Die Sirene schnitt in ihren Schlaf und löste bei den Männern eine heftige Adrenalinausschüttung aus, die dazu führte, dass sie wie angeknipst waren. Zu den Fahrzeugen rennen, losfahren. Schutzanzüge, Helme, Masken während der Fahrt anziehen. Sie dachten nichts, sie funktionierten einfach.
Niemand denkt ans Warum des Feuers
Grubert fuhr im ersten Löschfahrzeug voran, dahinter das Hubfahrzeug, das letztes Jahr für 580.000 Euro angeschafft worden war. Es hat eine hydraulische Drehleiter, für Brände in großer Höhe.
Zehn Minuten nach dem Alarm erreichten die beiden Feuerwehrautos mit sechs Feuerwehrleuten den "Husarenhof", ein leer stehendes Gebäude im Süden von Bautzen. Es brannte großflächig. "Vollbrand Dachstuhl auf 50 m", ist für 3.46 Uhr im Protokoll verzeichnet. Es ist ein Szenario, das die meisten von ihnen vor allem aus Übungen kennen.
Stunden später wird das erste Mal das Wort Brandstiftung fallen. Aber in diesem Moment denkt niemand an das "Warum" und an das "Wie" dieses Feuers.
Einsatzort sichern, Hydranten anzapfen, Leitern und Hubfahrzeug in Position bringen, die freiwilligen Feuerwehren der Nachbargemeinden alarmieren. Dann Wasser.
Um 4.52 Uhr sind "68 Kameraden mit zwölf Fahrzeugen im Einsatz". Um 5.01 Uhr ist der "Brand unter Kontrolle". Das Nachlöschen dauert bis in die Morgenstunden. Um 11.22 Uhr zieht die Feuerwehr ab. So steht es im Protokoll. Es war ein Bilderbucheinsatz. Bis hier.
Noch am gleichen Tag wendete sich die befriedigende Bilanz ins Gegenteil. Ab jetzt ging es in der medialen Darstellung nur noch darum, dass Bautzen ein aus den Fugen geratenes Gemeinwesen sei.
Zweisprachige Straßenschilder
Was man wissen muss: Der "Husarenhof" war lange ein Hotel, es hatte mal vier Sterne, lief schlecht und stand seit einer Weile leer. Stadt und Eigentümer kamen überein, das Hotel ab März in ein Flüchtlingsheim umzuwandeln.
In Bautzen leben 40.000 Menschen. Die Stadt ist fast schuldenfrei. Sie lebt vom Straßenbahnbau, vom Brückenbau, vom Tourismus und vom Senf. Der Ausländeranteil liegt bei drei Prozent, überwiegend Kubaner und Vietnamesen, die zu DDR-Zeiten kamen und geblieben sind. Zehn Prozent der Bevölkerung sind Sorben. Jedes Straßenschild, jede Ladenaufschrift ist zweisprachig. Das Fremde ist sozusagen alltäglich hier.
881 Flüchtlinge sind seit Beginn der Flüchtlingskrise dazugekommen. Der "Husarenhof" wäre die sechste Flüchtlingsunterkunft der Stadt gewesen, mit Platz für 300 weitere Flüchtlinge.
Es gab Proteste, wie eigentlich überall in Deutschland, wenn Flüchtlingsheime eröffnet werden. Auch die Drohung, das ehemalige Hotel anzuzünden, tauchte im Internet auf. Ein Sicherheitsdienst bewachte es rund um die Uhr.
Wenige Stunden nach Ende der Löscharbeiten stürzten sich die Medien auf Bautzen. Nicht nur die Brandstiftung stand im Mittelpunkt, sondern die Zuschauer: "Schaulustige bejubeln Brand in geplanter Asylunterkunft", war zu lesen.
Bürger hätten versucht, die Feuerwehr aufzuhalten. Von "massiven Behinderungen" war die Rede. "Der Mob tobt in Sachsen", stand am nächsten Tag in der "Zeit". Die Demokratie sei hier "im Niedergang".
Widerstand gegen Angela Merkel?
Wie immer postete die Feuerwehr den Einsatz auf Facebook, und wie immer wurden die Feuerwehrleute in den Kommentaren gefeiert. Gefeiert wurde diesmal aber auch das Feuer selbst und die Brandstifter.
