Kolumbien erreicht entscheidende Phase

  01 April 2016    Gelesen: 638
Kolumbien erreicht entscheidende Phase
In den Städten Kolumbiens haben Polizei und Armee die Kontrolle, außerhalb Guerilla, Paramilitärs und Drogenkartelle. Mit der Farc verhandelt die Regierung über Frieden. Die Gespräche sind in ihrer entscheidenden Phase angelangt.
Eigentlich sollte im März der große Moment von Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos kommen. Doch der Monat wird ohne Unterschrift vergehen und der konservative Regierungschef weiter um den ersten Schritt aus dem Bürgerkrieg heraus ringen. Die Friedensverhandlungen mit der linksgerichteten Farc-Guerilla sind zäh. Offen ist ein Teil, der Voraussetzung für den Beginn eines jeden Friedens ist: dass die Waffen sicher schweigen werden. Dafür sollen sich die Guerilla-Mitglieder selbst entwaffnen. Es wäre das Ende eines Konfliktes, der offiziell im Jahr 1966 begann und nie einen Sieger fand.

Offiziell wird seit September 2012 verhandelt, unter der Prämisse: Nichts ist beschlossen, bis alles beschlossen ist. Die Konfliktparteien ringen auf Kuba um die Bedingungen eines Friedens. Einig geworden sind sie sich bereits in einigen Punkten, etwa über die Aufarbeitung der Verbrechen und die Einrichtung einer entsprechenden Sondergerichtsbarkeit; aber eben nicht über alles. Santos` Verhandlungsführer Humberto de la Calle nennt die Differenzen, die einen Abschluss noch verhindern, jedoch "grundlegend". Die vorher geltende Verhandlungsfrist, die am 23. März auslief, wurde deshalb verlängert. Ins Stocken geraten sind die Gespräche zwar nicht, aber es wird derzeit nicht in der Sache diskutiert. Es werde ein Zeitplan erarbeitet, sagte der Farc-Chefunterhändler Iván Márquez, dessen Ziel unterschriftsreife Friedenskonditionen bis Ende 2016 sind. Die entscheidende Phase der Gespräche hat begonnen.

Der große Streitpunkt, an dem sich beide Seiten reiben und von dem vieles andere abhängt, ist der Ablauf der Entwaffnung. Die Regierung will, dass die Guerilla 60 Tage nach den Unterschriften innerhalb eines Jahres in eng gesteckten Gebieten mit UN-Beobachtern ihre Waffen niederlegt. Davon macht Santos` Delegation auch die Beteiligung der ehemaligen Kämpfer am politischen System abhängig. Die Farc möchte nach diesen 60 Tagen hingegen nur damit beginnen, sich graduell zu entwaffnen und lehnt eine Maximaldauer ab. Ein großer Unterschied, der mit unterschiedlichen Perspektiven zu tun hat. Die Regierung sieht künftige Bürger in der Guerilla, die sich dagegen vor allem als zukünftiger politischer Akteur betrachtet.

Streit um Entwaffnung

Aus Santos` Sicht würde eine Entwaffnung der 10.000 bis 15.000 Farc-Kämpfer im zwölfmonatigen Handstreich Respekt in der Bevölkerung verschaffen. Die Farc soll so zudem Glaubwürdigkeit beweisen. Nicht nur der Krieg, auch mehrere gescheiterte Friedensverhandlungen in den vergangenen Jahrzehnten haben tiefe Gräben hinterlassen. Eine Einigung wäre der erste erfolgreiche Schritt des Versuchs, die Probleme des Landes mit Guerilla, Drogenkartellen, Paramilitärs und anderen bewaffneten Gruppen etwas zu entflechten. Den Bürgerkrieg beenden würde sie nicht, aber die Machtverhältnisse verschieben und einen einflussreichen Akteur aus dem Konflikt herausnehmen.

