“Niemand will hier Deutsche sehen“

  07 April 2016    Gelesen: 850
“Niemand will hier Deutsche sehen“
Nach dem 2. Weltkrieg war der Hass in Dänemark auf die deutschen Besatzer sehr groß. Martin Zandvliets Film "Unter dem Sand" erinnert daran, wie sich die Dänen an deutschen Kriegsgefangenen rächten.
Der Zweite Weltkrieg ist auserzählt? Von wegen! Noch immer gibt es viele Geschichten, die auf ihre Darstellung warten. Vor allem, was die sogenannten Nebenschauplätze des Zivilisationsbruchs, der zweiten großen Mordbrennerei des Zwanzigsten Jahrhunderts angeht. Da gibt es zum Beispiel Dänemark.

Das kleine Nachbarland im Norden war von 1940 bis 1945 in der Hand der deutschen Wehrmacht. Es wurde zwar besser behandelt als die meisten anderen besetzten Länder. Trotzdem fühlten sich die Dänen natürlich gedemütigt und drangsaliert. Und noch etwas anderes kam hinzu: Die Erinnerung an die verheerende Niederlage im Krieg von 1864.

Es handelte sich dabei um den ersten der deutschen Einigungskriege, mit denen Bismarck die Vormacht Preußens in einem künftigen Deutschen Reich zu zementieren hoffte. Das gelang. Der Aderlass für das unerlegene Dänemark war erheblich.

``Dänemark ist nicht euer Land"

Damals entstand ein Deutschenhass in Dänemark, den Urlauber noch mancherlei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweite Weltkriegs zu spüren bekamen. Ja, man konnte im Grunde bis zur Wiedervereinigung manchmal den Eindruck gewinnen, dass man als Deutscher nirgendwo im europäischen Ausland (abgesehen von den Niederlanden) so wenig gern gesehen war wie im südlichsten der skandinavischen Länder, mit dem es doch vor allem in der Welt der Kultur, speziell der Literatur, der Architektur und des Designs, gleichzeitig so intensive Verbindungen gab, immer gegeben hat.



So ist es nicht von ungefähr der Satz "Niemand will hier Deutsche sehen", mit dem man als Zuschauer überfallen wird, wenn er, einem Prolog oder Motto gleich, zu Beginn des Films "Unter dem Sand – das Versprechen der Freiheit" fällt. Ein Mann spricht ihn, im üblichen, leicht lispelnden Singsang des dänischen Akzents, aber mit so wutverzerrtem, hasserfülltem Gesicht, dass man schon nicht mehr überrascht ist, wenn er alsbald seine Einstellung auch noch handgreiflich durch äußerste Brutalität beglaubigt.

Der Feldwebel Carl Leopold Rasmussen (abgründig unnahbar gespielt von Roland Møller) zieht aus der Kolonne deutscher Kriegsgefangener, die im Mai 1945 an ihm vorüberzieht, umstandslos einen noch jugendlichen Soldaten heraus. Der hält ein rot-weißes Tuch in der Hand, die dänische Flagge also.

"Dänemark ist nicht euer Land", schreit der Feldwebel ihn an und wuchtet immer wieder seine Faust mitten ins Gesicht des jungen Mannes, bis der blutüberströmt zusammenbricht und zu Boden stürzt. Und die Karawane zieht weiter ...

Da weiß man gleich, woran man ist. Und die eigentliche Handlung dieses Kriegsfilms, der in mancherlei Hinsicht an Bernhard Wickis Kindersoldaten-Leinwandepos "Die Brücke" von 1959 erinnert, kann kommen.

Systematische Gräuel gegen die Deutschen

Der Film des jungen dänischen Regisseurs Martin Zandvliet handelt nämlich von noch schlimmeren Gräueln. Es sind solche, die nicht im Affekt eines einzelnen, sondern ganz systematisch von der dänischen Regierung im Verein mit den englischen Siegern ersonnen wurde.

Es geht um die – kriegsrechtswidrige – Zwangsverpflichtung deutscher Kriegsgefangener, jene 45.000 Minen zu entschärfen, die die Deutschen an der Westküste des Landes gelegt hatten, um eine vermutete Invasion der Engländer über die Nordsee zu erschweren.