Einige Kommentatoren bezeichneten die Vernichtung des Gebäudes als einen Akt des Widerstands gegen die Politik in Berlin und gegen Merkels "Wir schaffen das". Ein großer Teil der Kommentare zeigte offenen Hass. Hass auf Politiker und Hass auf Ausländer. Alle verfassungsfeindlichen Kommentare sind verschwunden, es waren ungefähr 25. Die Feuerwehr selbst löschte sie.
Heidenau, Clausnitz, Hoyerswerda, Bautzen. Ein weiteres braunes Nest in einem braunen Bundesland schien ausgemacht. Braun nicht nur am braunen Rand, sondern braun bis in die Mitte? Braun bis in die Feuerwehr hinein?
Drei Wochen später sitzen die Feuerwehrleute Markus Bergander, Paul Stübner und Jens Grubert nebeneinander an einem großen Holztisch im Rathaus von Bautzen. Sie haben ihre Paradeuniformen an, das Haar ist gescheitelt, die Gesichter sind konzentriert. Sie erzählen von ihrem Einsatz. Es soll in diesem Gespräch darum gehen, wie sie denken, wenn sie nicht Feuerwehrleute sind, sondern Bürger von Bautzen.
Sie sind vorsichtig, überlegen, bevor sie sprechen, ihre Sprache ist Amtsdeutsch. Neben den Feuerwehrleuten sitzt André Wucht, Öffentlichkeitsarbeiter der Stadt. Er sieht angestrengt aus, und er ist es auch. Seit dem Brand ist sein Job nicht mehr, was er davor war. Er war es gewohnt, gute Nachrichten zu verbreiten, nun muss er täglich schlechte Nachrichten verhindern. Doch es gelingt ihm nicht.
Bautzener applaudieren? Kinder rufen "Kanaken raus"? Polizei und Feuerwehr werden "massiv behindert"? "Brauner Mob", "rechtes Sachsen", "Hass in Bautzen" – das klinge alles so, als wären das viele, als wäre es die Mehrheit. "Die Wahrheit ist", sagt Wucht, "dass das nicht stimmt."
Er hat eine Kommission beauftragt, die untersuchen sollte, was in der Brandnacht wirklich geschah. Heraus kam: drei Betrunkene und 50 Schaulustige. Die Betrunkenen sind unter den Plastikbändern durchgekrabbelt. Zwei wurden festgenommen. Die 50 Bautzener hätten vor allem ihre Autos in Sicherheit bringen wollen, einige klatschen, weil es fast immer Leute gebe, die klatschten, wenn es irgendwo brennt.
"Massive Behinderungen?" "Beifall der Bautzener?" "Nein, nein, nein", sagt Wucht. "Die Presse!", sagt er. Die Presse sei wie elektrisiert von den "massiven Behinderungen". Seine Kommission hat herausgefunden, dass es die massiven Behinderungen nicht gab, und Grubert, Stübner und Bergander bestätigen es. Sie sind nicht behindert worden. "Die Presse!", sagt Wucht. Niemand interessiere sich für die Wahrheit.
Anfang März war der Bundespräsident da. Eine PR-Reise für Bürgerdialog, und Bautzen wurde ins Programm aufgenommen, um seinen Ruf aufzubessern. 150 Leute waren dabei. "Es lief wie geschmiert", sagt Wucht. Es wurde wunderbar diskutiert – alles nach bester demokratischer Manier. Dann, beim Spaziergang durch die Altstadt, standen plötzlich ein paar Rechtsradikale am Straßenrand und schrien und pfiffen. Es dauerte nicht mal eine Minute, dann schritt der Sicherheitsdienst ein. "Aber die Presse", sagt Wucht, die interessierte sich nicht für die 150 friedlichen Bautzener und auch nicht für die herrliche Diskussion.
Bergander sagt: "Wir waren noch nicht zurück in der Wache, da meldete eine Nachrichtenagentur schon: `Bundespräsident in Bautzen mit Hass empfangen`." Bergander sagt: "Das tut weh."
Alle waren da, von "Sächsischer Zeitung" bis "Spiegel". Fernsehteams von überall aus Russland, Frankreich, Polen. CNN war da. Al-Dschasira war da. André Wucht hat sich nicht geschont, der Bürgermeister hat sich nicht geschont. Der bat jeden Journalisten einzeln in sein Büro, tagelang Einzelpressekonferenzen im Halbstundentakt.
