Russlands Krieg ist auch fürs Klima verheerend

  23 November 2022    Gelesen: 728
  Russlands Krieg ist auch fürs Klima verheerend

Putins Überfall auf die Ukraine sorgt in erster Linie für gigantisches menschliches Leid. Aber auch die Umwelt wird in Mitleidenschaft gezogen: Schon jetzt wurden Waldflächen in der Größe Hessens zerstört. Außerdem rüstet die Welt auf - mit gefährlichen Folgen für das Klima.

Ganze Panzerkolonnen russischer Truppen rollen durch den Donbass. Sie schießen auf Dörfer wie Wodjane oder Krasnohoriwka und legen Städte und Wälder in Schutt und Asche. Währenddessen bombardieren russische Kampfflugzeuge, Drohnen und Marschflugkörper die Energieversorgung im ganzen Land - immer wieder brennen Öldepots wie zuletzt in Cherson. So leben zeitweise Millionen Menschen ohne Strom und Gas. 200.000 Soldaten beider Kriegsparteien kamen laut US-Angaben bei den Kämpfen in der Ukraine bereits ums Leben, tausende Zivilisten starben oder wurden verletzt. Russlands Krieg bringt in erster Linie gigantisches menschliches Leid mit sich. Ganz nebenbei gießt Moskau mit seiner Invasion jedoch auch Öl ins Feuer einer weiteren - globalen - Krise.

Denn kaum etwas ist schädlicher für das Klima als Krieg und Militär. Während der besagte russische T72-Panzer 100 Kilometer zurücklegt, verbraucht er nach Angaben des deutschen Instituts für Wirtschaft (IW) 250 Liter Kraftstoff - "auf befestigten Straßen, im Gelände deutlich mehr". Das macht jedoch nur einen Bruchteil der durch den Krieg insgesamt verursachten Emissionen aus. "Auch das Kampfgeschehen selbst, beispielsweise der permanente Beschuss durch Artillerie oder mit Marschflugkörpern setzt massive Emissionen frei", erklärt Anselm Vogler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg im Gespräch mit ntv.de. Hinzu kommen die Emissionen der russischen Logistik, sagt Vogler. So sorgen nicht nur Panzer, Kriegsschiffe und Kampfjets für einen enormen CO2-Ausstoß, "sondern auch der Transport der vielen Tonnen an Munition, Betriebsstoff und Versorgungsgütern".

Diese durch den Krieg verursachten Klimaschäden wurden erstmals gemessen. Im Auftrag der ukrainischen Regierung kommt die "Initiative on GHG Account of War" auf 100 Millionen Tonnen CO2, die durch Russlands Invasion in den ersten sieben Monaten verursacht worden sind. Zum Vergleich: "Das entspricht den gesamten Treibhausgasemissionen der Niederlande im gleichen Zeitraum." Knapp die Hälfte entfällt dabei auf den Wiederaufbau der Infrastruktur - die Zementproduktion ist besonders kohlenstoffstark. Zudem hat die Initiative die Fluchtbewegungen der rund 20 Millionen Menschen, die ihr Zuhause verlassen mussten sowie die Lecks an den Gasleitungen Nord Stream 1 und 2 mit einberechnet. Durch den Sabotageakt gelangten hunderttausende Tonnen Methan, das gefährlichste aller Treibhausgase, in die Atmosphäre. Zwar ist noch nicht geklärt, wer dafür verantwortlich ist. Ein Zusammenhang zu dem Krieg in der Ukraine lässt sich jedoch kaum von der Hand weisen.

Militär macht 5,5 Prozent der globalen Emissionen aus

Es sind jedoch nicht nur die direkten Auswirkungen des Kampfgeschehens. "Der Krieg erschwert auch die Rahmenbedingungen für eine wirklich globale Kooperation bei den Klimazielen", erklärt Vogler. So erhöhe er zwar die Ambitionen in Europa, so schnell wie möglich auf erneuerbare Energien umzusteigen. "Allerdings zwingt er Europa eben auch, Erdgas durch noch klimaschädlichere Energien wie Kohle zu ersetzen."

Und dann ist da noch die globale Aufrüstung. Der Westen versorgt die Ukraine mit Waffen, Russland kündigte bereits an, seinen Verteidigungsetat um 20 Prozent zu erhöhen, die NATO will ihre schnellen Eingreiftruppen aufstocken und die Bundeswehr erhält 100 Milliarden Euro für eine bessere Ausstattung. Dies dürfte den globalen CO2-Ausstoß deutlich erhöhen - denn die Klimabilanz des weltweiten Militärs ist schon jetzt erschreckend.

So sind die globalen Militäraktivitäten für 5,5 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich, wie eine neue Studie der britischen Wissenschaftsorganisation Scientists for Global Responsibility (SGR) und der Organisation "Conflict and Environment Observatory" (CEOBS) herausfand. Anders ausgedrückt: Wären die Streitkräfte der Welt ein Land, hätte es den viertgrößten CO2-Fußabdruck - größer als der von Russland. Forscher gehen in der Fachzeitschrift "Nature" davon aus, dass der tatsächliche Ausstoß des globalen Militärs sogar dreimal so hoch sein könnte. Denn die Studie hat einen Haken: Sie basiert auf Schätzungen. Niemand weiß genau, wie hoch die weltweiten militärischen Emissionen sind. Die nationalen Streitkräfte müssen keine Rechenschaft darüber ablegen, von der Berichterstattungspflicht des Pariser Klimaschutzabkommens sind sie explizit ausgenommen. Darum bemüht hatten sich militärische Supermächte wie die USA - aus Gründen der nationalen Sicherheit.

