Für ein Ergebnis, durch das Liverpool in der Europaliga weiter ungeschlagen bleibt und das Klopps neuer Liebe sehr gute Chancen auf den Coup gegen seine alte Liebe eröffnet - und die favorisierten Dortmunder ratlos zurückließ. Aus Borussen-Sicht war die finale Darbietung englischer Sangesfreude der letzte schmerzhafte Piekser an einem Abend voller Nadelstiche, an dem Ersatzkeeper Roman Weidenfeller unerwartet zum Helden avancierte und der beim BVB Spuren hinterließ. Körperlich, angesichts des "superintensiven" (Klopp) Spiels, das beiden Teams große Kampf-, Lauf- und Grätschbereitschaft abverlangte, für die Dortmunder aber mit dem ungleich unbefriedigenderen Ertrag endete. Mehr aber noch mental, weil das Team von Thomas Tuchel viel wollte, aber zu viel vermissen ließ – vor allem die nötige Lockerheit.
Keine Präzision, keine Form
Er hätte sich "gewünscht, dass wir es mit einem Lächeln spielen", sagte ein nachdenklicher Tuchel nach der Partie. Mit der Spiellust, Gier und Freude, die aus seinem Team in dieser Saison bei besonders schweren Aufgaben schon so oft Spitzenleistungen herausgekitzelt habe, wie Tuchel vorab selbstbewusst betont hatte. Nach dem Spiel, in dem Klopps Liverpooler dem BVB mit Disziplin und Leidenschaft das Lächeln geraubt hatten, sagte er sichtlich konsterniert: "Wir hatten nicht die Präzision, nicht die Form, die nötig gewesen wäre." Das Ergebnis finde er zwar "ok". Es sei nur so: "Wir können es viel besser."
Warum sein Team das nicht zeigen konnte und gegen Liverpool nur in wenigen Phasen überhaupt einen Spielrhythmus fand, darüber war Tuchel direkt nach Schlusspfiff "noch ein bisschen am Grübeln". Sein erster Erklärungsansatz: "Vielleicht war es zu viel für die Spieler. Vielleicht war die Anspannung zu hoch. Vielleicht haben wir auch ein bisschen zu viel Information reingegeben." Er sei da sehr selbstkritisch, "da müssen wir uns auch im Trainerteam hinterfragen". Angedeutet habe sich die kollektive Verkrampfung vorab nicht, die Mannschaft habe immun gegen den enormen Hype um den "Kloppico" gewirkt. Doch sie war es nicht, und das nagte an Tuchel.
Denn es war ja nicht so, dass Klopp seine Liverpooler bei seiner ersten Rückkehr nach Dortmund Zauberfußball spielen ließ. Der zeigte sich zwar "zufrieden mit vielen Dingen", lobte die große Geduld seines Teams und die defensive Ordnung, die kaum BVB-Großchancen zugelassen hatte und letztlich den Nimbus der europäischen Unbesiegbarkeit gewahrt hatte. In der ersten halben Stunde funktionierte bei den hektisch agierenden und auf Konter lauernden Gästen von einem gefährlichen Standard abgesehen aber einzig das Gegenpressing. So schnell der Ball erobert war, so schnell war er auch wieder weg. Konstruktives Offensivspiel gab es von Liverpool erst nach der überraschenden Führung durch Divock Origi (36.) zu sehen, was aber noch zu 13 Torschüssen reichte. Mehr hat in Dortmund in dieser Saison nur der FC Bayern zustande gebracht.
Immerhin: Dank der kleinlichen und nicht immer verständlichen Regelauslegung des spanischen Schiedsrichters Carballo war das Publikum von Beginn an voll bei der Sache. Es herrschte die von BVB-Boss Hans-Joachim Watzke erhoffte "Wettkampfatmosphäre", kein Kuscheln mit Klopp, auch wenn sich die berüchtigte Dortmunder Europapokaleuphorie nie wirklich einstellte. Dafür war zu viel Krampf im BVB-Spiel und zu wenig Klasse.
Tor ohne Torchance
Vielleicht wäre es anders gelaufen, hätte Liverpools Abwehrbulle Mamadou Sakho in der 17. Minute der ersten gelungenen Dortmunder Offensivkombination über Julian Weigl, Marcel Schmelzer und Henrikh Mkhitaryan nicht mit der Fußspitze die Krönung in Form des 1:0 versagt. Vielleicht wäre brotlose Dortmunder Dominanz dann zu torreicher geworden. Vielleicht hätte sich die BVB-Abwehr dann nicht nach einem übermotiviert verlorenen Mittelfeld-Kopfballduell von Kapitän Mats Hummels von Origi übertölpeln lassen und die Gäste mit einem Gegentor aus dem absoluten Nichts ins Spiel gebracht.
Klopp schwärmte zwar von "einem wundervollen Treffer" nach einem schönen Pass. Die Dortmunder verbuchten den Treffer hingegen in der Kategorie "absolut vermeidbar". "Das Liverpooler Tor ist eigentlich gar keine Torchance", grantelte Tuchel und der maßgeblich beteiligte Hummels räumte selbstkritisch ein: "Das Gegentor war ein bisschen zu einfach."
Wiedergutmachung leistete Hummels mit seinem Ausgleich in der 48. Minute, der zumindest kurzzeitig für Europapokal-Atmosphäre sorgte - und für Liverpools beste Phase im Angriff, in der Dortmunds Torwart-Dinosaurier Weidenfeller mit Glanzparaden gegen Philippe Coutinho (51./52.) und Nathaniel Clyne (52.) die Zeit zurückdrehte. Kurz vor der Pause hatte der 35-Jährige bereits gegen den frei vor ihm auftauchenden Origi das 0:2 und damit einen grotesken Pausenstand verhindert. Mitte der ersten Halbzeit erlitt er nach einer Attacke von Liverpools Dejan Lovren eine blutende Wunde und musste mehrere Minuten behandelt werden.
"Herausragend" nannte Tuchel die Leistung seines Torwarts. Auf Dortmunds Ausgangslage vor dem Rückspiel in Liverpool trifft das nicht zu, die betrachtet der BVB-Coach als "offen". An der Anfield Road, wo deutschen Mannschaften in bislang 15 Versuchen erst dreimal ein Remis und noch nie ein Sieg gelang, braucht der BVB durch den Liverpooler Auswärtstreffer "mindestens ein Tor, wahrscheinlich sogar zwei". Und außerdem brauche Dortmund noch etwas, was Tuchel im ersten "Kloppico" vermisst hatte: "Die nötige Schärfe." Denn sicher ist: Im zweiten "Kloppico" wird es einen Verlierer geben – auch auf dem Rasen.
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