptgrund für die hohe Zahl von Fahrerfluchtdelikten auf Deutschlands Straßen. Der Irrglaube: Viele Unfallverursacher meinen, ein Zettel am Scheibenwischer des beschädigten Autos reiche aus und man könne danach einfach weiterfahren (siehe Kasten). Die Unwissenheit betrifft die Folgen des Delikts. "Schon bei einem Schaden bis 1.300 Euro muss man mit einer Geldstrafe bis zu einem Monatsgehalt plus Punkteintrag und maximal drei Monaten Fahrverbot rechnen", erklärt Katrin Müllenbach-Schlimme vom ADAC.
Hat man kein Handy dabei, sollte man mindestens eine halbe Stunde am Unfallort warten und danach zur Telefonzelle gehen, um die Polizei anzurufen. Wer den Unfall erst nachträglich meldet, kann trotzdem wegen Fahrerflucht angezeigt werden, erklärt der ADAC. Die Straftat werde bereits durch das Wegfahren von der Unfallstelle begangen.
Noch härtere Konsequenzen drohen, wenn sich Autofahrer nach schweren Unfällen aus dem Staub machen. Liegt der Sachschaden bei mehr als 1.300 Euro, riskieren Autolenker durch Fahrerflucht den sechsmonatigen Entzug der Fahrerlaubnis. 1.300 Euro – ein solcher Betrag kommt heutzutage bereits bei der Reparatur eines Parkplatzremplers zusammen.
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