Auch Polens Armee ist auf Shoppingtour

  03 Juli 2022    Gelesen: 675
  Auch Polens Armee ist auf Shoppingtour

Mit seinem Verteidigungshaushalt kann Polen sich in der NATO sehen lassen. Doch die dringend notwendige Modernisierung der Streitkräfte verlief bis zum Krieg in der Ukraine eher schleppend. Nun ist Eiltempo angesagt, doch das hat seine Tücken.

Polen gilt innerhalb der NATO als ein Musterknabe, zumindest was die Verteidigungsausgaben angeht. Das Land an der Weichsel gehört zu den wenigen Staaten des Verteidigungsbündnisses, die bereits seit Jahren das Zwei-Prozent-Ziel erreichen, das sich das Bündnis selbst gesetzt hat. 2002 war erstmals beschlossen worden, dass die Mitgliedsländer zwei Prozent ihres BIP für Verteidigung ausgeben sollten. 2014, nach der Annexion der Krim und dem von Russland initiierten und unterstützten Krieg in der Ostukraine, wurde dieses Ziel sogar festgeschrieben. Eine Vorgabe, mit der sich die deutsche Politik bis zu der von Bundeskanzler Olaf Scholz erklärten "Zeitenwende" und den damit verbundenen 100-Milliarden-Euro-Sonderfond für die Bundeswehr lange schwertat. "Wir haben in Deutschland andere Sorgen als sinnlose Aufrüstung", sagte 2019 der SPD-Politiker Ralf Stegner, dem das Thema Aufrüstung auch noch heute Bauchschmerzen bereitet.

Aber auch wenn Polen im Gegensatz zu Deutschland seit Jahren das Zwei-Prozent-Ziel erreicht, bedeutet das nicht, dass die polnische Armee in einem besseren Zustand ist als die Bundeswehr. Ausgerechnet am 14. Februar, zehn Tage vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine, machten die polnischen Medien einen Bericht publik, der sich mit dem Zustand des polnischen Militärs befasst. Verfasst von einem ehemaligen ranghohen Mitarbeiter des polnischen Verteidigungsministeriums und adressiert an die Spitzen der in Polen regierenden PiS. "Die Kampf- und Mobilisierungsbereitschaft der polnischen Streitkräfte ist nicht vorhanden. Unsere Streitkräfte sind nicht mal in der Lage, eine kleine Verteidigungsoperation durchzuführen", heißt es in dem Papier, das auf offen zugänglichen und geheimen Kontrollergebnissen beruhen soll, welche die Höchste Kontrollkammer, die in Polen die Verwendung öffentlicher Gelder prüft, zwischen 2012 und 2020 durchgeführt hat.

NATO-Land mit sowjetischer Ausrüstung

Polnische Militärexperten wie Marek Świerczyński vom unabhängigen Analysezentrum Polityka Insight tun sich schwer mit solch generellen Aussagen zum Zustand der polnischen Armee. "Man muss das Thema differenzierter betrachten", sagt Świerczyński ntv.de. "Mit ihrer Truppenstärke gehört die polnische Armee zu den Größten innerhalb der NATO." Laut polnischem Verteidigungsministerium hat Polen in diesem Jahr 124.000 Soldaten, davon 115.000 Berufssoldaten. Hinzukommen 8000 Anwärter, 1000 Reservisten und 35.000 Angehörigen der polnischen Territorialkräfte. "Die Ausrüstung stammt zum Großteil aber noch aus sowjetischer Produktion", schränkt Świerczyński ein. Zudem empfiehlt der Experte auch einen genauen Blick auf die einzelnen Streitkräfte. "Die polnische Marine wurde auf ein paar Schiffe reduziert. Sie hat nicht mal ein U-Boot. Die Luftstreitkräfte sind wiederum klein, doch durch die 48 F-16-Jets, die Polen seit 2006 angeschafft hat, durchaus effektiv."

Der Zustand der polnischen Armee zeigt, dass das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels nicht gleichbedeutend ist mit einem modernen Zustand der Streitkräfte. Im vergangenen Jahr gab Polen 2,2 Prozent seines BIP für Verteidigung aus, doch in Zahlen war dies gerade mal ein Etat von knapp 12 Milliarden Euro. Es ist eine Summe, mit der sich keine großen Sprünge machen lassen. Daher hat die polnische Regierung 2017 einen Modernisierungsplan vorgelegt, der im Dezember letzten Jahres modifiziert wurde und vorsah, dass der Wehretat bis 2030 auf 2,5 Prozent des BIP erhöht wird und die Streitkräfte bis 2035 für rund 115 Milliarden Euro modernisiert werden.

Erhöhung der Verteidigungsbudgets

Infolge des Kriegs in der Ukraine ist der modifizierte Modernisierungsplan im Juni noch einmal aktualisiert worden. So soll der Verteidigungsetat auf 3 Prozent des BIP erhöht werden und somit das Zwei-Prozent-Ziel der NATO deutlich übertreffen. Und dies nicht bis 2030, sondern bereits im nächsten Jahr. Dies bedeutet, dass bis Ende 2023 dem polnischen Militär über 15 Milliarden Euro zur Verfügung stehen werden, von denen der Großteil in die Modernisierung der Streitkräfte investiert werden sollen, wie Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak Ende Juni erklärte.