Sicherheit funktioniert nicht ohne Klimaschutz

Einige westliche Länder legen dennoch Zahlen vor. Daraus berechnete die Politikwissenschaftlerin Neta Crawford von der Universität Oxford, dass das Pentagon der weltweit größte staatliche Emittent von Treibhausgasen ist. Die Emissionen der US-Streitkräfte machen drei Viertel des staatlichen CO2-Ausstoßes aus. Allein der Treibstoffverbrauch für US-Militärflugzeuge verursache jährliche Emissionen, "die denen von sechs Millionen US-Autos entsprechen", bilanzieren die Forscher in "Nature". Im Gegensatz dazu ist die von der Bundeswehr vorgelegte Klimabilanz verschwindend gering - allerdings ohne die Auslandseinsätze mitzuzählen. Dass die Klimabilanz andernfalls viel höher ausfallen dürfte, zeigt ein Beispiel: Während ihres Einsatzes in Afghanistan verbrannte die Bundeswehr 55.000 Liter Diesel - am Tag. Darüber berichtete der Ukraine-Podcast von NDR Info.

Der Treibhausgas-Ausstoß der Streitkräfte ist immens. Streitkräfte sollten daher nach Wegen suchen, ihre Emissionen zu reduzieren, appelliert Vogler. Denn ohne Klimaschutz gebe es ohnehin keine Sicherheit. "Das Militär kann keine 80 Millionen Bürger vor Hitzewellen schützen - egal, wie sehr es aufgerüstet wird." Eins sei aber auch klar: "Panzer und Kampfflugzeuge werden sich - wahrscheinlich - auch mittelfristig nicht CO2-neutral betreiben lassen."

Für die Ukraine können Überlegungen wie diese derzeit keine Rolle spielen. Bei der Verteidigung ihres Landes geht es in erster Linie um die Einsatzbereitschaft der Systeme. Die Klimabilanz behält die ukrainische Regierung trotzdem im Auge - aus gutem Grund. Nach dem Krieg soll Russland für die ökologischen Schäden zahlen, wie der ukrainische Umweltminister Ruslan Strilets auf dem Klimagipfel in Scharm el-Scheich verkündete. Dafür solle eine Datenbank aufgebaut werden, die neben den Klima- auch die Umweltschäden systematisch aufzeichnet. Bisher seien bereits mehr als 2200 Fälle von Umweltschäden dokumentiert worden.

Ganz oben auf der Liste dürften all die gerodeten oder verbrannten Waldflächen stehen. Etwa 20.000 Quadratkilometer seien bereits zerstört worden, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor den Vereinten Nationen. Das entspricht etwa der Fläche von Hessen. Zudem seien Felder kontaminiert oder durch Minen unbrauchbar gemacht worden.

Russland soll Umweltschäden zahlen

"Es geht aber auch um eine lange Liste an Fällen von Boden-, Wasser- und Luftverschmutzungen durch Angriffe", erklärt Krzysztof Michalak, Leiter der Abteilung für grünes Wachstum und globale Beziehungen des OECD im Gespräch mit ntv.de. Der Experte gibt ein Beispiel: Wenn Raffinerien, Chemieanlagen oder Stahlwerke bombardiert werden, werden giftige Substanzen freigesetzt. Das kontaminiert nicht nur langfristig die Böden langfristig, sondern ist auch für die menschliche Gesundheit lange Zeit gefährlich, sagt Michalak. "Übrigens auch über die Landesgrenzen hinaus." Auch der giftige Treibstoff von Waffen führe zu einer toxischen Verschmutzung des Landes. Zum militärischen Abfall gehören auch Militärfahrzeuge, die nach ihrer Zerstörung zurückgelassen werden. "Aber natürlich auch all die ausgebombten zivilen Fahrzeuge."

Umweltschutz sei auch kaum zu leisten, wenn die Infrastruktur nicht mehr funktioniere. "Wenn ein Ort angegriffen wird, fahren die Müllabfuhren nicht mehr", erklärt Michalak. "Dann sammelt sich nicht nur der Hausmüll in den Straßen, sondern auch der medizinische Müll aus den Kliniken." Und der belaste die Umwelt ebenso wie all der Asbest und die Schwermetalle, die durch die Zerstörung von Gebäuden freigesetzt werden.

Die ukrainische Regierung hat all dies zusammengerechnet und kommt auf einen Schaden in Höhe von 34 Milliarden Euro - bis jetzt. Ob Russland wirklich für die Schäden bezahlen wird, steht in den Sternen. Die Berechnungen der Ukraine erfüllen trotzdem einen wichtigen Zweck: Sie machen sehr deutlich, dass dieser Krieg nicht nur menschliches Leid verursacht, sondern auch die Umwelt und das Klima schädigt. "All die kriegsbedingten Emissionen sind im Grunde Moskaus Emissionen", sagt Vogler dazu. Denn es war eben Russland, das einen Krieg begonnen hat und mit Panzerkolonnen in die Ukraine eingefallen ist.

Quelle: ntv.de


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