Die Forderung der Regierung offenbart aber zugleich auch Realitätsferne. Das Argument der Farc, eine festes Datum würde den rechtsgerichteten Paramilitärs in die Hände spielen, denen es dann leicht fiele, die Kontrolle in den ländlichen Regionen zu übernehmen, wird auch von NGOs angeführt, die eigentlich Santos` Kurs gutheißen. Im Jahr 2014 töteten solche bewaffneten Gruppen 78 zivilgesellschaftliche Repräsentanten, 2015 waren es 105. Die Risiken sind hoch, dass sie das Machtvakuum als Folge einer entwaffneten Farc schnell ausfüllen. Und so stehen sich die beiden Verhandlungsführer gegenüber – und beide haben nachvollziehbare Argumente auf ihrer Seite.

Die Farc finanziert sich durch Schutzgelder und Erpressung, in der Vergangenheit auch durch Lösegelder. Auf der anderen Seite ist sie aber auch Ordnungsmacht in den ländlichen, kaum zugänglichen Regionen und erhebt dafür Steuern bei der örtlichen Bevölkerung, häufig auf Koka-Anbau und -transport. In manchen Gebieten werden Entscheidungen über kommunale Projekte gemeinsam mit den Zivilisten getroffen. Der Staat ist kaum oder gar nicht präsent. Die Beteiligung der ehemaligen Guerilla-Kämpfer am politischen System als Teil der Vereinbarung soll den Übergang zum Frieden in diesen Regionen erleichtern. Doch die Regierung will durch kontrollierte Entwaffnungszonen so wenig Kontakt der Zivilbevölkerung mit den Farc-Akteuren wie möglich, um den Einfluss der neuen Konkurrenz von links von Beginn an klein zu halten. Die Guerilla will das Gegenteil.

Kritische Sicht auf politische Beteiligung

Die Eingliederung der Farc-Mitglieder in den formalen politischen Prozess ist in der Bevölkerung ohnehin höchst umstritten. Mehrere Jahrzehnte lang wurde die Farc von den zivilpolitischen Akteuren als das größtmögliche Übel verteufelt, besonders in den Städten. Nun soll sie plötzlich als demokratischer Akteur auf Augenhöhe agieren dürfen.

Die Zustimmung für einen Frieden mit der Farc liegt in der Bevölkerung zwar bei 54 Prozent. Doch innerhalb weniger Monate ist permanenter Populismus gegen die Farc nicht aus den Köpfen der Menschen herauszubekommen. In den Farc-Gebieten waren ein Jahr nach Beginn der Verhandlungen 70 Prozent der Einwohner gegen eine politische Beteiligung der Ex-Kämpfer, in ganz Kolumbien sogar 76 Prozent.

Wegen der vielen bewaffneten Gruppen in Kolumbien, die alle unterschiedliche Ziele verfolgen, ist der Frieden ein höchst ambitioniertes Projekt, das auch internationale Unterstützung erfährt. US-Außenminister John Kerry traf sich vergangene Woche gar mit Farc-Vertretern auf Kuba, was vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Noch immer stufen die USA die Guerilla als Terrororganisation ein. Deutschland ist der Bundesregierung zufolge der größte ausländische Geldgeber in Kolumbien nach den Vereinigten Staaten und beteiligt sich seit zehn Jahren an Projekten, die den Friedensprozess fördern sollen. Das Auswärtige Amt hat dafür Tom Koenigs als Sonderbeauftragen eingesetzt, die EU den Iren Eamon Gilmore.

Rund 70 Prozent der kolumbianischen Bevölkerung lebt in Städten und hat den bewaffneten Konflikt größtenteils nicht am eigenen Leib erfahren. Die Menschen außerhalb der zentralen, urbanen Gebiete erleben ein anderes Kolumbien. Von den 46 Millionen Einwohnern des Landes haben sich bislang rund 7 Millionen Menschen als Opfer von Gewalt des Bürgerkriegs registriert. Von ihnen sind 80 Prozent Zivilisten.

Der kolumbianische Ex-Generalstaatsanwalt Eduardo Montealegre hat zum Ende seiner Amtszeit von 110.000 Straftaten gesprochen, die im Rahmen der vereinbarten Sondergerichte aufgearbeitet werden müssen. Diese Aufarbeitung kann nur beginnen, wenn der Konflikt mit der Farc dort gelöst wird, wo er auch begonnen hat: in den ländlichen Gebieten. Und dort sichert die Farc ihre Macht bislang noch mit Waffen.

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