Einige dieser Modernisierungsprojekte wurden schon vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine umgesetzt. Dazu gehört beispielsweise ein Deal über 32 F-35-Jets, die im Rahmen der "Zeitenwende" auch für die Bundeswehr angeschafft werden sollen. Den Vertrag hat Polen schon im Januar 2020 für 4,2 Milliarden Euro abgeschlossen. Ebenfalls vor dem Krieg fädelte Polen den Kauf von 250 amerikanischen Abrams-Panzern im Wert von fast 5 Milliarden Euro ein, der im April dieses Jahres unterschrieben wurde. Wie stolz man auf die Neuanschaffungen ist, zeigt sich auf der Internetseite der polnischen Armee. Dort rühmt sich diese nicht nur mit den bereits unterschriebenen Aufträgen, sondern auch mit den geplanten Deals.

Verschleppte Anschaffungen

Die große Frage ist nur, ob die Modernisierung weniger chaotisch ablaufen wird als in der jüngeren Vergangenheit. Bestes Beispiel dafür ist die über Jahre stockende Anschaffung neuer Hubschrauber, obwohl diese eigentlich schon 2015 vereinbart war. In den letzten Monaten ihrer Amtszeit einigte sich die damals regierende Koalition aus Bürgerplattform und Volkspartei mit Airbus Helicopters über den Kauf von 50 Caracal-Hubschraubern für 3 Milliarden Euro. Ein Deal, von dem Polen auch selbst profitiert hätte, da Airbus Helicopters in Lodz einen Standort errichten wollte. 2016 kündigte die PiS-Regierung den Deal jedoch unter fadenscheinigen Gründen und setzte stattdessen auf amerikanische Blackhawks. Es war eine Entscheidung, die nicht nur zu diplomatischen Spannungen mit Frankreich führte und Polen auch fast 18 Millionen Euro kostete, auf die sich die polnische Regierung Anfang dieses Jahres mit Airbus als Entschädigung einigte. "Insgesamt kamen nur acht Blackhawk-Hubschrauber nach Polen", berichtet Świerczyński. Und dabei wird wohl auch vorerst bleiben. Am Freitag unterzeichnete das Verteidigungsministerium einen Vertrag mit dem italienischen Konzern Leonardo über den Kauf von 32 AW149-Hubschraubern für die Landetruppen im Wert von fast 2 Milliarden Euro, von denen die ersten Exemplare bereits im nächsten Jahr geliefert werden sollen. Bereits 2019 kaufte das Verteidigungsministerium von Leonardo Hubschrauber für die Marine.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch die aktuelle Modernisierung manchmal chaotisch ablaufen wird, auch wenn die in diesen Wochen verkündeten Deals Eindruck machen. "Das Geld ist jetzt da. Da werden Projekte realisiert, die lange in der Schublade lagen, oder es werden Anschaffungen gemacht, die nicht unbedingt notwendig waren, aber halt auf dem Markt erhältlich", sagt Marek Świerczyński. Manchmal stellt sich auch die Frage, ob die Rüstungsindustrie diese erfüllen kann. Im Juni kündigte Verteidigungsminister Błaszczak, unter Beteiligung der einheimischen Industrie, den Kauf von 500 amerikanischen Himars-Raketenwerfern an. "Doch so viele Raketenwerfer hat Lockheed Martin in den letzten Jahren gar nicht produziert", mahnt der Experte.

Polens vielfältiger Panzerfuhrpark

Dies ist nicht das einzige Problem bei der dringenden Modernisierung der polnischen Armee. Das polnische Verteidigungsministerium strebt eine Zusammenarbeit des polnischen Rüstungskonzerns PGZ mit dem koreanischen Hyundai Rotem an, die auch den Bau der koreanischen K2-Panzer mit sich bringen würde. Diese sollen PT-91 Twardy ersetzen, eine polnische Fassung der sowjetischen T-72. Diesbezüglich ist zwar noch nichts unterschrieben, doch die Verhandlungen laufen. Sollte es zu dieser Zusammenarbeit kommen, würde die polnische Armee in ihren Garagen mit den Abrams und den derzeit modernisierten Leopards drei unterschiedliche Panzermodelle haben. "Je unterschiedlicher die Panzerflotte, desto schwieriger ist die Logistik", mahnt Świerczyński und prophezeit eine Lösung, die vor allem in Berlin einigen nicht gefallen dürfte. "Langfristig läuft es darauf hinaus, dass sich die polnische Armee von den Leopard-Panzern verabschieden und zum Beispiel der Ukraine abgeben wird."

Und noch vor einem weiteren Problem warnen Experten. So imposant die Neuanschaffungen auch sind: Wer soll beispielsweise die alten F-16-Jets fliegen, deren Piloten wohl auf die neuen F-35 umsteigen werden? Es fehlt auch schlicht das Personal, und die demographische Entwicklung Polens, deren Gesellschaft altert, macht das Problem nicht geringer.

Vor was sich die polnische Regierung im Gegensatz zur deutschen Bundesregierung nicht sorgen muss, ist Kritik an den steigenden Verteidigungsausgaben. Sowohl die Opposition als auch die Bevölkerung hält diese für notwendig. Dafür ist nicht nur der russische Einmarsch in die Ukraine verantwortlich. In Polen genießt die Armee breite Akzeptanz und ein hohes Ansehen.

Quelle: ntv.de


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