Grüne knüpfen Tschernobyl-Hilfen an Atomausstieg

  31 März 2016    Gelesen: 690
Grüne knüpfen Tschernobyl-Hilfen an Atomausstieg
30 Jahre nach Tschernobyl dringt Regenwasser in die Reaktor-Ruine ein, die Schutzhülle muss erneuert werden. Dann laufen die Hilfsgelder aber aus. Die Grünen stellen Forderungen gegenüber der Ukraine.
Fast auf den Tag genau 30 Jahre ist es her, dass im ukrainischen Tschernobyl ein Reaktorblock explodierte und große Mengen Radioaktivität freigesetzt wurden. Bis heute kämpft die Ukraine gegen die Folgen des Unglücks. Weite Landstriche sind radioaktiv verseucht und unbewohnbar. An der Unglücksstelle selbst gibt es noch erhebliche Sicherheitsrisiken, wie jetzt die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion zeigt.

Die atompolitische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, sagte der "Welt": "Die Probleme in Tschernobyl sind auch 30 Jahre nach der Katastrophe noch lange nicht bewältigt." Und weiter: Allein die Tatsache, dass ständig Wasser in den havarierten Reaktor eindringe und sich eine explosive "atomare Suppe" bilden könne, zeige, "dass die Katastrophe weitergeht", sagte Kotting-Uhl.

Nach Angaben der Bundesregierung dringt in die Reaktorruine Regenwasser ein, und es bildet sich Kondenswasser an den Wänden. Ein Teil der Feuchtigkeit stammt aus einem "Staubunterdrückungssystem". Tropft das Wasser nach unten, kann es mit kernbrennstoffhaltigem Material in Berührung kommen. Am Boden hat sich so ein Gemisch mit einer "komplexen chemischen Zusammensetzung" gesammelt, wie es in der Antwort heißt; bis zum Jahr 2014 waren es insgesamt schon 326 Kubikmeter – was in etwa 1600 Atommüllfässern entspricht.

Eindringen von Wasser alarmiert die Regierung

Die Bundesregierung warnt vor dieser gefährlichen Lösung: "Ihr Gehalt an langlebigen Transuranen macht sie zu einer möglichen Quelle spontaner Kernspaltungen mit Neutronenfreisetzungen." Im Klartext heißt das: Ein erneuter Störfall ist nicht ausgeschlossen. Sollte es tatsächlich zu einer unkontrollierten Kettenreaktion kommen, hätte diese aber bei Weitem nicht die Dimension wie vor 30 Jahren.

Die Bundesregierung schätzt die Wahrscheinlichkeit eines solchen Störfalls als sehr gering ein. Und doch ist das Eindringen von Wasser in die Reaktorruine ein Alarmsignal: Es zeigt, dass die Sicherheitsmaßnahmen dringend verstärkt werden müssen.



In den Monaten nach der Reaktorkatastrophe vom 26. April 1986 war mit allen Mitteln versucht worden, die Unglücksstelle möglichst schnell abzusichern; dazu gehörte zum Beispiel auch die Errichtung einer unterirdischen Wand aus Stahlbeton. Diese Wand sollte verhindern, dass radioaktiv verseuchtes Wasser in den nahe gelegenen Fluss Prypiat fließt. Über die Wirksamkeit dieser Maßnahme liegen nach Angaben der Bundesregierung jedoch "keine belastbaren Informationen" vor.

Etwa 200 Tage nach dem Unglück wurde die verstrahlte Reaktorruine mit einer Betonhülle abgedeckt. Diese Ummantelung – Sarkophag genannt – wurde 2008 noch einmal stabilisiert. Doch jetzt wird sie brüchig. Nach heftigem Schneefall ist vor drei Jahren bereits ein Teil des Dachs eingestürzt.

Derzeit wird eine neue Schutzhülle errichtet, die über die Reaktorruine geschoben werden soll: Mehr als 250 Meter breit, rund 160 Meter lang und fast 110 Meter hoch soll das sogenannte New Safe Confinement (NSC) werden. Die Ukraine ist dabei auf internationale Hilfe angewiesen.

In der Antwort der Bundesregierung findet Kotting-Uhl die, wie sie sagte, beruhigende Nachricht, dass der Bau durch den Konflikt in der Ukraine nicht beeinträchtigt wird. Beruhigend sei auch, dass nach mehrfachen Verzögerungen die Finanzierung des Zwei-Milliarden-Euro-Projekts gesichert ist.

Unter deutscher Präsidentschaft haben die G-7-Staaten bei ihrem Gipfeltreffen im vergangenen Jahr im bayerischen Elmau entsprechende finanzielle Zusagen gemacht. Auch Russland zahlt weiterhin in einen Fonds zur Finanzierung der neuen Schutzhülle ein. Unklar ist, wie es danach weitergeht.

Grüne geißeln ukrainischen "Wahnsinn"

Für den Unterhalt des neuen Sicherheitsmantels wollten die G-7-Staaten bislang keine weiteren Gelder bereitstellen. Nun kündigt die Bundesregierung in ihrer Antwort erstmals Gespräche über eine künftige Finanzierung an. Kotting-Uhl ist überzeugt: "Die internationale Gebergemeinschaft wird die Ukraine auch nach der Fertigstellung des neuen Sarkophags unterstützen müssen."

Ende 2017 soll der neue Sicherheitspanzer fertig sein und die Reaktorruine abschirmen. Das ist die Voraussetzung, damit der alte Sarkophag abgetragen und mit der Entsorgung des radioaktiven Materials begonnen werden kann. Genaue Zeitpläne dafür gibt es nach Angaben der Bundesregierung nicht. Vorbereitungen aber laufen.

So wurde eine Anlage zur Behandlung flüssiger radioaktiver Abfälle (zum Beispiel Wasser) errichtet, zudem entstand ein industrieller Komplex zur Behandlung fester radioaktiver Abfälle (zum Beispiel Trümmer). Ein Langzeitzwischenlager für abgebrannte Brennelemente soll im kommenden Jahr in Betrieb genommen werden. In einem Endlager für schwach und mittelaktive Abfälle wurde die Einlagerung in ersten Teilbereichen genehmigt.

"Sicherheit wird es überhaupt erst geben, wenn die hoch radioaktiven Altlasten eines Tages beseitigt sind", sagte Kotting-Uhl. Trotz des verheerenden Reaktorunglücks vor 30 Jahren hält die Ukraine bis heute an der Kernenergie fest.

Die drei intakt gebliebenen Reaktorblöcke in Tschernobyl lieferten noch bis September 2000 Strom. 2012 hat die Ukraine ein umfassendes nukleares Modernisierungsprogramm aufgelegt. Derzeit sind noch 15 Reaktorblöcke in Betrieb; der letzte soll im Jahr 2034 vom Netz gehen.

"Es ist Wahnsinn, dass die Ukraine weiter auf Atom setzt und die Laufzeiten für die Atomkraftwerke sogar noch verlängern will", kritisierte Kotting-Uhl. Die Grünen fordern die Gebergemeinschaft daher auf, künftige finanzielle Unterstützungen für Tschernobyl an die Bedingung zu knüpfen, konkrete Pläne für eine Energiewende vorzulegen.

Quelle : welt.de

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