Keine Sanktionen: Erdoğan baut mit Putin lieber ein AKW

  29 März 2022    Gelesen: 428
Keine Sanktionen: Erdoğan baut mit Putin lieber ein AKW

Der türkische Präsident schwingt sich zum Friedensstifter zwischen Russland und der Ukraine auf. Dabei verfolgt er knallhart eigene Interessen. Die Türkei macht als einziges NATO-Land bei den Sanktionen nicht mit. Erdoğan sichert sich vielmehr neue Pipeline-Geschäfte, lockt Oligarchen und baut mit Russland ein riesiges Atomkraftwerk.

Die Welt schaut auf Istanbul und hofft auf Frieden. Vertreter Russlands und der Ukraine wollen in der türkischen Metropole über eine Feuerpause sprechen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und der russische Staatschef Wladimir Putin haben sich persönlich darauf verständigt. Schon die ersten Gespräche auf Ministerebene fanden am 10. März im türkischen Antalya statt.

Erdoğan ist es damit gelungen, sich als diplomatischer Unterhändler beider Kriegsparteien zu positionieren. Nicht Emmanuel Macron oder Olaf Scholz, nicht Israel oder die Schweiz, nicht der Papst oder die UNO organisieren die Plattform für Friedensgespräche - ausgerechnet der Despot von Ankara ist Vermittler im Krieg geworden.

Erdoğan betont die beiderseits guten Beziehungen. Man sei mit Russland wie mit der Ukraine in guter Nachbarschaft am Schwarzen Meer. Besonders zu Moskau will Erdoğan seine Bande nicht gefährden. Bei der Suspendierung der russischen Mitgliedschaft im Europarat enthielt sich die Türkei als einziges Mitglied. Und auch an den Sanktionen des Westens gegen Russland beteiligt sich die Türkei als einziges NATO-Land nicht.

Superjachten docken in der Türkei an

Während europäische Unternehmen ihre Geschäfte mit Russland schmerzvoll kappen, macht Ankara die Tür für russische Partner weit auf. Das Land ist sogar für sanktionierte Oligarchen ein neues Refugium geworden. Reihenweise legen Jachten reicher Russen in Marmaris und Bodrum an. Auch die zwei Superjachten (Gesamtwert 1,3 Milliarden Dollar) des sanktionierten russischen Milliardärs Roman Abramowitsch haben in der Türkei angedockt. Die "Eclipse" floh sogar eigens aus der Karibik in die sicheren Häfen Erdoğans. Russische Oligarchen sind nach Worten des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu in der Türkei derzeit ausdrücklich willkommen. Die Sanktionen der EU werden damit dreist unterlaufen.

Erdoğan hat vor allem wirtschaftliche Motive für seine "Freundschaft" zu Putin. Russland ist unter allen Handelspartnern der wichtigste Importeur. Die Türkei lebt in einer starken Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen. Ähnlich wie Deutschland basiert die gesamte Energieversorgung des Landes vorwiegend auf russischen Rohstoffen. Russland liefert zudem zwei Drittel der Weizenimporte. Außerdem schöpft die Türkei jährliche Milliardensummen aus dem sogenannten "Koffer­handel", aus Tourismus und den Aktivitäten tür­kischer Unternehmen in Russland. Jedes Jahr reisen mehrere Millionen Russen - 2021 waren es 4,7 Millionen - in die Türkei zum Urlaub, russische Touristen sind die größte Gästegruppe überhaupt.

Anders als in der EU können Russen an vielen türkischen Geldautomaten mit ihren heimischen Bankkarten weiterhin Geld abheben. Beachtlich ist auch die Tätigkeit türkischer Baufirmen in Russland. Das Gesamtvolumen der Bauprojekte türkischer Unternehmen in Russland erreicht bald die Marke von 100 Milliarden Dollar. Vom Lakhta Center in Sankt Peters­burg bis zum Federation Tower in Moskau, zwei der höchsten Gebäude in Europa, reicht die Baupräsenz der Türken in Russland.

Erdoğan möchte die florierenden Wirtschaftsbeziehungen auf keinen Fall gefährden, zumal sein Land derzeit mit schweren Konjunkturproblemen und Inflation zu kämpfen hat. Ein Wegfall der Geschäfte mit Russland würde die Türkei in der labilen Lage empfindlich treffen.

Erdoğan setzt noch einen drauf

Statt Sanktionen baut Erdoğan die Wirtschaftsbeziehungen sogar aus. Mit dem Rückzug der Europäer aus Russland winken den Türken nun neue Aufträge aus Moskau. Erst vor zwei Jahren eröffneten Erdoğan und Putin die neue Gas-Pipeline "Turkstream", deren Rohre quer durchs Schwarze Meer über die Türkei nach Europa führen. Vergangenes Jahr ging dann der Abzweiger "Balkan Stream" in Betrieb, der von der Türkei und Bulgarien über Serbien nach Ungarn führt, wo russisches Gas in weitere europäische Netze eingespeist werden kann.

