Ihre Winzigkeit stellt das menschliche Vorstellungsvermögen auf die Probe: Neutrinos sind elektrisch neutrale Teilchen, die so extrem leicht und klein sind, dass man sie auch Geisterteilchen nennt. Sie werden unter anderem bei Kernfusionen in Sternen freigesetzt, treten kaum mit Materie in Wechselwirkung und rasen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit durchs All.
Im Mittel treffen in jeder Sekunde einige zehn Milliarden Neutrinos auf jeden Quadratzentimeter der Erdoberfläche. Sie können den gesamten Erdball durchqueren, ohne eine einzige Reaktion auszulösen. Das erschwert es ungemein, sie überhaupt aufzuspüren - und noch mehr, ihre Masse zu bestimmen.
Eine Million Mal leichter als Elektronen
Nun hat sich ein internationales Forschungsteam unter deutscher Federführung der Antwort auf die Frage weiter angenähert, wie viel diese Teilchen wiegen: Demnach besitzt das Neutrino mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Masse, die geringer ist als 0,45 Elektronenvolt (eV). Damit ist es mindestens eine Million Mal leichter als Elektronen, die leichtesten geladenen Elementarteilchen. Das berichtet das Team um Aleksei Lokhov vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Christoph Wiesinger vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik in der Fachzeitschrift "Science".
Die mehr als 150 Forschenden aus sieben Ländern ermittelten diese maximale Masse des Teilchens mithilfe des Karlsruhe-Tritium-Neutrino-Experiments, kurz "Katrin": In dieser 70 Meter langen Anlage wird im Vakuum die Energieverteilung beim sogenannten Beta-Zerfall von Tritium gemessen - einem instabilen Wasserstoff-Isotop. Isotope sind Varianten eines chemischen Elements, die sich in ihrer Masse unterscheiden, weil sie in ihrem Atomkern eine unterschiedliche Zahl Neutronen besitzen.
Bei dem Beta-Zerfall werden jeweils ein Elektron und ein Neutrino freigesetzt. Welche Energie beide zusammen haben müssen, ist bekannt. Wird nun die Energie der Elektronen extrem präzise bestimmt, erlaubt das Rückschlüsse auf die Energie der Neutrinos - und damit auch auf die maximale Masse dieser Teilchen.
Genaueste Waage der Welt
"Katrin" wurde 2019 in Betrieb genommen. Die Forschungsgruppe spricht von der genauesten Waage der Welt. Allerdings muss bei den Versuchen jeglicher Einfluss auf die Neutrino-Masse detailliert untersucht werden, um störende Effekte auf das Resultat auszuschließen - etwa kosmische Strahlung oder das radioaktive Gas Radon, das in Spuren in der Umgebungsluft vorhanden ist.
Im Vergleich zu den letzten "Katrin"-Ergebnissen aus dem Jahr 2022 wurde die Obergrenze für die Neutrino-Masse nun fast um den Faktor zwei gesenkt. Weitere Messungen sollen noch bis Ende 2025 andauern - und noch präzisere Daten liefern. Das nun vorgestellte Ergebnis sei bereits die dritte Verbesserung der Neutrino-Masse durch das "Katrin"-Experiment, schreibt Loredana Gastaldo vom Kirchhoff-Institut für Physik in Heidelberg in einem Kommentar, ebenfalls in "Science".
Quelle: ntv.de, Stefan Parsch, dpa
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