Wenn man als Deutscher wie ein Ausländer aussieht

  08 April 2016    Gelesen: 450
Wenn man als Deutscher wie ein Ausländer aussieht
Grieche? Oder doch Ungar, Russe? Bernd Philipp wird oft für einen Migranten gehalten, sogar vom Gemüsehändler beschimpft, weil er kein Türkisch spricht. Dabei ist er ein Urberliner aus Neukölln.
"Viele Leute denken, die anderen, die Fremden, würden ihnen etwas wegnehmen, was sie noch gar nicht haben." (Louis Malle, französischer Regisseur, 1932–1995)

Jede Form von Angeberei ist mir eigentlich fremd. Aber hinweisen möchte ich schon darauf, dass ich als Musterbeispiel für eine gelungene Integration gelte. Ich akzeptiere die freiheitlich-demokratische Grundordnung dieses Landes und achte die Verfassung.

Noch nie habe ich eine fremde Frau umtänzelt und bin ihr an die Wäsche gegangen, etwa mit den Worten "Du willst es doch auch!". Von der Kölner Domplatte halte ich mich in der Silvesternacht fern. Ich kann mich benehmen, und mancher muss anerkennen, dass ich sogar ein Deutscher sein könnte.

Es ist einfach schön im Berliner Restaurant "Adnan" im bürgerlichen Stadtteil Charlottenburg. Ein In-Lokal, wie man so sagt. Hier treffen sich die, die es zu was gebracht und auch jene, die ihre Zukunft schon hinter sich haben. Im Zentrum immer: Adnan Oral, die Society-Instanz.

Ein liebenswürdiger Mann, türkischer Herkunft, dessen Charmemantel die Damenherzen umhüllt. Der "beste Frauenhandküsser der Stadt", wie ein City-Flaneur in dieser Zeitung mal schrieb, begrüßt Gäste aus aller Welt.

Sogar mich! Und ich bin nicht mal ein Ausländer. Aber immerhin: Ich sehe so aus. Das war nicht immer so. Geboren in Neukölln, wuchs ich als Berliner Steppke auf und war nicht besonders auffällig (allenfalls in der Schule, zum Leidwesen der Eltern). Wollte auch nie ein "Schöneberger Sängerknabe" werden, weil diese Knilche auch im Winter mit kurzen Hosen rumlaufen mussten.

Erwähnt sei noch, dass Eltern und beide Großelternpaare, meine drei Schwestern und ich als "made in Germany" erkennbar waren.

Das sollte nicht so bleiben. Irgendwann – ich war so etwa 40 – veränderte sich meine Physiognomie. Ich bekam ein Multikulti-Gesicht. Das lag zwar im Trend, bescherte mir jedoch eine ganze Reihe erstaunlicher Erfahrungen … Zum Beispiel bei – "Adnan".

Ich war mit meiner Freundin Silke da, die mit ihrem langen, sinnlichen, roten Haar aussieht wie eine Irin, aber im beschaulichen Lobenstein in Thüringen geboren wurde. Am Tisch direkt neben uns schaute mich immer wieder ein Herr an, der sich entschuldigte, weil er merkte, dass ich seine Blicke registriert hatte.

Diabolisches Gesicht

"Ich will nicht stören", sagte er, "ich muss Ihnen einfach mal ein Kompliment machen: Sie sprechen ja wirklich ein fantastisches Deutsch – für einen Griechen."

"Sehr freundlich, vielen Dank", sagte ich, und zu meiner Feuerbraut etwas später: "Ein Grieche war ich noch nie. Premiere!"

Ja, es ist mein Schicksal: Ich sehe nicht aus wie ein Germane. Mein Antlitz hatte schon als Mittvierziger etwas Diabolisches. In einer Zeit, als die Bankfilialen noch Bares hatten und häufig von zwielichtigen Typen überfallen wurden, geriet ich ständig in Verdacht, der Übeltäter zu sein.

Die Beweisfotos waren unscharf und zeigten zumeist bewaffnete Ganoven mit markanten Wangenknochen, Vollbart und Strumpfmaske. Ein Polizeisprecher mutmaßte stets, dass es sich vermutlich um einen "Südländer" handele. Diese Beschreibung heute – und der Polizeipräsident müsste sich umschulen lassen! Diskriminierung! Ich sehe schon das Betroffenheitsgesicht und die Tränen von Claudia Roth …

Unser Sohn muss etwa sechs Jahre alt gewesen sein, als er auf der Titelseite der "Berliner Morgenpost" so einen Brutalo entdeckte und fragte: "Papa, was machst du denn da …?"

