So gefährlich sind in der Stadt gesammelte Kräuter

  06 April 2016    Gelesen: 676
So gefährlich sind in der Stadt gesammelte Kräuter
Selbst geernteter Bärlauch oder Rauke aus dem Stadtpark sind bei Großstädtern sehr beliebt. Doch wo die Kräuter wachsen, machen Hunde ihr Geschäft. Und früher standen in vielen Hinterhöfen Fabriken.
Lebensmittel einfach im Supermarkt zu kaufen, das ist längst nicht nur Vollblutökos zu wenig. Selbst ernten liegt im Trend – ob auf Bauernhöfen am Stadtrand, im eigenen Garten oder am Straßenrand spielt häufig keine Rolle. Viele Kräuter sprießen als Unkraut überall, wo Erde herumliegt. Aus Parks rupfen ganze Familien frisches Grün: Bärlauch, Löwenzahn, Sauerampfer, Rauke. Daraus lassen sich angesagte Gerichte zaubern. Bärlauchbrot mit Gänseblümchenquark, Löwenzahnbutter oder Sauerampferpesto. In der Grillsaison kommt es gut an, solche selbst gemachten Dips auf den Tisch zu stellen.

Aber ist es wirklich gesund, auf einer Wiese zu sammeln, über die Hunde und Stadtfüchse streifen, die von Autoabgasen überströmt wird oder die einige Jahre zuvor vielleicht noch ein Industriegelände war?

Christina Strube, Parasitologin an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, würde eher davon absehen, die Stadt nach Essbarem abzusuchen. "Mir ist das zu unhygienisch mit all den Abgasen und Hunden oder Menschen, die da draufgepullert haben können", sagt sie. Und nicht nur das: Umweltexperten warnen auch vor Schadstoffen in den Pflanzen. Ganz verzichten muss man auf das Sammeln deshalb aber nicht.

Man sollte die Orte, an denen man sammelt, aber mit Bedacht wählen, sagt Andie Arndt, Sprecherin der Initiative Mundraub. Mit dem vom Forschungsministerium unterstützten Projekt setzen sich die Initiatoren für mehr Biodiversität und nachhaltigen Konsum ein. Auf der Internetseite www.mundraub.org sind Orte verzeichnet, an denen man Kräuter, Obst oder Gemüse ernten kann.

Der Fuchs bringt einen gefährlichen Parasiten mit

Beliebt geworden ist demnach in den vergangenen Jahren zum Beispiel wilder Bärlauch, der geschmacklich Knoblauch ähnelt. Ein Eldorado für großstädtische Sammler muss dafür München sein: Allein im Stadtgebiet der bayerischen Landeshauptstadt haben Sammler 40 Fundorte auf der digitalen Karte der Initiative Mundraub eingetragen.

Die Ernte lohnt sich vor allem im Englischen Garten, wo auch Hundehalter gern spazieren gehen. In Köln werden Sammler in der Nähe des Kalker Friedhofs fündig. Direkt daneben liegt das Autobahnkreuz Köln-Ost, vielen gut bekannt aus den Staunachrichten.

In Berlin wächst Bärlauch den gesammelten Daten nach bevorzugt im Plänterwald und am sowjetischen Ehrendenkmal. Etliche Füchse streifen dort herum – wie inzwischen überall in der Metropole. Selbst auf dem viel besuchten Gelände des Technikmuseums mitten in der Stadt hat eine Füchsin im vergangenen Jahr Junge aufgezogen.

Die Scheu vorm Menschen ist beim Fuchs auch in vielen anderen Städten geschwunden. Mit ihm rückt der gefährlichste Wurmparasit hierzulande wieder näher: der Fuchsbandwurm. Eine Infektion verlief beim Menschen vor einigen Jahrzehnten fast immer tödlich, noch immer lassen sich schwere Organschäden oft nicht verhindern.

Würmer gelangen auch auf die Pflanzen

Eine Infektionsgefahr über Kräuter sei bisher aber nicht schlüssig nachgewiesen, sagt der Parasitologe Klaus Brehm von der Universität Würzburg. "Gäbe es sie, hätten wir in Deutschland wohl Tausende Neuinfektionen jährlich." Es seien aber lediglich um die 50 bis 60 Fälle.

Allerdings steigt – als Folge des erfolgreichen Kampfes gegen die Tollwut – bundesweit seit Jahren nicht nur die Zahl der Füchse. Ein wachsender Anteil der Tiere ist nach ersten Analysen des Friedrich-Loeffler-Instituts auf der Insel Riems mit dem Fuchsbandwurm infiziert, auch eine Ausweitung der betroffenen Gebiete wird vermutet.

