Offiziell behauptet Wladimir Putin nach wie vor, dass die "militärische Spezialoperation" in der Ukraine nach Plan verläuft. Doch intern scheint der russische Präsident alles andere als zufrieden damit, wie sich sein Angriffskrieg im Nachbarland entwickelt: Er habe einen der ranghöchsten russischen Militärs, General Roman Gawrilow, verhaften lassen, berichtet unter anderem die britische Zeitung "The Telegraph" unter Berufung auf einen britischen Minister.
Die Verhaftung wird in Zusammenhang gesehen mit einer verstörenden Rede, die der russische Präsident unter der Woche gehalten hatte. Darin verteidigte Putin den Militäreinsatz in der Ukraine erneut, angesichts steigender Verluste kündigte er allerdings auch eine "Säuberung" Russlands von "Verrätern" an. Moskau zufolge sind bei der Invasion bisher 498 Kämpfer gestorben. Die USA kalkulieren konservativ, dass sich die russischen Verluste auf etwa 7000 Soldaten und bis zu 21.000 Verletzte belaufen. Die Ukraine behauptet, bereits 13.500 russische Soldaten getötet zu haben.
Roman Gawrilow ist den Angaben zufolge Vizechef der russischen Nationalgarde. Diese soll die ukrainische Invasion den Berichten zufolge angeführt, bei ihrem Einmarsch aber herbe Verluste erlitten haben.
Treibstoff verschwendet? "Ähm"
Als Begründung für die Verhaftung kursieren demnach zwei Erklärungen. Eine Quelle habe ihm mitgeteilt, dass Gawrilow militärische Informationen weitergegeben habe, die zum Verlust von Menschenleben geführt hätten, schreibt Christo Grozev, der Russland-Experte des Recherchenetzwerks Bellingcat auf Twitter. "Zwei andere Quellen sagen, dass er 'Treibstoff verschwendet' hat."
Mit einem "Ähm" als Kommentar macht Grozev deutlich, was er von der Treibstoff-Version hält. Ob Gawrilow tatsächlich militärische Informationen verraten hat, kann der Russland-Experte ebenfalls nicht bestätigen oder widerlegen. Klar ist nur, dass Gawrilow sanktioniert wurde: In der staatlich gesteuerten russischen Presse wird gemeldet, der General sei gefeuert worden.
Hausarreste und Entlassungen
Die Verhaftung reiht sich ein in eine Reihe persönlicher Bestrafungen. Bereits vor einer Woche war berichtet worden, dass Putin acht Generäle entlassen habe. Sie hätten "ihre Aufgabe" nicht erfüllt, hieß es. Zuvor hatte sich abgezeichnet, dass ein schneller militärischer Erfolg in der Ukraine - anders als offenbar erwartet - ausbleiben würde.
Ebenfalls vor einer Woche wurde gemeldet, dass der russische Präsident bei einem Sicherheitstreffen die Auslandsverantwortlichen des Inlandsgeheimdienstes FSB "attackiert" habe. Der russische Investigativjournalist, Kremlkenner und Militärexperte Andrei Soldatov von der unabhängigen Onlinezeitung "Medusa" schrieb auf Twitter, Putin habe Leiter Sergei Beseda und seinen Stellvertreter unter Hausarrest gestellt. Ihnen wird demnach vorgeworfen, vor dem Krieg Informationen für Putin frisiert zu haben.
Der russische Präsident konnte seine Wut über den Verlauf seiner Invasion und die internationalen Sanktionen, mit denen Russland dafür belegt wurde, zuletzt kaum noch verbergen. In seiner Rede machte er unter der Woche deutlich, dass er gewillt ist, die dafür in seinen Augen Verantwortlichen zu bestrafen. "Jedes Volk, das russische Volk ganz besonders, wird immer in der Lage sein, das Gesindel und die Verräter zu erkennen und sie auszuspucken, wie man eine Fliege ausspuckt, die einem in den Mund geflogen ist", erklärte Putin. "Ich bin sicher, dass eine solche echte und notwendige Selbstreinigung der Gesellschaft unser Land nur stärken wird."
Mehrere Generäle gefallen
Gleichzeitig mehren sich allerdings auch die hochrangigen Verluste auf russischer Seite in der Ukraine selbst. Stand vergangene Woche sollen bereits drei Generäle der russischen Truppen getötet worden sein. Bei den Kämpfen um die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw wurde nach Angaben des ukrainischen Militärgeheimdienstes der 45-jährige Vitaly Gerasimov getötet.
Zuvor war bereits der russische Generalmajor Andrej Suchowetzki in den Kämpfen in der Ukraine gestorben. Bei dem dritten toten General soll es sich unbestätigten Berichten zufolge um Generalmajor Andrei Kolesnikov handeln.
"Eines ist klar: Es besteht kein Zweifel, dass Putin erkennt, in welch tiefem Schlamassel sich diese Operation befindet", fasste Bellingcat-Journalist Grozev die russische Situation auf Twitter zusammen. "Es ist so schlimm, dass er mitten im Rennen die Pferde wechselt - ein großes Tabu im Krieg."
Quelle: ntv.de
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