Der Zeitungsausschnitt machte im Familien- und Freundeskreis schnell die Runde. Irgendwie hatte ich sogar den Eindruck, man würde meinen Gruß im Treppenhaus nur verhalten erwidern. Erst als die "Berliner Abendschau" berichtete, dass an die tausend Berliner bei dieser mangelhaften Ausfertigung von Fahndungsfotos unverschuldet in Verdacht geraten waren, galten wir Otto Normalstraftäter als rehabilitiert.

Des Wodkas reinste Seele

Gern hält man mich auch für einen Türken. Ein Gemüsehändler am Mariendorfer Damm in Tempelhof schimpfte mit mir, weil ich mich mit ihm nicht in "unserer" Landessprache unterhielt. Und dann war da noch ein Taxifahrer, der es einfach mal rauslassen musste: "Du und ich. Wir Türken, wir haben viel schwer …" Ich nickte.

Besonders häufig werde ich auch dem Balkan zugeordnet. Der Ungar in mir schlägt eben durch, weil ich so scharf wie Paprika bin. Mein Blut ist Lava und kein Himbeersaft.

Als Kroate gehe ich auch durch. Das habe ich kürzlich meiner Physiotherapeutin erzählt. Die reizende Wirbelsäulen-Verwöhnerin wurde plötzlich wortkarg. Sie sei Serbin. Uppps, da war ja mal was, sorry! Warum tat mir nach der Massage nur mein Rücken mehr weh als vorher?

Vielleicht doch eher Russe? Könnte sein! Ich bin des Wodkas reinste Seele. In meinen Augen spiegeln sich die Weiten des riesigen Reiches wider. Mein Bart gleicht allerdings eher einem Birkenwäldchen. Balalaika spielen konnte ich früher übrigens auch mal.

Ivan Rebroff, mein Onkel? Nein! Der ist in Berlin-Spandau geboren. Und Helene Fischer ist auch nicht meine jüngere Schwester, obwohl die nun wirklich im russischen Krasnojarsk in Sibirien das Licht der Welt erblickte.

Doch damit nicht genug: Ich wurde auch schon mal dem Baltikum zugeordnet. Und sogar dem Libanon!

Mein Gott, wo ich nicht überall herkommen soll! Ach ja: "Stammst du aus Rumänien?", fragte mich mal eine Weltbürgerin in der Lüneburger Heide. Und ein Kollege von der Insel Usedom überraschte mich mit dem Hinweis, dass ich mit entsprechendem Palästinenser-Outfit durchaus auch als Arafat durchgehen könnte. Kein Wunder also, wenn ich mich auf Bahnhöfen und Flughäfen der besonderen Aufmerksamkeit des Security-Personals erfreue.

Besondere Aufmerksamkeit vom Security-Personal

Als ich im Spätherbst mit dem Auto in eine Fahrzeugkontrolle geriet, bei der routinemäßig die Beleuchtung gecheckt wurde, hieß es: "Ihre Papiere bitte – und steigen Sie doch erst mal aus." Die anderen Autofahrer vor mir durften sitzen bleiben. Da fiel mir doch gleich wieder der Taxifahrer ein ("Wir Türken, wir haben viel schwer!").



Zurück zum Tatort Neukölln. In der Karl-Marx-Straße bittet mich unser Fotograf Martin Lengemann, der übrigens very british aussieht, ich solle doch mal an einem türkischen Gemüsestand was kaufen.

Und schon ist Halin da, der Chef. "Mein Freund", sagt er zu mir, "komm, lass uns ein Foto von uns beiden machen." Da stand ich nun mit meinem Landsmann. Minuten später hat er mich gefragt, ob ich mit ihm zusammen nicht ein Geschäft für Obst und Gemüse am Stadtrand von Istanbul aufmachen möchte: "Wir guttt verdienen!"

Ich werde darüber nachdenken.

Es ist wirklich kurios: Selbst wenn ich näheren Bekannten von meinen Erlebnissen berichte, kommt es vor, dass ich hören muss: "Also jetzt, wo du es so sagst … Da ist schon was dran!"

Bei der Gelegenheit: Nein, ich bin auch kein Jude, wie viele glauben. Erst recht, nachdem ich das Buch zu Artur Brauners Holocaust-Film "Der letzte Zug" geschrieben hatte, das bei der Premiere in Berlin vorgestellt wurde.

Ich hätte gar nichts dagegen, griechischer Jude mit russischen Wurzeln zu sein. Bin ich aber nicht, obwohl: Eine gewisse Ähnlichkeit …

Merke: Auch ein Urberliner aus Neukölln mit Hinterhofwurzeln, evangelisch getauft und eingesegnet, kann sich – ausgestattet mit dem richtigen Multikulti-Gesicht – überall zu Hause fühlen.

Außer vielleicht zurzeit in Sachsen-Anhalt.

Quelle : welt.de

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