Die vierzehn Jungen (alle unter 20 Jahre alt), von denen der Film auf so bewegende Weise und mit einer schier ins Unerträgliche gesteigerten Spannung erzählt, müssen die Minen – und das ist historisch verbürgt; Tausende ereilte dieses Schicksal – mit den bloßen Händen räumen. Aber was heißt in diesem Zusammenhang "räumen"?

Man sieht die Jungs, wie sie im Sand der Dünen, Zentimeter für Zentimeter, den Boden abtasten, ohne technische Hilfsmittel. Wie sie mit zittrigen Fingern die Zünder aus dem Sprengkörper schrauben. Unter der sengenden Sonne des Sommers 1945.

Wird einer krank, erbricht er sich gar auf eine der Tellerminen, bedeutet das den sicheren Tod: Sein Körper fliegt auseinander, alle Kameraden sehen es. Keiner kann helfen. Mehrere Jungen sterben so im Lauf des Films.

Zum körperlichen Todesrisiko gesellt sich die unfassbare psychische Belastung der jungen Männer, die schon sowieso völlig demoralisiert sind, weil sie als sogenanntes letztes Aufgebot in der Agonie des Dritten Reiches noch in die Kampfhandlungen hineingezogen worden waren, überwiegend als halbe Kinder. Gleich zu Beginn sieht man sie apathisch, aber mit den Tränen kämpfend, auf einem Lastwagen durch die Gegend fahren.

Auch später erfahren wir nicht sehr viel über sie. Wenn der Regisseur sie reden lässt, dann unterhalten sie sich über das, was sie zu tun gedenken, wenn sie wieder zu Hause sind, falls sie jemals wieder dorthin gelangen sollten. Was sie essen und mit ihren Freundinnen anstellen werden. Was sie beruflich tun wollen – Deutschland als Maurer wieder aufbauen, zum Beispiel.

Ansonsten sind sie vollauf damit beschäftigt, sich auf ihre tödliche Aufgabe zu konzentrieren und innerlich wie äußerlich die oft unglaublich brutalen Schikanen zu verarbeiten, die der bewusste Feldwebel, aber auch dessen Vorgesetzte und die englischen Militärs sich in lupenreinem Sadismus immer mal wieder für sie ausdenken. Der Film konzentriert sich ganz auf diese Täter-Opfer-Choreografie mit anders verteilten Rollen, als wir es gewohnt sind.

Begleitend zu den ersten Vorführungen von "Unter dem Sand" hat Zandfliet gesagt: "Ich habe mich immer gefragt, warum jede Nation und insbesondere Dänemark, wo ich lebe, immer Filme darüber macht, wie gut wir doch im Zweiten Weltkrieg alle waren. Wie sehr wir den Juden geholfen haben, nach Schweden zu fliehen, wie wir den Alliierten geholfen haben." Er hingegen wolle einmal zeigen, wie die Menschlichkeit in jener grauenhaften Zeit überall und also auch in seinem eigenen Land, auf der Strecke blieb.

Das ist mutig und verdienstvoll. Noch mehr gereicht es dem Film allerdings zur Ehre, dass er nicht nur die destruktive Seite dieses Nachkriegs zeigt. Seine Hauptfigur, der Feldwebel, darf durch die Nähe zu den geschundenen Knaben so etwas wie eine Läuterung erfahren. Ob es nun die tägliche Arbeit ist, bei welcher der einsame Wolf gar nicht anders kann, als eine gewisse Zuneigung zu den ihm Anvertrauten entwickeln, ob es sich um die Solidarität von Underdogs handelt, denn auch dieser gestandene Mann steht unter gewaltigem Druck seiner rachedurstigen Vorgesetzten: Er arbeitet sich langsam empor aus der Verrohung.

Am Ende hält er sogar sein Versprechen und lässt die wenigen überlebenden Minensucher in die Freiheit, will sagen Heimat ziehen – gegen den ausdrücklichen Befehl der hohen Militärs, die sie für ein neues Himmelfahrtskommando vorgesehen hatten. Nur im militärischen Ungehorsam liegt Menschlichkeit – das ist die Quintessenz dieses eindrucksvollen Kriegsfilms. Und sie gilt für Deutsche wie für Dänen. Sie gilt letztlich für alle kriegerischen Auseinandersetzungen. Man kann sie gerade in unseren Zeiten nicht oft genug aussprechen und künstlerisch umsetzen.

Quelle : welt.de

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