Vergrößert wird das Risiko dadurch, dass auch Hunde sich anstecken und mit dem Kot stetig Hunderte reife Eier abgeben können. Allein in Berlin sind mehr als 100.000 der Vierbeiner angemeldet, etliche unangemeldete kommen hinzu. Und nicht jeder Hund bekommt die empfohlenen Schutzimpfungen und regelmäßige Wurmkuren. Rund 50 Tonnen Hundekot fallen in der Hauptstadt nach Schätzungen auf Wiesen, Gehwege und Baumumrandungen, jeden Tag.

Auch Salmonellen können darin stecken und die Eier oder Larven von Spul-, Haken- und Bandwürmern. Sie können Augen-, Leber-, Lungen- und Gehirnerkrankungen auslösen. "Zudem können Giardien an den Blättern haften", erklärt Strube. Die mikroskopisch kleinen Dünndarmparasiten sind bei Hunden weit verbreitet, treten aber auch bei Katzen auf. Gelangen sie in den Menschen, drohen Durchfall und Gewichtsverlust.

"Auch Kontaminationen mit Kryptosporidien sind möglich", ergänzt Strube. Diese mit den Erregern von Malaria und Toxoplasmose verwandten Parasiten können bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem zu chronischem Durchfall führen.

Vorsichtig sollten Schwangere sein

Meist weniger präsent, aber nicht minder zahlreich sind Katzen in den Städten. Viele von ihnen sind Streuner, die nie entwurmt oder geimpft werden. Über Katzenkot könne zum Beispiel Toxoplasmose übertragen werden, sagt Brehm.

Gefährlich kann der Parasit vor allem für Schwangere sein: Eine Toxoplasmose kann beim Fötus schwere Fehlbildungen verursachen oder zur Fehlgeburt führen. Weit größer als beim Verzehr von Wildkräutern sei das Risiko einer Ansteckung aber beim Essen von rohem Fleisch, sagt der Parasitologe.

Die Gefahr, sich über Wildkräuter mit solchen Krankheiten anzustecken, sei insgesamt überschaubar. Vor allem, wenn man alles gut wäscht. Wer sicher gehen will, kann sie dann auch noch Erhitzen. Das tötet Keime ab, allerdings auch die enthaltenen Vitamine und Nährstoffe.

Die Gefahr aus den Böden

Gegen ein Problem allerdings helfen diese Maßnahmen ohnehin wenig: die Schadstoffe in den Pflanzen. "Schwermetalle halten sich jahrzehntelang, man müsste den Boden abtragen, um sie zu beseitigen", erklärt Ina Säumel, Expertin für Stadtökologie an der TU Berlin.

In den Kräutern reichern sich Rückstände aus der Industrie und das Blei aus Benzin an. Erst seit den 80er-Jahren gibt es bleifreies Benzin. Auch Öl und Farbreste aus früheren Hinterhoffabriken sind nachweisbar. Und in der Nähe viel befahrener Straßen lagern sich Reifenabrieb und Teerstaub in den Pflanzen ab. Die isst man dann mit.

Analysen der TU Berlin zur Belastung von Stadtobst und -gemüse ergaben, dass mehr als die Hälfte der Stadtgemüse aus Gärten in Berliner Innenstadtlagen den EU-Grenzwert für Blei in Lebensmitteln überschreiten. Vor allem dann, wenn die nächste große Straße nur wenige Meter entfernt liegt.

Blattgemüse und Kräuter reichern oft höhere Mengen an Schwermetallen an als Wurzelgemüse und Hülsenfrüchte, erklärt Säumel. "Das sind meist kleine, zierliche Pflänzchen, bei denen leichter etwas durch die Oberfläche der Blätter gelangt." Etwa, wenn Regen prassele und Wasser vom Boden nach oben spritze. Ein Problem sei bei Kräutern auch, dass sie sich weniger gut abschrubben ließen.

Genau schauen, wo man sammelt

Säumel rät, sich mit der Geschichte der Fläche auseinanderzusetzen, auf der man sammeln möchte. "Was jetzt ein hübscher Park ist, kann wenige Jahre zuvor noch ein Industriegelände gewesen sein."

Bei allen Problemen und möglichen Gefahren wirbt Ökologin Säumel für einen ganzheitlichen Blick auf die Dinge und ist keineswegs dafür, ganz vom Sammeln und Gärtnern in der Stadt abzusehen. "Die Probleme sind eine Konsequenz unseres eigenen Handelns", sagt sie. "Ich halte es prinzipiell für besser, sich damit auseinanderzusetzen."

Schadstoffärmere Erde oder die Kräuter von weit her heranzukarren, sei aus ihrer Sicht keine gute Alternative. "Ein Stück weit sollten wir die Suppe auch auslöffeln, die wir uns selbst eingebrockt haben."

Quelle : welt.de

Tags:


Newsticker