Anstatt sich von Russland zu emanzipieren, setzt Erdoğan energiepolitisch aber noch einen drauf. Das erste türkische Atomkraftwerk wird komplett vom russischen Staatskonzern Rosatom gebaut. An der türkischen Südküste in Akkuyu bei Mersin entsteht unter russischer Federführung derzeit das neue Vorzeigestück türkischer Modernität. Der erste Block soll dieses Jahr noch in Betrieb gehen. Das AKW wird nach Fertigstellung rund zehn Prozent des türkischen Energiebedarfs abdecken - in etwa der Verbrauch der Millionenmetropole Istanbul. Bei der Grundsteinlegung für den dritten Reaktorblock waren Putin und Erdoğan - beide per Video - feierlich zugegen.

Außergewöhnlich an dem Atomkraftwerk ist die Tatsache, dass Russland es nicht nur baut, sondern auch alles zahlt und hinterher betreibt. Das AKW Akkuyu gilt damit als erstes Projekt in der globalen Atomindustrie, das nach dem Betreibermodell "Build - Own - Operate" gebaut wird - enger kann die russisch-türkische Kooperation nicht sein. Die Akkuyu Project Company ist zu 100 Prozent Rosatom, die Kosten werden auf rund 20 Milliarden Dollar geschätzt und es ist vertraglich vereinbart, dass der russische Anteil auch in Zukunft nicht unter 51 Prozent fallen darf. Rosatom bringt auch das Uran in die Türkei.

Die neue Atompartnerschaft zwischen Erdoğan und Putin sieht sogar vor, dass die Russen der Türkei eine Uran-Anreicherungsanlage bauen. Erdoğan könnte darin auch eine Option sehen, sich irgendwann den Zugang zu einer eigenen Atombombe zu eröffnen.

Erdoğan kauft russische Waffen

Der türkische Präsident will sich mit seiner engen Verbindung zu Russland demonstrativ vom Westen emanzipieren. Insbesondere der Kauf des russischen Luftabwehr­raketensystems S-400 durch die Türkei hat in der NATO Zweifel an der Bündnistreue Ankaras geweckt. Die Stiftung Wissenschaft und Politik analysiert die strategische Linie Erdoğans so: "Den Westen und Russland gegeneinander auszuspielen gilt als eines der Hauptprinzipien der Außen­politik Ankaras."

Diplomaten sehen in Erdoğans Haltung - ähnlich wie Putin eine neo-sowjetische Denke verrät - auch eine "neo-osmanische Ambition". Der türkische Präsident sehe das untergegangene Osmanische Reich als seinen politischen Bezugsraum, in dem er Einfluss zurückgewinnen wolle. Dazu gehöre auch die Ukraine. Denn die südlichen Teile des jetzigen Kriegsgebiets waren einst Teil des Osmanischen Reichs und standen unter türkischer Herrschaft. Bis heute sind die Krimtataren eine Minderheit in der Ukraine. Die 1783 vom Zarenreich eroberte Krim war einer der ersten territorialen Verluste des Osmanischen Reiches und hat für die Türkei einen hohen Symbolwert. Indem Erdoğan nun als Friedensstifter in dieser Region auftritt, demonstriert er für die Türken zugleich, dass er Gestaltungsmacht in der alten Einflusssphäre zurück gewinnt.

Und so formuliert Erdoğan nun im Sultan-Gestus, man möge Putin einen "ehrenvollen Abzug" aus der Ukraine ermöglichen. Man solle jetzt sagen, "jetzt musst du der Architekt des Schrittes sein, der zum Frieden getan werden muss", doziert Erdoğan.

Was er nicht sagt: dass Putin ihn nicht nur wegen der Rohstoffe, des AKWs, der Bauaufträge und der Touristen in der Hand hat. In einer machtpolitischen Analyse der Friedrich-Naumann-Stiftung heißt es mit Verweis auf den Syrienkrieg: "Die wahre Achillesferse liegt im syrischen Idlib, das mit russischem Einverständnis als verbliebene Rebellenhochburg de facto unter türkischem Protektorat steht. Gäbe Putin grünes Licht für einen Angriff durch Assads Kräfte, könnten zwei bis drei Millionen weitere Menschen in die Türkei fliehen - angesichts der bereits starken Flüchtlingsfeindlichkeit wäre dies für die Regierung innenpolitisch kaum zu verkraften."

Quelle: ntv.de


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