Macron muss um absolute Mehrheit bangen

  19 Juni 2022    Gelesen: 460
  Macron muss um absolute Mehrheit bangen

Um seine Wiederwahl muss Frankreichs Präsident Macron im April zittern, doch die Hürde ist genommen. Heute geht es bei der Parlamentswahl um eine solide Mehrheit in der Nationalversammlung. Fällt diese zu knapp aus, kratzt dies an der Macht des Staatschefs.

Es geht um die Zukunft Frankreichs und die Herausforderungen sind historisch. Diese Botschaft zumindest verkündet Präsident Emmanuel Macron vor der Endrunde der Parlamentswahl am heutigen Sonntag und fordert von den Wählern ein Votum für eine solide Mehrheit seines Mitte-Lagers. Nach der ersten Runde schien noch nicht ausgemacht, dass der Urnengang wie üblich mit einer absoluten Mehrheit für das Präsidentenlager endet. Vor Chaos und Blockaden warnt der frisch wiedergewählte Macron, sollte es im Parlament nur für eine relative Mehrheit reichen und das neue Linksbündnis mit Gegenspieler Jean-Luc Mélenchon an Macht gewinnen.

Es sind Auftritte, bei denen der eloquente Staatsmann Macron in seinem Element ist, mit denen er sich den Franzosen kurz vor der Wahl präsentiert. Eine Analyse der europäischen Verteidigungslage bei der Eröffnung einer Messe für Sicherheitstechnik, dann ein Wahlappell an die Bevölkerung auf dem Rollfeld vor dem Abflug Richtung Ukraine. Beim lange erwarteten Kiew-Besuch, gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz, die Weichenstellung für eine Zukunft der Ukraine in der EU und wieder daheim der Besuch einer Hightech-Messe. Hier bekräftigt Macron seine Ambitionen für die "French Tech", die Start-up-Wirtschaft, die die Reindustrialisierung Frankreichs und das Schaffen neuer Jobs vorantreiben soll.

Mélenchon sammelt die Enttäuschten

Während der Präsident sich in weltumspannende Visionen und Zukunftspläne begibt, setzt Linkspopulist Mélenchon beim Hier und Jetzt der vielen krisengeplagten Menschen in Frankreich an. Der Spritpreis, steigende Kosten für Lebensmittel, der Mindestlohn, das Renteneintrittsalter, das Budget von Studenten - zu allem macht er klare und simple Versprechungen, grob übersetzt nach dem Motto, wählt mich, dann wird es euch und eurem Portemonnaie besser gehen. Chaos, so kontert Mélenchon, gehe vom Präsidenten selber aus. Als Volkstribun inszeniert sich der 70-Jährige und als Gegenpart zum Präsidenten, den Kritiker für einen arroganten Elitepolitiker mit mangelndem Interesse für die echten Nöte der Bevölkerung halten.

Schon bei der Präsidentschaftswahl, bei der Mélenchon als Drittplatzierter ausschied, hatte er viele Gegner und von Macron Enttäuschte hinter sich gesammelt. Im Anschluss einte er die zersplitterte Linke überraschend und in Rekordzeit zum neuen Linksbündnis und rief: "Wählt mich zum Premierminister." Ein Coup und Propagandastreich, der das Linksbündnis im ersten Wahlgang prozentual praktisch auf gleiches Niveau wie das Macron-Lager katapultierte.

Muss Macron Kompromisse suchen?

Trotz dieser Attacke von links gibt es kaum Zweifel, dass der Ende April für eine zweite Amtszeit wiedergewählte Liberale zumindest mit einer relativen Mehrheit weiterregieren kann. Dann aber wären Macron und seine Regierung gezwungen, Unterstützung anderer Lager zu suchen. Eine solche Politik mit Kompromissen und Koalitionen ist in der französischen Politik weniger gebräuchlich als in Deutschland. Eine Regierung nur mit relativer Mehrheit gab es zuletzt unter François Mitterrand zwischen 1988 und 1991.

Dreimal kam es in den vergangenen Jahrzehnten sogar vor, dass dem Präsidenten mangels Mehrheit im Parlament ein Premierminister aus gegnerischem Lager gegenüber saß. Dies ist die Situation, die Mélenchon anstrebt und die in Frankreich als Kohabitation bezeichnet wird. Die Umfragen geben bisher aber nicht her, dass es so weit kommt.

Und was bewegt die Franzosen im Anlauf zur Wahl? Überragendes Thema ist die Kaufkraft, die mit dem Ukraine-Krieg und der Inflation schwindet. Obenan steht auch der Zustand der Schulen und des Gesundheitswesens. In dem nur spärlich geführten Wahlkampf gab es Versprechen von mehr Sozialleistungen auf der einen und einer Belebung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt auf der anderen Seite. Knackpunkt ist die Rente, Macron will das Eintrittsalter auf 65 Jahre anheben, Mélenchon auf 60 Jahre senken. Dieser Streit aber wird wohl nicht nur im Parlament, sondern auch auf der Straße ausgetragen.

Quelle: ntv.de, Michael Evers, dpa


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