Böses Blut
Drei Betrunkene, 50 Schaulustige. André Wucht sagt, allmählich verstehe er, was mit dem Wort "Lügenpresse" gemeint sei.
Jetzt sitzt Wucht neben den drei Feuerwehrleuten im Rathaus. Vielleicht, weil er sie unterstützen will, vielleicht, weil er sie beschützen will. Die Frage war, wie gesagt, wie es sich eigentlich mit der Gesinnung der Feuerwehrleute in Bautzen verhält.
Brandmeister Paul Stübner, er war Führungsassistent beim Feuer im "Husarenhof" und löschte am Tag danach die Hasskommentare auf Facebook. Er ist 24 Jahre alt. Was er von Merkel hält? "Na ja, würde ich unter den Kriegszuständen in Syrien leben, würde ich ebenfalls versuchen, nach Deutschland zu kommen, um ein ungefährdetes Leben zu führen."
Oberbrandmeister Jens Grubert, 40 Jahre alt. Er leitete den Einsatz. "Jeder wird in Deutschland sozial aufgefangen, auch die Flüchtlinge, und das missfällt den sozial Schwachen und bringt böses Blut. Aber jetzt ist die Situation da, und wir müssen versuchen, miteinander Lösungen zu finden."
Sie löschen, ohne zu fragen
Brandoberinspektor Markus Bergander, 30 Jahre alt. Er ist der Chef der Bautzener Feuerwehr. "Was richtig ist, kann ich nicht entscheiden. Es ist zu komplex. Es wäre wichtig, denke ich, die Ursachen der Flüchtlingskrise zu beseitigen."
André Wucht sieht jetzt zufrieden aus. Die drei Feuerwehrleute haben, wie Wucht selbst, alles getan, um das Image der Stadt wiederherzustellen. Das Gespräch im Rathaus ist zu Ende. Nun liegt wieder alles in den Händen der Presse.
In der Wache, ohne André Wucht, haben die Feuerwehrleute das Image der Stadt vergessen. Sie tragen zwar noch ihre Paradeuniform, aber die Steifheit ist in Lockerheit übergegangen. Es wirkt, als hätten sie vergessen, dass die Person, der sie ihre neueste Löschtechnik vorführen, von der Presse ist. Dort steht das neue Hubfahrzeug. Hier hängen die Maschinen, mit denen Verunglückte aus ihren Autos geschnitten werden. Sie sind schwer. Da hinten ist der Sportraum und oben sind die Schlafräume.
Die Feuerwehr ist kein gewöhnlicher Arbeitsplatz. Hier kommen sich die Männer in 24-Stunden-Schichten so nah, wie sonst nur der eigenen Familie. Man hat keine Hemmungen, man spricht über alles, ohne Angst. Es gibt einen Dienstplan, es gibt Übungen, und es gibt Vertrauen und Zuverlässigkeit. Das ist die Grundlage der Arbeit der Feuerwehr.
Einige finden Merkel toll, andere nicht
Es gibt keine Zensur, keine Lügenpresse und keinen André Wucht. Die Männer nennen sich "Kameraden", was so etwas Ähnliches ist wie Freund. Bergander, Grubert und Stübner fühlen sich als Teil dieser Familie. In der Familie gibt es einige, die Merkel toll finden, und andere, die sie nicht leiden können. Es gibt Kameraden, welche die Flüchtlingspolitik richtig finden, andere finden sie falsch.
Würde in der Wache eine kleine Bundestagswahl stattfinden, wäre das Ergebnis wahrscheinlich nicht viel anders als das Ergebnis der Sonntagsfrage im ZDF. Es gibt links, Mitte und rechts. Die Mitte ist am stärksten. Es gibt auf der Wache manchmal Diskussionen, ab und zu Streit, wahrscheinlich nicht mehr als anderswo auch.
Wenn nachts die Sirene losgeht, springen sie auf und rennen los. Sie wissen nicht, was brennt und warum. Es kann ein Krankenhaus sein oder ein Flüchtlingsheim oder das Haus, in dem ihr Erzfeind wohnt, das ist ihnen egal. Sie rennen einfach los und löschen das Feuer.
Quelle : welt.de
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